Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

nunmehr aber als der ausdrückliche besondere Act, woher jenes Moment den
Namen entlehnt, an ihrer eigentlichen Stelle aufgetreten. Als solcher nun ist
sie nur ein einzelner und leidet trotz der nothwendigen Ausführlichkeit an der
Punktualität des Witzes überhaupt. Ferner bleibt sowohl dies zufällig, ob auch
bei der reineren Form derselben das gestrafte Subject in das befreiende Be-
wußtseyn eingeht oder nicht, als auch, ob jene überhaupt eintrete oder nicht,
denn die Persönlichkeit, welche dafür bürgt, ist noch nicht gefunden. Endlich,
wie die Ironie im ganzen Komischen nur ein Moment ist, so bleibt sie auch
als ausdrückliche Witzform in ihrem Schlusse unvollständig, weil das unendlich
Kleine, das sie straft, nicht im Genusse der Berechtigung erscheint, die ihm im
Komischen gebührt. Eben an diesem Mangel leidet aber aller Witz, nur der
zwecklose, darum aber aus anderem Grund (§. 195) mangelhafte nicht. Die
Kälte der Reflexion, welche dem Witz überhaupt inwohnt und wodurch er bei
seiner höheren Geistigkeit dennoch gegen das zutrauliche Instinctleben des naiv
Komischen im Nachtheile steht, hängt also auch der Ironie an.

Der §. faßt zusammen, was in verschiedenen Anmerkungen schon
aufgestellt ist. Was den zweiten Mangel betrifft, der von der Ironie
ausgesagt wird, so gibt ihn Ruge selbst (a. a. O. S. 163: "die Ironie
überläßt es dieser Endlichkeit in jedem einzelnen Falle selbst, ob sie sich
ihres Rechtes bedienen, oder ob sie für sich bleiben will") freilich nicht
ganz zu, denn es liegt in diesen Worten nur, daß die Ironie der End-
lichkeit hiezu jedenfalls die Gelegenheit gebe; aber wir bestreiten dieses:
jedenfalls. Den dritten Grund aber hat er, auch hier ethisirend, über-
sehen. Die Ironie erscheint bei ihm ganz wie eine Besserungsanstalt.
Allein in allem Komischen soll ja die Thorheit als berechtigt erscheinen.
Schon oben (§. 201, Anm.) haben wir daher den Rückblick auf den
ironischen Act als wesentlich erwähnt, welcher die Sache noch einmal
umdreht, also nicht auf die Herstellung des Bewußtseyns, sondern eben
auf den Doppelschimmer des Unbewußten mit dem Bewußten den Nach-
druck legt. Das Wahre ist, daß der Ironiker selbst mit seinem freieren
Bewußtseyn ebenso als Narr erscheinen müßte, wie der Verirrte mit seinem
unfreien. Ebendies thut jener aber nicht; auch schonend stellt
er sich wohlweise über den Getroffenen
. Die Stelle Ruges
(a. a. O. S. 174) von der Nichtigkeits-Erklärung des Endlichen verläßt
ganz den komischen Standpunkt; der Ironiker sollte das Endliche für
ein trotz seiner Verirrung Berechtigtes erklären und weil er dazu die

nunmehr aber als der ausdrückliche beſondere Act, woher jenes Moment den
Namen entlehnt, an ihrer eigentlichen Stelle aufgetreten. Als ſolcher nun iſt
ſie nur ein einzelner und leidet trotz der nothwendigen Ausführlichkeit an der
Punktualität des Witzes überhaupt. Ferner bleibt ſowohl dies zufällig, ob auch
bei der reineren Form derſelben das geſtrafte Subject in das befreiende Be-
wußtſeyn eingeht oder nicht, als auch, ob jene überhaupt eintrete oder nicht,
denn die Perſönlichkeit, welche dafür bürgt, iſt noch nicht gefunden. Endlich,
wie die Ironie im ganzen Komiſchen nur ein Moment iſt, ſo bleibt ſie auch
als ausdrückliche Witzform in ihrem Schluſſe unvollſtändig, weil das unendlich
Kleine, das ſie ſtraft, nicht im Genuſſe der Berechtigung erſcheint, die ihm im
Komiſchen gebührt. Eben an dieſem Mangel leidet aber aller Witz, nur der
zweckloſe, darum aber aus anderem Grund (§. 195) mangelhafte nicht. Die
Kälte der Reflexion, welche dem Witz überhaupt inwohnt und wodurch er bei
ſeiner höheren Geiſtigkeit dennoch gegen das zutrauliche Inſtinctleben des naiv
Komiſchen im Nachtheile ſteht, hängt alſo auch der Ironie an.

