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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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legerete, anderswo, indem selbst Busch und Baum im Garten zu bestimmten
Formen beschnitten wird, durch Zwang beweisen, daß das Subject der
Meister ist. Reich aber und brillant ist noch Alles.

§. 374.

Diese Zustände schneidet wie ein Messer die Gegenwirkung der
Revolution durch. Die Aufklärung zieht negativ ihren Schluß, der Gedanke
bricht schlechtweg mit dem Bestehenden und sucht die allgemeine Gleichheit und
Freiheit durchzuführen, allein in Wahrheit entfesselt er die Willkühr der vielen
Individuen, weil er, durchaus abstract, die Allgemeinheit nicht zu gliedern
vermag. Ebenso wirft das Subject in diesem abstracten Werke alle Objectivität
ab, daher sind alle Erscheinungen der Revolution naturlos; sowohl die großen
Thaten und Männer, als auch die moralischen Ungeheuer und die blutige
Zerstörung, zu welcher entmenschte Wildheit fortschreitet, tragen das Aetzende
und Zerfressende des negativen Denkens an sich, wodurch sie unästhetisch werden.

Der Freiheitskampf und die Begründung der Republik in Amerika geht
voraus. Wenn wir behaupten, daß nur in der Republik schöne Menschheit
als wirklicher Volkszustand möglich sei, so ist damit nicht gesagt, daß jede
Republik, auch eine solche, die eine kaufmännische Colonie in fremdem
Lande unter Mißhandlung der Ureinwohner gründet, ein schönes Bild
darbiete. Republikanische Luft ist immer erhebend und erfrischend, aber
Aesthetisches entwickelt sie erst, wenn sie so durchgedrungen, daß sie die
entsprechenden Formen geschaffen hat. -- So ist nun auch die französische
Revolution nur die Hälfte eines nicht fertigen Werks. Im Mittelalter
waren Einige frei; in der neuen Zeit vor der Revolution Einer
(freilich mit dem Anhängsel vieler fortdauernder Vorrechte der Einigen).
Dieser Eine hatte sich angemaßt, identisch mit dem Allgemeinen zu sein.
Die Revolution schneidet diese Identität mit der Guillotine durch und rasirt
jedes Vorrecht vom Boden. Sie thut dieß aus dem reinen Gedanken
heraus und ist überhaupt der erste Versuch in der Geschichte, das, was
alle Geschichte leitet, aus einem bloßen Instincte zum bewußten Princip
zu machen, einen Staat auf den Begriff zu bauen. Nun sind Alle frei,
allein damit ist nur das Negative geschehen und das Positive, die Orga-
nisation, die Gliederung der Unterschiede der Thätigkeit und Betheiligung
an dem Allgemeinen, bleibt aus, mißlingt. Die Freiheit und Gleichheit
ist hohl und leer, zwischen den wirklichen Individuen und dieser abstracten
Formel ist keine Vermittlung und daher ist es gerade die Willkühr der
Individuen, was entfesselt ist, Habsucht, Tücke, Herrschsucht, jede Leiden-
schaft. Die zerfressende Abstraction dieses Bruchs hat auch dem subjectiven

légèreté, anderswo, indem ſelbſt Buſch und Baum im Garten zu beſtimmten
Formen beſchnitten wird, durch Zwang beweiſen, daß das Subject der
Meiſter iſt. Reich aber und brillant iſt noch Alles.

§. 374.

Dieſe Zuſtände ſchneidet wie ein Meſſer die Gegenwirkung der
Revolution durch. Die Aufklärung zieht negativ ihren Schluß, der Gedanke
bricht ſchlechtweg mit dem Beſtehenden und ſucht die allgemeine Gleichheit und
Freiheit durchzuführen, allein in Wahrheit entfeſſelt er die Willkühr der vielen
Individuen, weil er, durchaus abſtract, die Allgemeinheit nicht zu gliedern
vermag. Ebenſo wirft das Subject in dieſem abſtracten Werke alle Objectivität
ab, daher ſind alle Erſcheinungen der Revolution naturlos; ſowohl die großen
Thaten und Männer, als auch die moraliſchen Ungeheuer und die blutige
Zerſtörung, zu welcher entmenſchte Wildheit fortſchreitet, tragen das Aetzende
und Zerfreſſende des negativen Denkens an ſich, wodurch ſie unäſthetiſch werden.

