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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Seele zu Grund gelegt wird, die Selbständigkeit der ganzen Sphäre
aufgehoben sieht, da er es nicht reimen kann, daß ebendasselbe, was
einer Sphäre, auch allen anderen zu Grunde liegt, und daß dennoch
jede Sphäre sich in ihrer Eigenheit behauptet, daß z. B. das Thierreich
besteht, obwohl das Daseyn des Menschen es als wahre Gestalt des
Lebens widerlegt, daß daher in der Lehre vom Geiste alle Sphären
ebensosehr zugleich bleibende, als phänomenologisch verschwindende Formen
sind; so setzt er offenbar voraus, daß der Gedanke je in der Sphäre,
wo er nicht als selbstbewußter Begriff auftritt, sich in ein irrationales
Plus
aufhebe, d. h. er ist Dualist, wie Weiße, auf dem er fußt.

2. Der zweite Theil des §. hebt mit ausdrücklicher Bestimmtheit
noch einmal hervor, was in §. 13 ebenfalls schon ausgesprochen
ist: daß nämlich durch die volle Gegenwart einer bestimmten Idee in
ihrem Individuum die absolute Idee als gegenwärtig erscheint, was
Weiße durch den Ausdruck bezeichnet, das Schöne sey ein Mikrokosmus
(a. a. O. §. 14). In der nächsten Bedeutung des schönen Gegenstands
liegt die unendliche miteingeschlossen. Kann eine Idee ihr Individuum
rein erfüllen, so können es alle, und zwar nicht nur jede irgend einmal
und irgendwo, sondern wirklich ist die Allheit in der Gegenwart der
einen mitgegenwärtig, denn es ist (§. 11) die absolute Idee selbst, die
sich in den Umkreis der bestimmten Ideen auseinanderlegt. Sehe ich
auch nur eine Pflanze, ein Thier vollkommen, so sehe ich die vollkom-
mene Welt. Diese Wahrheit scheint sich auf dem Standpunkt, wohin
Hegel die Philosophie geführt hat, ganz einfach zu ergeben. Allein
nicht nur die Auslassung der Mitte (der bestimmten Idee) wirft ihm
Danzel vor, sondern auch, daß es nach seinem eigenen Prinzip un-
möglich sey, die absolute Idee mit einer bestimmten so in Verbindung
zu bringen, daß sie mit dieser (als ihr Hintergrund) zugleich ergriffen
werde. Freilich findet sich in dieser Stelle bei Danzel zunächst eine
Verwirrung von Begriffen. Er nennt die Anschauungsweise, wonach
"der einzelne Begriff von der Ergreifung des allgemeinen Vegriffs be-
gleitet seyn" (a. a. O. S. 53) oder dieser hinter jenem hervorschimmern
soll, Theosophie. Aber nicht dieß ist Theosophie, sondern nur dieß,
wenn ein Individuum ohne die Mitte des einzelnen Begriffs, d. h.
der bestimmten Idee die absolute Idee in sich darstellen soll. Wir
können jedoch davon hier abstrahiren und dahingestellt seyn lassen, ob
das Unmittelbare, dessen unendliche Bedeutsamkeit als durchsichtiges Ge-
fäß der absoluten Idee hier als etwas auf Hegels Standpunkt Un-

Seele zu Grund gelegt wird, die Selbſtändigkeit der ganzen Sphäre
aufgehoben ſieht, da er es nicht reimen kann, daß ebendaſſelbe, was
einer Sphäre, auch allen anderen zu Grunde liegt, und daß dennoch
jede Sphäre ſich in ihrer Eigenheit behauptet, daß z. B. das Thierreich
beſteht, obwohl das Daſeyn des Menſchen es als wahre Geſtalt des
Lebens widerlegt, daß daher in der Lehre vom Geiſte alle Sphären
ebenſoſehr zugleich bleibende, als phänomenologiſch verſchwindende Formen
ſind; ſo ſetzt er offenbar voraus, daß der Gedanke je in der Sphäre,
wo er nicht als ſelbſtbewußter Begriff auftritt, ſich in ein irrationales
Plus
aufhebe, d. h. er iſt Dualiſt, wie Weiße, auf dem er fußt.