Der §. faßt zuſammen, was in verſchiedenen Anmerkungen ſchon
aufgeſtellt iſt. Was den zweiten Mangel betrifft, der von der Ironie
ausgeſagt wird, ſo gibt ihn Ruge ſelbſt (a. a. O. S. 163: „die Ironie
überläßt es dieſer Endlichkeit in jedem einzelnen Falle ſelbſt, ob ſie ſich
ihres Rechtes bedienen, oder ob ſie für ſich bleiben will“) freilich nicht
ganz zu, denn es liegt in dieſen Worten nur, daß die Ironie der End-
lichkeit hiezu jedenfalls die Gelegenheit gebe; aber wir beſtreiten dieſes:
jedenfalls. Den dritten Grund aber hat er, auch hier ethiſirend, über-
ſehen. Die Ironie erſcheint bei ihm ganz wie eine Beſſerungsanſtalt.
Allein in allem Komiſchen ſoll ja die Thorheit als berechtigt erſcheinen.
Schon oben (§. 201, Anm.) haben wir daher den Rückblick auf den
ironiſchen Act als weſentlich erwähnt, welcher die Sache noch einmal
umdreht, alſo nicht auf die Herſtellung des Bewußtſeyns, ſondern eben
auf den Doppelſchimmer des Unbewußten mit dem Bewußten den Nach-
druck legt. Das Wahre iſt, daß der Ironiker ſelbſt mit ſeinem freieren
Bewußtſeyn ebenſo als Narr erſcheinen müßte, wie der Verirrte mit ſeinem
unfreien. Ebendies thut jener aber nicht; auch ſchonend ſtellt
er ſich wohlweiſe über den Getroffenen
. Die Stelle Ruges
(a. a. O. S. 174) von der Nichtigkeits-Erklärung des Endlichen verläßt
ganz den komiſchen Standpunkt; der Ironiker ſollte das Endliche für
ein trotz ſeiner Verirrung Berechtigtes erklären und weil er dazu die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0454" n="440"/>
nunmehr aber als der ausdrückliche be&#x017F;ondere Act, woher jenes Moment den<lb/>
Namen entlehnt, an ihrer eigentlichen Stelle aufgetreten. Als &#x017F;olcher nun i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie nur ein einzelner und leidet trotz der nothwendigen Ausführlichkeit an der<lb/>
Punktualität des Witzes überhaupt. Ferner bleibt &#x017F;owohl dies zufällig, ob auch<lb/>
bei der reineren Form der&#x017F;elben das ge&#x017F;trafte Subject in das befreiende Be-<lb/>
wußt&#x017F;eyn eingeht oder nicht, als auch, ob jene überhaupt eintrete oder nicht,<lb/>
denn die Per&#x017F;önlichkeit, welche dafür bürgt, i&#x017F;t noch nicht gefunden. Endlich,<lb/>
wie die Ironie im ganzen Komi&#x017F;chen nur ein Moment i&#x017F;t, &#x017F;o bleibt &#x017F;ie auch<lb/>
als ausdrückliche Witzform in ihrem Schlu&#x017F;&#x017F;e unvoll&#x017F;tändig, weil das unendlich<lb/>
Kleine, das &#x017F;ie &#x017F;traft, nicht im Genu&#x017F;&#x017F;e der Berechtigung er&#x017F;cheint, die ihm im<lb/>
Komi&#x017F;chen gebührt. Eben an die&#x017F;em Mangel leidet aber aller Witz, nur der<lb/>
zwecklo&#x017F;e, darum aber aus anderem Grund (§. 195) mangelhafte nicht. Die<lb/>
Kälte der Reflexion, welche dem Witz überhaupt inwohnt und wodurch er bei<lb/>
&#x017F;einer höheren Gei&#x017F;tigkeit dennoch gegen das zutrauliche In&#x017F;tinctleben des naiv<lb/>
Komi&#x017F;chen im Nachtheile &#x017F;teht, hängt al&#x017F;o auch der Ironie an.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">Der §. faßt zu&#x017F;ammen, was in ver&#x017F;chiedenen Anmerkungen &#x017F;chon<lb/>
aufge&#x017F;tellt i&#x017F;t. Was den zweiten Mangel betrifft, der von der Ironie<lb/>
ausge&#x017F;agt wird, &#x017F;o gibt ihn <hi rendition="#g">Ruge</hi> &#x017F;elb&#x017F;t (a. a. O. S. 163: &#x201E;die Ironie<lb/>
überläßt es die&#x017F;er Endlichkeit in jedem einzelnen Falle &#x017F;elb&#x017F;t, ob &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
ihres Rechtes bedienen, oder ob &#x017F;ie für &#x017F;ich bleiben will&#x201C;) freilich nicht<lb/>
ganz zu, denn es liegt in die&#x017F;en Worten nur, daß die Ironie der End-<lb/>
lichkeit hiezu jedenfalls die Gelegenheit gebe; aber wir be&#x017F;treiten die&#x017F;es:<lb/>
jedenfalls. Den dritten Grund aber hat er, auch hier ethi&#x017F;irend, über-<lb/>
&#x017F;ehen. Die Ironie er&#x017F;cheint bei ihm ganz wie eine Be&#x017F;&#x017F;erungsan&#x017F;talt.<lb/>