Der Freiheitskampf und die Begründung der Republik in Amerika geht
voraus. Wenn wir behaupten, daß nur in der Republik ſchöne Menſchheit
als wirklicher Volkszuſtand möglich ſei, ſo iſt damit nicht geſagt, daß jede
Republik, auch eine ſolche, die eine kaufmänniſche Colonie in fremdem
Lande unter Mißhandlung der Ureinwohner gründet, ein ſchönes Bild
darbiete. Republikaniſche Luft iſt immer erhebend und erfriſchend, aber
Aeſthetiſches entwickelt ſie erſt, wenn ſie ſo durchgedrungen, daß ſie die
entſprechenden Formen geſchaffen hat. — So iſt nun auch die franzöſiſche
Revolution nur die Hälfte eines nicht fertigen Werks. Im Mittelalter
waren Einige frei; in der neuen Zeit vor der Revolution Einer
(freilich mit dem Anhängſel vieler fortdauernder Vorrechte der Einigen).
Dieſer Eine hatte ſich angemaßt, identiſch mit dem Allgemeinen zu ſein.
Die Revolution ſchneidet dieſe Identität mit der Guillotine durch und raſirt
jedes Vorrecht vom Boden. Sie thut dieß aus dem reinen Gedanken
heraus und iſt überhaupt der erſte Verſuch in der Geſchichte, das, was
alle Geſchichte leitet, aus einem bloßen Inſtincte zum bewußten Princip
zu machen, einen Staat auf den Begriff zu bauen. Nun ſind Alle frei,
allein damit iſt nur das Negative geſchehen und das Poſitive, die Orga-
niſation, die Gliederung der Unterſchiede der Thätigkeit und Betheiligung
an dem Allgemeinen, bleibt aus, mißlingt. Die Freiheit und Gleichheit
iſt hohl und leer, zwiſchen den wirklichen Individuen und dieſer abſtracten
Formel iſt keine Vermittlung und daher iſt es gerade die Willkühr der
Individuen, was entfeſſelt iſt, Habſucht, Tücke, Herrſchſucht, jede Leiden-
ſchaft. Die zerfreſſende Abſtraction dieſes Bruchs hat auch dem ſubjectiven

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[287/0299] légèreté, anderswo, indem ſelbſt Buſch und Baum im Garten zu beſtimmten Formen beſchnitten wird, durch Zwang beweiſen, daß das Subject der Meiſter iſt. Reich aber und brillant iſt noch Alles. §. 374. Dieſe Zuſtände ſchneidet wie ein Meſſer die Gegenwirkung der Revolution durch. Die Aufklärung zieht negativ ihren Schluß, der Gedanke bricht ſchlechtweg mit dem Beſtehenden und ſucht die allgemeine Gleichheit und Freiheit durchzuführen, allein in Wahrheit entfeſſelt er die Willkühr der vielen Individuen, weil er, durchaus abſtract, die Allgemeinheit nicht zu gliedern vermag. Ebenſo wirft das Subject in dieſem abſtracten Werke alle Objectivität ab, daher ſind alle Erſcheinungen der Revolution naturlos; ſowohl die großen Thaten und Männer, als auch die moraliſchen Ungeheuer und die blutige Zerſtörung, zu welcher entmenſchte Wildheit fortſchreitet, tragen das Aetzende und Zerfreſſende des negativen Denkens an ſich, wodurch ſie unäſthetiſch werden. Der Freiheitskampf und die Begründung der Republik in Amerika geht voraus. Wenn wir behaupten, daß nur in der Republik ſchöne Menſchheit als wirklicher Volkszuſtand möglich ſei, ſo iſt damit nicht geſagt, daß jede Republik, auch eine ſolche, die eine kaufmänniſche Colonie in fremdem Lande unter Mißhandlung der Ureinwohner gründet, ein ſchönes Bild darbiete. Republikaniſche Luft iſt immer erhebend und erfriſchend, aber Aeſthetiſches entwickelt ſie erſt, wenn ſie ſo durchgedrungen, daß ſie die entſprechenden Formen geſchaffen hat. — So iſt nun auch die franzöſiſche Revolution nur die Hälfte eines nicht fertigen Werks. Im Mittelalter waren Einige frei; in der neuen Zeit vor der Revolution Einer (freilich mit dem Anhängſel vieler fortdauernder Vorrechte der Einigen). Dieſer Eine hatte ſich angemaßt, identiſch mit dem Allgemeinen zu ſein. Die Revolution ſchneidet dieſe Identität mit der Guillotine durch und raſirt jedes Vorrecht vom Boden. Sie thut dieß aus dem reinen Gedanken heraus und iſt überhaupt der erſte Verſuch in der Geſchichte, das, was alle Geſchichte leitet, aus einem bloßen Inſtincte zum bewußten Princip zu machen, einen Staat auf den Begriff zu bauen. Nun ſind Alle frei, allein damit iſt nur das Negative geſchehen und das Poſitive, die Orga- niſation, die Gliederung der Unterſchiede der Thätigkeit und Betheiligung an dem Allgemeinen, bleibt aus, mißlingt. Die Freiheit und Gleichheit iſt hohl und leer, zwiſchen den wirklichen Individuen und dieſer abſtracten Formel iſt keine Vermittlung und daher iſt es gerade die Willkühr der Individuen, was entfeſſelt iſt, Habſucht, Tücke, Herrſchſucht, jede Leiden- ſchaft. Die zerfreſſende Abſtraction dieſes Bruchs hat auch dem ſubjectiven

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/299>, abgerufen am 28.03.2024.