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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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betrifft, so muß sich die Auseinandersetzung derselben mit der Darstellung der
wirklichen Kunstformen, die in ihnen befaßt sind, ergeben. Nur was das
Satyrische anbelangt, so mag hier noch auf §. 195 zurückgewiesen werden,
wo der schweifende und der stoffartige Witz unterschieden sind; der letztere
liegt der Satyre zu Grunde; wie sie sich aber zum Humor erhebt, das
zeigt schon eine vorläufige Hinweisung auf die Komödie des Aristophanes:
dieselbe hat eigentlich das satyrische Porträt, die Carricatur zu ihrer
Grundlage, an diese ist sichtbar die Dichtung der Fabel angeschossen,
hat ihn in Fluß gebracht und in dieser Bewegung hat der freie, im rein
ästhetischen Element schwebende Humor sich entzündet.

§. 548.

Zwischen diesen Extremen bildet sich ein drittes Gebiet bloß anhängender
Kunst durch die Neigung zum Spiel mit lebendigem Naturstoff. Die
Kunst ergreift gewisse Formen dieses Spiels an der tieferen Bedeutung,
die an sich schon in ihnen liegt, erhebt sie zur schönen Darstellung und zieht eine
derselben als Mittel der sinnlichen Ausführung ihres höchsten Zweigs an
sich (vergl. §. 544, 3.).

Von den in §. 515 aufgeführten Arten des Spieltriebs ist im
vorliegenden Zusammenhang der verschönernde und schmückende zu dem
höhern Handwerke (§. 546) gefallen; der zuletzt aufgeführte objectiv
bildende ist in der ächt ästhetischen bildenden Kunst verschwunden, nur
Eine Form bleibt noch von ihm übrig, nämlich der Versuch, mit wirk-
licher, empirisch lebendiger Natur zu malen (schöne Garten-Kunst). Da-
gegen bleibt als Grundlage eines bedeutenden Gebiets unselbständiger
Künste der Nachahmungstrieb übrig, der als Material der Darstellung die
eigene Person verwendet und, künstlerisch gebildet, als Orchestik und
Mimik auftreten wird. Dazu kommt die Gymnastik, die auf einer Verbindung
des Spieltriebs und des ernsten Zwecks der Durchbildung des Leibs zum
adäquaten Organe des Geistes in seinem persönlichen und nationalpoliti-
schen Berufe, insbesondere dem des Krieges, beruht. Hier mischen sich also
verschiedenartige Motive, allein die Gymnastik hat ihr rein darstellendes,
zweckloses Gebiet, indem sie die erworbene Fertigkeit festlich aufzeigt;
in dieser Bedeutung ist sie reines, von der Kunst veredeltes Spiel und
gehört in die Aesthetik. Der Ausdruck des §. "tiefere Bedeutung" ist
oberflächlich, allein es konnte anders der verschiedene Gehalt dieser Spiel-
formen, wie ihn die Kunst zum höheren ästhetischen Schein entwickelt,
nicht zusammengefaßt werden. Es handelt sich um ein mittleres Gebiet
zwischen den strengen Zwecken des Wahren und Guten auf der einen

betrifft, ſo muß ſich die Auseinanderſetzung derſelben mit der Darſtellung der
wirklichen Kunſtformen, die in ihnen befaßt ſind, ergeben. Nur was das
Satyriſche anbelangt, ſo mag hier noch auf §. 195 zurückgewieſen werden,
wo der ſchweifende und der ſtoffartige Witz unterſchieden ſind; der letztere
liegt der Satyre zu Grunde; wie ſie ſich aber zum Humor erhebt, das
zeigt ſchon eine vorläufige Hinweiſung auf die Komödie des Ariſtophanes:
dieſelbe hat eigentlich das ſatyriſche Porträt, die Carricatur zu ihrer
Grundlage, an dieſe iſt ſichtbar die Dichtung der Fabel angeſchoſſen,
hat ihn in Fluß gebracht und in dieſer Bewegung hat der freie, im rein
äſthetiſchen Element ſchwebende Humor ſich entzündet.

§. 548.

Zwiſchen dieſen Extremen bildet ſich ein drittes Gebiet bloß anhängender
Kunſt durch die Neigung zum Spiel mit lebendigem Naturſtoff. Die
Kunſt ergreift gewiſſe Formen dieſes Spiels an der tieferen Bedeutung,
die an ſich ſchon in ihnen liegt, erhebt ſie zur ſchönen Darſtellung und zieht eine
derſelben als Mittel der ſinnlichen Ausführung ihres höchſten Zweigs an
ſich (vergl. §. 544, 3.).

