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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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bei einer gewissen Beschaffenheit des Stoffes, die freilich hier nur durch
einen neuen Vorgriff berührt werden kann, tritt auch ein in der Sache
liegender Grund für dieses Stehenbleiben bei dem Anfangspuncte der
eigentlichen Ausführung auf: die Künste werden nämlich einander gegen-
seitig ebenfalls zum Stoff, und da kann die Art eines Werks der einen
Kunst es mit sich bringen, daß ihr eine andere, sie als Stoff benützende
Kunst nur mit einem Theil, einer Stufe der ihr eigenthümlichen Darstellung
folgen kann; die innerliche, nur dünn und flüchtig gestaltende Lyrik, das
Mährchen, das phantastische Drama z. B. werden für Umrisse, aber
nicht für ausgeführte Gemälde, häufig nicht einmal ganz modellirte
Zeichnungen Stoff geben. Bleibt es nun so bei der Skizze, wird sie für
die Oeffentlichkeit bestimmt, so versteht sich, daß bei ihr derselbe Prozeß
sich im Kleinen wiederholt, der im Großen einzutreten hat, wenn es von
der Skizze zum vollen Werke kommen soll: sie bedarf selbst einer weitern
Durcharbeitung, bis sie in ihrer Art ein Kunstwerk ist. Auf ein drittes
Moment, das die Fixirung des Bildes auf der Stufe der Skizze bedingt,
nämlich auf die Sitte der Illustrationen und die Gewöhnung des modernen
Publikums an solche flüchtige Textbegleitung kann hier nicht weiter
eingegangen werden; wir verweisen aber noch auf das ungemeine
Interesse, das unendlich Belehrende, was die erhaltenen Entwürfe großer
Meister für den haben, der in die Geheimniße des Werdens des
Kunstwerks eindringen will: Handzeichnungen, Cartons, erhaltene erste
Entwürfe von Dichtern.

a.
Die organisirende Vorarbeit oder die Composition.
§. 494.

Bei dieser Probe muß alsbald zu Tage kommen, daß wirkliche Objectivität
etwas Anderes ist, als die nur innere (§. 398). Gehalten an diesen Maaßstab
erscheint vor Allem die organische Gliederung des Bilds zu einem Ganzen (§. 399)
noch durchaus unreif. Der Prozeß dieser Gliederung muß daher mit bestimmterem
Bewußtsein an der Hand der vorläusigen Ausführung (Skizze) wiederhalt werden
und heißt nun Composition. Diese organistrende Thätigkeit umfaßt den
geistigeren, näher auf Seiten des innern Ideals liegenden Theil der Vorarbeit
zur Ausführung.

In §. 398 ist das Ideal bestimmt als "das zunächst innere Bild,
das der Geist als sein durch Umbildung eines Naturschönen frei

bei einer gewiſſen Beſchaffenheit des Stoffes, die freilich hier nur durch
einen neuen Vorgriff berührt werden kann, tritt auch ein in der Sache
liegender Grund für dieſes Stehenbleiben bei dem Anfangspuncte der
eigentlichen Ausführung auf: die Künſte werden nämlich einander gegen-
ſeitig ebenfalls zum Stoff, und da kann die Art eines Werks der einen
Kunſt es mit ſich bringen, daß ihr eine andere, ſie als Stoff benützende
Kunſt nur mit einem Theil, einer Stufe der ihr eigenthümlichen Darſtellung
folgen kann; die innerliche, nur dünn und flüchtig geſtaltende Lyrik, das
Mährchen, das phantaſtiſche Drama z. B. werden für Umriſſe, aber
nicht für ausgeführte Gemälde, häufig nicht einmal ganz modellirte
Zeichnungen Stoff geben. Bleibt es nun ſo bei der Skizze, wird ſie für
die Oeffentlichkeit beſtimmt, ſo verſteht ſich, daß bei ihr derſelbe Prozeß
ſich im Kleinen wiederholt, der im Großen einzutreten hat, wenn es von
der Skizze zum vollen Werke kommen ſoll: ſie bedarf ſelbſt einer weitern
Durcharbeitung, bis ſie in ihrer Art ein Kunſtwerk iſt. Auf ein drittes
Moment, das die Fixirung des Bildes auf der Stufe der Skizze bedingt,
nämlich auf die Sitte der Illuſtrationen und die Gewöhnung des modernen
Publikums an ſolche flüchtige Textbegleitung kann hier nicht weiter
eingegangen werden; wir verweiſen aber noch auf das ungemeine
Intereſſe, das unendlich Belehrende, was die erhaltenen Entwürfe großer
Meiſter für den haben, der in die Geheimniße des Werdens des
Kunſtwerks eindringen will: Handzeichnungen, Cartons, erhaltene erſte
Entwürfe von Dichtern.

