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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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Kräfte und Linien, der sich aber in einem Anklang von Symmetrie zu-
gleich auflösen wird, in welchem jene Contraposte der einzelnen Figur
(§. 626) sich nun als eine Wechsel-Ergänzung von Linien in mehreren
Figuren entfalten. Die Gruppen selbst aber stehen eine zur andern in
dem Verhältniß des Gegensatzes und zugleich der wechselseitigen Ergän-
zung, also der belebten Symmetrie, so daß z. B. hier ein Grieche eine
Amazone besiegt, dort umgekehrt, oder mit weniger Contrast so, daß die
ähnlichere Gruppe der ähnlicheren, aber in divergirenden Linien ent-
spricht. Das Ganze hat sich nun doch in selbständigere Gruppen aufge-
löst; jede derselben ist tiefer verbunden, verflochten, während vorher die
aufgelösten Einzelfiguren sich enger als Ganzes in ihrer Gesammtheit zu-
sammenschlossen. Es ist daher ein Herausstreben aus der Längen-Com-
position sichtbar, und dasselbe verwirklicht sich in dem getrennten einzelnen
Felde, das nur Eine Gruppe darstellt, in der Metope namentlich (Rund-
felder gehören mehr zur Zierplastik, Halbrundfelder, wenn sie architekto-
nisch groß sind, zur Gattung der Giebelfelder). Die Längencomposition
zieht sich nun zur quadratischen zusammen, d. h. richtiger, die Art der
gegebenen Fläche hat keinen Einfluß mehr auf die Composition, sondern
diese ordnet wie ein freies Sculpturwerk nur noch den Bedingungen
folgend, die sich überhaupt aus der Anheftung an die Fläche ergeben,
ihre sparsamen Gruppen.

§. 628.

1.

Die Composition, die ihr Werk von der Fläche löst, aber noch an ihre
architektonische Flucht anschließt, hat im Dreiecke des Giebelfelds den
günstigen Rahmen für sämmtliche Hauptmomente ihrer Rhythmusbildenden Thä-
tigkeit, worin Ueberordnung und symmetrische Unterordnung sich in der pyra-
midalen
Form entfaltet. Diese ergibt sich als die der Bildnerkunst überhaupt
2.entsprechende aus §. 626 und herrscht auch in der freien Sculptur. Doch
tritt auch in der letzteren das Prinzip der reihenartig lockern Länge-Compo-
sition neben dem der engern, von lebendiger Situation und Handlung bis zur
engsten Verflechtung fortschreitenden und eine rein geschlossene Einheit von Con-
trasten bildenden wieder hervor.

1. Die von der Fläche losgetrennte und doch ihrer Flucht folgende
Sculptur ist ganz die Mitte zwischen der völlig freien und dem Relief;
sie hat von diesem die Eigenschaft, daß die Figuren nur von Einer Seite
zu sehen, wenigstens strenger nur auf Eine berechnet sind, also den Einen
Plan und die Längsrichtung, von jener zunächst die volle Ausführung, nur
natürlich mit Vernachlässigung der Rückseite, und die geschlossenere Com-
position. Diese Geschlossenheit gründet sich aber hier auf ein von außen

Kräfte und Linien, der ſich aber in einem Anklang von Symmetrie zu-
gleich auflöſen wird, in welchem jene Contrapoſte der einzelnen Figur
(§. 626) ſich nun als eine Wechſel-Ergänzung von Linien in mehreren
Figuren entfalten. Die Gruppen ſelbſt aber ſtehen eine zur andern in
dem Verhältniß des Gegenſatzes und zugleich der wechſelſeitigen Ergän-
zung, alſo der belebten Symmetrie, ſo daß z. B. hier ein Grieche eine
Amazone beſiegt, dort umgekehrt, oder mit weniger Contraſt ſo, daß die
ähnlichere Gruppe der ähnlicheren, aber in divergirenden Linien ent-
ſpricht. Das Ganze hat ſich nun doch in ſelbſtändigere Gruppen aufge-
löſt; jede derſelben iſt tiefer verbunden, verflochten, während vorher die
aufgelöſten Einzelfiguren ſich enger als Ganzes in ihrer Geſammtheit zu-
ſammenſchloſſen. Es iſt daher ein Herausſtreben aus der Längen-Com-
poſition ſichtbar, und daſſelbe verwirklicht ſich in dem getrennten einzelnen
Felde, das nur Eine Gruppe darſtellt, in der Metope namentlich (Rund-
felder gehören mehr zur Zierplaſtik, Halbrundfelder, wenn ſie architekto-
niſch groß ſind, zur Gattung der Giebelfelder). Die Längencompoſition
zieht ſich nun zur quadratiſchen zuſammen, d. h. richtiger, die Art der
gegebenen Fläche hat keinen Einfluß mehr auf die Compoſition, ſondern
dieſe ordnet wie ein freies Sculpturwerk nur noch den Bedingungen
folgend, die ſich überhaupt aus der Anheftung an die Fläche ergeben,
ihre ſparſamen Gruppen.