Allein in allem Komi&#x017F;chen &#x017F;oll ja die Thorheit als berechtigt er&#x017F;cheinen.<lb/>
Schon oben (§. 201, Anm.) haben wir daher den Rückblick auf den<lb/>
ironi&#x017F;chen Act als we&#x017F;entlich erwähnt, welcher die Sache noch einmal<lb/>
umdreht, al&#x017F;o nicht auf die Her&#x017F;tellung des Bewußt&#x017F;eyns, &#x017F;ondern eben<lb/>
auf den Doppel&#x017F;chimmer des Unbewußten mit dem Bewußten den Nach-<lb/>
druck legt. Das Wahre i&#x017F;t, daß der Ironiker &#x017F;elb&#x017F;t mit &#x017F;einem freieren<lb/>
Bewußt&#x017F;eyn eben&#x017F;o als Narr er&#x017F;cheinen müßte, wie der Verirrte mit &#x017F;einem<lb/>
unfreien. <hi rendition="#g">Ebendies thut jener aber nicht; auch &#x017F;chonend &#x017F;tellt<lb/>
er &#x017F;ich wohlwei&#x017F;e über den Getroffenen</hi>. Die Stelle <hi rendition="#g">Ruges</hi><lb/>
(a. a. O. S. 174) von der Nichtigkeits-Erklärung des Endlichen verläßt<lb/>
ganz den komi&#x017F;chen Standpunkt; der Ironiker &#x017F;ollte das Endliche für<lb/>
ein trotz &#x017F;einer Verirrung Berechtigtes erklären und weil er dazu die<lb/></hi> </p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[440/0454] nunmehr aber als der ausdrückliche beſondere Act, woher jenes Moment den Namen entlehnt, an ihrer eigentlichen Stelle aufgetreten. Als ſolcher nun iſt ſie nur ein einzelner und leidet trotz der nothwendigen Ausführlichkeit an der Punktualität des Witzes überhaupt. Ferner bleibt ſowohl dies zufällig, ob auch bei der reineren Form derſelben das geſtrafte Subject in das befreiende Be- wußtſeyn eingeht oder nicht, als auch, ob jene überhaupt eintrete oder nicht, denn die Perſönlichkeit, welche dafür bürgt, iſt noch nicht gefunden. Endlich, wie die Ironie im ganzen Komiſchen nur ein Moment iſt, ſo bleibt ſie auch als ausdrückliche Witzform in ihrem Schluſſe unvollſtändig, weil das unendlich Kleine, das ſie ſtraft, nicht im Genuſſe der Berechtigung erſcheint, die ihm im Komiſchen gebührt. Eben an dieſem Mangel leidet aber aller Witz, nur der zweckloſe, darum aber aus anderem Grund (§. 195) mangelhafte nicht. Die Kälte der Reflexion, welche dem Witz überhaupt inwohnt und wodurch er bei ſeiner höheren Geiſtigkeit dennoch gegen das zutrauliche Inſtinctleben des naiv Komiſchen im Nachtheile ſteht, hängt alſo auch der Ironie an. Der §. faßt zuſammen, was in verſchiedenen Anmerkungen ſchon aufgeſtellt iſt. Was den zweiten Mangel betrifft, der von der Ironie ausgeſagt wird, ſo gibt ihn Ruge ſelbſt (a. a. O. S. 163: „die Ironie überläßt es dieſer Endlichkeit in jedem einzelnen Falle ſelbſt, ob ſie ſich ihres Rechtes bedienen, oder ob ſie für ſich bleiben will“) freilich nicht ganz zu, denn es liegt in dieſen Worten nur, daß die Ironie der End- lichkeit hiezu jedenfalls die Gelegenheit gebe; aber wir beſtreiten dieſes: jedenfalls. Den dritten Grund aber hat er, auch hier ethiſirend, über- ſehen. Die Ironie erſcheint bei ihm ganz wie eine Beſſerungsanſtalt. Allein in allem Komiſchen ſoll ja die Thorheit als berechtigt erſcheinen. Schon oben (§. 201, Anm.) haben wir daher den Rückblick auf den ironiſchen Act als weſentlich erwähnt, welcher die Sache noch einmal umdreht, alſo nicht auf die Herſtellung des Bewußtſeyns, ſondern eben auf den Doppelſchimmer des Unbewußten mit dem Bewußten den Nach- druck legt. Das Wahre iſt, daß der Ironiker ſelbſt mit ſeinem freieren Bewußtſeyn ebenſo als Narr erſcheinen müßte, wie der Verirrte mit ſeinem unfreien. Ebendies thut jener aber nicht; auch ſchonend ſtellt er ſich wohlweiſe über den Getroffenen. Die Stelle Ruges (a. a. O. S. 174) von der Nichtigkeits-Erklärung des Endlichen verläßt ganz den komiſchen Standpunkt; der Ironiker ſollte das Endliche für ein trotz ſeiner Verirrung Berechtigtes erklären und weil er dazu die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/454
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/454>, abgerufen am 25.04.2024.