α.
Die organiſirende Vorarbeit oder die Compoſition.
§. 494.

Bei dieſer Probe muß alsbald zu Tage kommen, daß wirkliche Objectivität
etwas Anderes iſt, als die nur innere (§. 398). Gehalten an dieſen Maaßſtab
erſcheint vor Allem die organiſche Gliederung des Bilds zu einem Ganzen (§. 399)
noch durchaus unreif. Der Prozeß dieſer Gliederung muß daher mit beſtimmterem
Bewußtſein an der Hand der vorläuſigen Ausführung (Skizze) wiederhalt werden
und heißt nun Compoſition. Dieſe organiſtrende Thätigkeit umfaßt den
geiſtigeren, näher auf Seiten des innern Ideals liegenden Theil der Vorarbeit
zur Ausführung.

In §. 398 iſt das Ideal beſtimmt als „das zunächſt innere Bild,
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[20/0032] bei einer gewiſſen Beſchaffenheit des Stoffes, die freilich hier nur durch einen neuen Vorgriff berührt werden kann, tritt auch ein in der Sache liegender Grund für dieſes Stehenbleiben bei dem Anfangspuncte der eigentlichen Ausführung auf: die Künſte werden nämlich einander gegen- ſeitig ebenfalls zum Stoff, und da kann die Art eines Werks der einen Kunſt es mit ſich bringen, daß ihr eine andere, ſie als Stoff benützende Kunſt nur mit einem Theil, einer Stufe der ihr eigenthümlichen Darſtellung folgen kann; die innerliche, nur dünn und flüchtig geſtaltende Lyrik, das Mährchen, das phantaſtiſche Drama z. B. werden für Umriſſe, aber nicht für ausgeführte Gemälde, häufig nicht einmal ganz modellirte Zeichnungen Stoff geben. Bleibt es nun ſo bei der Skizze, wird ſie für die Oeffentlichkeit beſtimmt, ſo verſteht ſich, daß bei ihr derſelbe Prozeß ſich im Kleinen wiederholt, der im Großen einzutreten hat, wenn es von der Skizze zum vollen Werke kommen ſoll: ſie bedarf ſelbſt einer weitern Durcharbeitung, bis ſie in ihrer Art ein Kunſtwerk iſt. Auf ein drittes Moment, das die Fixirung des Bildes auf der Stufe der Skizze bedingt, nämlich auf die Sitte der Illuſtrationen und die Gewöhnung des modernen Publikums an ſolche flüchtige Textbegleitung kann hier nicht weiter eingegangen werden; wir verweiſen aber noch auf das ungemeine Intereſſe, das unendlich Belehrende, was die erhaltenen Entwürfe großer Meiſter für den haben, der in die Geheimniße des Werdens des Kunſtwerks eindringen will: Handzeichnungen, Cartons, erhaltene erſte Entwürfe von Dichtern. α. Die organiſirende Vorarbeit oder die Compoſition. §. 494. Bei dieſer Probe muß alsbald zu Tage kommen, daß wirkliche Objectivität etwas Anderes iſt, als die nur innere (§. 398). Gehalten an dieſen Maaßſtab erſcheint vor Allem die organiſche Gliederung des Bilds zu einem Ganzen (§. 399) noch durchaus unreif. Der Prozeß dieſer Gliederung muß daher mit beſtimmterem Bewußtſein an der Hand der vorläuſigen Ausführung (Skizze) wiederhalt werden und heißt nun Compoſition. Dieſe organiſtrende Thätigkeit umfaßt den geiſtigeren, näher auf Seiten des innern Ideals liegenden Theil der Vorarbeit zur Ausführung. In §. 398 iſt das Ideal beſtimmt als „das zunächſt innere Bild, das der Geiſt als ſein durch Umbildung eines Naturſchönen frei

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/32>, abgerufen am 18.04.2024.