2. Der zweite Theil des §. hebt mit ausdrücklicher Beſtimmtheit
noch einmal hervor, was in §. 13 ebenfalls ſchon ausgeſprochen
iſt: daß nämlich durch die volle Gegenwart einer beſtimmten Idee in
ihrem Individuum die abſolute Idee als gegenwärtig erſcheint, was
Weiße durch den Ausdruck bezeichnet, das Schöne ſey ein Mikrokoſmus
(a. a. O. §. 14). In der nächſten Bedeutung des ſchönen Gegenſtands
liegt die unendliche miteingeſchloſſen. Kann eine Idee ihr Individuum
rein erfüllen, ſo können es alle, und zwar nicht nur jede irgend einmal
und irgendwo, ſondern wirklich iſt die Allheit in der Gegenwart der
einen mitgegenwärtig, denn es iſt (§. 11) die abſolute Idee ſelbſt, die
ſich in den Umkreis der beſtimmten Ideen auseinanderlegt. Sehe ich
auch nur eine Pflanze, ein Thier vollkommen, ſo ſehe ich die vollkom-
mene Welt. Dieſe Wahrheit ſcheint ſich auf dem Standpunkt, wohin
Hegel die Philoſophie geführt hat, ganz einfach zu ergeben. Allein
nicht nur die Auslaſſung der Mitte (der beſtimmten Idee) wirft ihm
Danzel vor, ſondern auch, daß es nach ſeinem eigenen Prinzip un-
möglich ſey, die abſolute Idee mit einer beſtimmten ſo in Verbindung
zu bringen, daß ſie mit dieſer (als ihr Hintergrund) zugleich ergriffen
werde. Freilich findet ſich in dieſer Stelle bei Danzel zunächſt eine
Verwirrung von Begriffen. Er nennt die Anſchauungsweiſe, wonach
„der einzelne Begriff von der Ergreifung des allgemeinen Vegriffs be-
gleitet ſeyn“ (a. a. O. S. 53) oder dieſer hinter jenem hervorſchimmern
ſoll, Theoſophie. Aber nicht dieß iſt Theoſophie, ſondern nur dieß,
wenn ein Individuum ohne die Mitte des einzelnen Begriffs, d. h.
der beſtimmten Idee die abſolute Idee in ſich darſtellen ſoll. Wir
können jedoch davon hier abſtrahiren und dahingeſtellt ſeyn laſſen, ob
das Unmittelbare, deſſen unendliche Bedeutſamkeit als durchſichtiges Ge-
fäß der abſoluten Idee hier als etwas auf Hegels Standpunkt Un-

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[62/0076] Seele zu Grund gelegt wird, die Selbſtändigkeit der ganzen Sphäre aufgehoben ſieht, da er es nicht reimen kann, daß ebendaſſelbe, was einer Sphäre, auch allen anderen zu Grunde liegt, und daß dennoch jede Sphäre ſich in ihrer Eigenheit behauptet, daß z. B. das Thierreich beſteht, obwohl das Daſeyn des Menſchen es als wahre Geſtalt des Lebens widerlegt, daß daher in der Lehre vom Geiſte alle Sphären ebenſoſehr zugleich bleibende, als phänomenologiſch verſchwindende Formen ſind; ſo ſetzt er offenbar voraus, daß der Gedanke je in der Sphäre, wo er nicht als ſelbſtbewußter Begriff auftritt, ſich in ein irrationales Plus aufhebe, d. h. er iſt Dualiſt, wie Weiße, auf dem er fußt. 2. Der zweite Theil des §. hebt mit ausdrücklicher Beſtimmtheit noch einmal hervor, was in §. 13 ebenfalls ſchon ausgeſprochen iſt: daß nämlich durch die volle Gegenwart einer beſtimmten Idee in ihrem Individuum die abſolute Idee als gegenwärtig erſcheint, was Weiße durch den Ausdruck bezeichnet, das Schöne ſey ein Mikrokoſmus (a. a. O. §. 14). In der nächſten Bedeutung des ſchönen Gegenſtands liegt die unendliche miteingeſchloſſen. Kann eine Idee ihr Individuum rein erfüllen, ſo können es alle, und zwar nicht nur jede irgend einmal und irgendwo, ſondern wirklich iſt die Allheit in der Gegenwart der einen mitgegenwärtig, denn es iſt (§. 11) die abſolute Idee ſelbſt, die ſich in den Umkreis der beſtimmten Ideen auseinanderlegt. Sehe ich auch nur eine Pflanze, ein Thier vollkommen, ſo ſehe ich die vollkom- mene Welt. Dieſe Wahrheit ſcheint ſich auf dem Standpunkt, wohin Hegel die Philoſophie geführt hat, ganz einfach zu ergeben. Allein nicht nur die Auslaſſung der Mitte (der beſtimmten Idee) wirft ihm Danzel vor, ſondern auch, daß es nach ſeinem eigenen Prinzip un- möglich ſey, die abſolute Idee mit einer beſtimmten ſo in Verbindung zu bringen, daß ſie mit dieſer (als ihr Hintergrund) zugleich ergriffen werde. Freilich findet ſich in dieſer Stelle bei Danzel zunächſt eine Verwirrung von Begriffen. Er nennt die Anſchauungsweiſe, wonach „der einzelne Begriff von der Ergreifung des allgemeinen Vegriffs be- gleitet ſeyn“ (a. a. O. S. 53) oder dieſer hinter jenem hervorſchimmern ſoll, Theoſophie. Aber nicht dieß iſt Theoſophie, ſondern nur dieß, wenn ein Individuum ohne die Mitte des einzelnen Begriffs, d. h. der beſtimmten Idee die abſolute Idee in ſich darſtellen ſoll. Wir können jedoch davon hier abſtrahiren und dahingeſtellt ſeyn laſſen, ob das Unmittelbare, deſſen unendliche Bedeutſamkeit als durchſichtiges Ge- fäß der abſoluten Idee hier als etwas auf Hegels Standpunkt Un-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/76>, abgerufen am 28.03.2024.