§. 628.

1.

Die Compoſition, die ihr Werk von der Fläche löſt, aber noch an ihre
architektoniſche Flucht anſchließt, hat im Dreiecke des Giebelfelds den
günſtigen Rahmen für ſämmtliche Hauptmomente ihrer Rhythmusbildenden Thä-
tigkeit, worin Ueberordnung und ſymmetriſche Unterordnung ſich in der pyra-
midalen
Form entfaltet. Dieſe ergibt ſich als die der Bildnerkunſt überhaupt
2.entſprechende aus §. 626 und herrſcht auch in der freien Sculptur. Doch
tritt auch in der letzteren das Prinzip der reihenartig lockern Länge-Compo-
ſition neben dem der engern, von lebendiger Situation und Handlung bis zur
engſten Verflechtung fortſchreitenden und eine rein geſchloſſene Einheit von Con-
traſten bildenden wieder hervor.

1. Die von der Fläche losgetrennte und doch ihrer Flucht folgende
Sculptur iſt ganz die Mitte zwiſchen der völlig freien und dem Relief;
ſie hat von dieſem die Eigenſchaft, daß die Figuren nur von Einer Seite
zu ſehen, wenigſtens ſtrenger nur auf Eine berechnet ſind, alſo den Einen
Plan und die Längsrichtung, von jener zunächſt die volle Ausführung, nur
natürlich mit Vernachläſſigung der Rückſeite, und die geſchloſſenere Com-
poſition. Dieſe Geſchloſſenheit gründet ſich aber hier auf ein von außen

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[450/0124] Kräfte und Linien, der ſich aber in einem Anklang von Symmetrie zu- gleich auflöſen wird, in welchem jene Contrapoſte der einzelnen Figur (§. 626) ſich nun als eine Wechſel-Ergänzung von Linien in mehreren Figuren entfalten. Die Gruppen ſelbſt aber ſtehen eine zur andern in dem Verhältniß des Gegenſatzes und zugleich der wechſelſeitigen Ergän- zung, alſo der belebten Symmetrie, ſo daß z. B. hier ein Grieche eine Amazone beſiegt, dort umgekehrt, oder mit weniger Contraſt ſo, daß die ähnlichere Gruppe der ähnlicheren, aber in divergirenden Linien ent- ſpricht. Das Ganze hat ſich nun doch in ſelbſtändigere Gruppen aufge- löſt; jede derſelben iſt tiefer verbunden, verflochten, während vorher die aufgelöſten Einzelfiguren ſich enger als Ganzes in ihrer Geſammtheit zu- ſammenſchloſſen. Es iſt daher ein Herausſtreben aus der Längen-Com- poſition ſichtbar, und daſſelbe verwirklicht ſich in dem getrennten einzelnen Felde, das nur Eine Gruppe darſtellt, in der Metope namentlich (Rund- felder gehören mehr zur Zierplaſtik, Halbrundfelder, wenn ſie architekto- niſch groß ſind, zur Gattung der Giebelfelder). Die Längencompoſition zieht ſich nun zur quadratiſchen zuſammen, d. h. richtiger, die Art der gegebenen Fläche hat keinen Einfluß mehr auf die Compoſition, ſondern dieſe ordnet wie ein freies Sculpturwerk nur noch den Bedingungen folgend, die ſich überhaupt aus der Anheftung an die Fläche ergeben, ihre ſparſamen Gruppen. §. 628. Die Compoſition, die ihr Werk von der Fläche löſt, aber noch an ihre architektoniſche Flucht anſchließt, hat im Dreiecke des Giebelfelds den günſtigen Rahmen für ſämmtliche Hauptmomente ihrer Rhythmusbildenden Thä- tigkeit, worin Ueberordnung und ſymmetriſche Unterordnung ſich in der pyra- midalen Form entfaltet. Dieſe ergibt ſich als die der Bildnerkunſt überhaupt entſprechende aus §. 626 und herrſcht auch in der freien Sculptur. Doch tritt auch in der letzteren das Prinzip der reihenartig lockern Länge-Compo- ſition neben dem der engern, von lebendiger Situation und Handlung bis zur engſten Verflechtung fortſchreitenden und eine rein geſchloſſene Einheit von Con- traſten bildenden wieder hervor. 1. Die von der Fläche losgetrennte und doch ihrer Flucht folgende Sculptur iſt ganz die Mitte zwiſchen der völlig freien und dem Relief; ſie hat von dieſem die Eigenſchaft, daß die Figuren nur von Einer Seite zu ſehen, wenigſtens ſtrenger nur auf Eine berechnet ſind, alſo den Einen Plan und die Längsrichtung, von jener zunächſt die volle Ausführung, nur natürlich mit Vernachläſſigung der Rückſeite, und die geſchloſſenere Com- poſition. Dieſe Geſchloſſenheit gründet ſich aber hier auf ein von außen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/124>, abgerufen am 28.03.2024.