Von den in §. 515 aufgeführten Arten des Spieltriebs iſt im
vorliegenden Zuſammenhang der verſchönernde und ſchmückende zu dem
höhern Handwerke (§. 546) gefallen; der zuletzt aufgeführte objectiv
bildende iſt in der ächt äſthetiſchen bildenden Kunſt verſchwunden, nur
Eine Form bleibt noch von ihm übrig, nämlich der Verſuch, mit wirk-
licher, empiriſch lebendiger Natur zu malen (ſchöne Garten-Kunſt). Da-
gegen bleibt als Grundlage eines bedeutenden Gebiets unſelbſtändiger
Künſte der Nachahmungstrieb übrig, der als Material der Darſtellung die
eigene Perſon verwendet und, künſtleriſch gebildet, als Orcheſtik und
Mimik auftreten wird. Dazu kommt die Gymnaſtik, die auf einer Verbindung
des Spieltriebs und des ernſten Zwecks der Durchbildung des Leibs zum
adäquaten Organe des Geiſtes in ſeinem perſönlichen und nationalpoliti-
ſchen Berufe, insbeſondere dem des Krieges, beruht. Hier miſchen ſich alſo
verſchiedenartige Motive, allein die Gymnaſtik hat ihr rein darſtellendes,
zweckloſes Gebiet, indem ſie die erworbene Fertigkeit feſtlich aufzeigt;
in dieſer Bedeutung iſt ſie reines, von der Kunſt veredeltes Spiel und
gehört in die Aeſthetik. Der Ausdruck des §. „tiefere Bedeutung“ iſt
oberflächlich, allein es konnte anders der verſchiedene Gehalt dieſer Spiel-
formen, wie ihn die Kunſt zum höheren äſthetiſchen Schein entwickelt,
nicht zuſammengefaßt werden. Es handelt ſich um ein mittleres Gebiet
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[170/0182] betrifft, ſo muß ſich die Auseinanderſetzung derſelben mit der Darſtellung der wirklichen Kunſtformen, die in ihnen befaßt ſind, ergeben. Nur was das Satyriſche anbelangt, ſo mag hier noch auf §. 195 zurückgewieſen werden, wo der ſchweifende und der ſtoffartige Witz unterſchieden ſind; der letztere liegt der Satyre zu Grunde; wie ſie ſich aber zum Humor erhebt, das zeigt ſchon eine vorläufige Hinweiſung auf die Komödie des Ariſtophanes: dieſelbe hat eigentlich das ſatyriſche Porträt, die Carricatur zu ihrer Grundlage, an dieſe iſt ſichtbar die Dichtung der Fabel angeſchoſſen, hat ihn in Fluß gebracht und in dieſer Bewegung hat der freie, im rein äſthetiſchen Element ſchwebende Humor ſich entzündet. §. 548. Zwiſchen dieſen Extremen bildet ſich ein drittes Gebiet bloß anhängender Kunſt durch die Neigung zum Spiel mit lebendigem Naturſtoff. Die Kunſt ergreift gewiſſe Formen dieſes Spiels an der tieferen Bedeutung, die an ſich ſchon in ihnen liegt, erhebt ſie zur ſchönen Darſtellung und zieht eine derſelben als Mittel der ſinnlichen Ausführung ihres höchſten Zweigs an ſich (vergl. §. 544, 3.). Von den in §. 515 aufgeführten Arten des Spieltriebs iſt im vorliegenden Zuſammenhang der verſchönernde und ſchmückende zu dem höhern Handwerke (§. 546) gefallen; der zuletzt aufgeführte objectiv bildende iſt in der ächt äſthetiſchen bildenden Kunſt verſchwunden, nur Eine Form bleibt noch von ihm übrig, nämlich der Verſuch, mit wirk- licher, empiriſch lebendiger Natur zu malen (ſchöne Garten-Kunſt). Da- gegen bleibt als Grundlage eines bedeutenden Gebiets unſelbſtändiger Künſte der Nachahmungstrieb übrig, der als Material der Darſtellung die eigene Perſon verwendet und, künſtleriſch gebildet, als Orcheſtik und Mimik auftreten wird. Dazu kommt die Gymnaſtik, die auf einer Verbindung des Spieltriebs und des ernſten Zwecks der Durchbildung des Leibs zum adäquaten Organe des Geiſtes in ſeinem perſönlichen und nationalpoliti- ſchen Berufe, insbeſondere dem des Krieges, beruht. Hier miſchen ſich alſo verſchiedenartige Motive, allein die Gymnaſtik hat ihr rein darſtellendes, zweckloſes Gebiet, indem ſie die erworbene Fertigkeit feſtlich aufzeigt; in dieſer Bedeutung iſt ſie reines, von der Kunſt veredeltes Spiel und gehört in die Aeſthetik. Der Ausdruck des §. „tiefere Bedeutung“ iſt oberflächlich, allein es konnte anders der verſchiedene Gehalt dieſer Spiel- formen, wie ihn die Kunſt zum höheren äſthetiſchen Schein entwickelt, nicht zuſammengefaßt werden. Es handelt ſich um ein mittleres Gebiet zwiſchen den ſtrengen Zwecken des Wahren und Guten auf der einen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/182>, abgerufen am 28.03.2024.