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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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entfernt. Das Stylbild, das so in seiner Reinheit dem Stimmungsbild
entgegentritt, ist natürlich als Landschaftgemälde selbst ein Stimmungsbild;
schon in der spezifischen Form der historischen Landschaft hat es nicht das
bewegungsreiche Leben der Luft, nicht die Zauberwelt der Farbe verschmäht,
Caspar Poussin geht zu stürmischer, dramatischer Erregung fort, bei Claude
Lorrain wiegt sich eine himmlische Formenwelt im zarten Silberdufte des
reinsten Aethers, Alles ist in die Stimmung eines hohen, heitern Selbst-
genusses im Wechseltausche vollkommenen Daseins getaucht. Allein der
Gegensatz des Epischen und Lyrischen tritt im Lyrischen noch einmal ein:
das Stylbild ist durch seine plastische Natur objectiv und durch diese Ob-
jectivität episch. Daß dieser Anschauung die Wandmalerei zusagen muß,
bedarf keiner Erklärung; wir haben hiemit das erste Beispiel, wie sich
das Moment der Auffassung mit den andern Momenten der Unter-Ein-
theilung in der Malerei verbindet. -- Es ist nun aber der Gegensatz
zwischen Stimmungsbild und Stylbild überhaupt nicht abstract zu fassen.
Wenn schon die historische Landschaft bald mehr die Form, bald mehr
die allgemeinen Medien Licht und Luft in Bewegung oder Ruhe betont
hat, so wird dieß ein bleibender Unterschied in der Auffassung des Stylbilds
sein und also, da Licht und Luft die eigentlichen Träger der Stimmung
sind, eine bleibende Richtung herüber nach dem Stimmungsbild auf dieser
Seite hervortreten; der Grad der Einführung des örtlichen Gepräges und
der Zufälligkeiten überhaupt wird bis zu einer zarten Grenze sich verschie-
den bestimmen; das Naturbild wird, wie gesagt, im Allgemeinen die pla-
stische Natur des europäischen Südens bleiben, doch ist der Orient und
selbst der Westen und Norden, sofern sie einzelne rein entwickelte und
glückliche Formenverbindungen und Momente darbieten, nicht ausgeschlossen.
Umgekehrt ist das Stimmungsbild im Stoffe noch viel weniger beschränkt;
denn obwohl die Betonung des Ausdrucks durch ein gewisses Mißver-
hältniß der Form ihm wesentlich und daher eine rauhere Zone zusagender
ist, so bietet doch auch die südliche Natur im Reize der Form und Farbe
des Zufälligen genug, um jene Art der Accentuirung zu unterstützen; kann
ferner das Stylbild auch bewegungsreich sein, so erreicht umgekehrt das
Stimmungsbild seine Absichten auch in der Darstellung einer träumerischen
Ruhe und neigt es in feiner Belauschung des Einzelnen zum Bindemittel
des Oels und kleinem Maaßstabe, so ist ihm doch, da das Großartige
in keiner Weise ausgeschlossen ist, auch die Freske nicht unbedingt entgegen.

§. 700.

Die Beziehung der Phantasie auf verschiedene Arten des Stoffes, auf1.
die Unterschiede der Weltgegenden und Landstriche, berührt sich mit dieser Ein-

entfernt. Das Stylbild, das ſo in ſeiner Reinheit dem Stimmungsbild
entgegentritt, iſt natürlich als Landſchaftgemälde ſelbſt ein Stimmungsbild;
ſchon in der ſpezifiſchen Form der hiſtoriſchen Landſchaft hat es nicht das
bewegungsreiche Leben der Luft, nicht die Zauberwelt der Farbe verſchmäht,
Caſpar Pouſſin geht zu ſtürmiſcher, dramatiſcher Erregung fort, bei Claude
Lorrain wiegt ſich eine himmliſche Formenwelt im zarten Silberdufte des
reinſten Aethers, Alles iſt in die Stimmung eines hohen, heitern Selbſt-
genuſſes im Wechſeltauſche vollkommenen Daſeins getaucht. Allein der
Gegenſatz des Epiſchen und Lyriſchen tritt im Lyriſchen noch einmal ein:
das Stylbild iſt durch ſeine plaſtiſche Natur objectiv und durch dieſe Ob-
jectivität epiſch. Daß dieſer Anſchauung die Wandmalerei zuſagen muß,
bedarf keiner Erklärung; wir haben hiemit das erſte Beiſpiel, wie ſich
das Moment der Auffaſſung mit den andern Momenten der Unter-Ein-
theilung in der Malerei verbindet. — Es iſt nun aber der Gegenſatz
zwiſchen Stimmungsbild und Stylbild überhaupt nicht abſtract zu faſſen.
Wenn ſchon die hiſtoriſche Landſchaft bald mehr die Form, bald mehr
die allgemeinen Medien Licht und Luft in Bewegung oder Ruhe betont
hat, ſo wird dieß ein bleibender Unterſchied in der Auffaſſung des Stylbilds
ſein und alſo, da Licht und Luft die eigentlichen Träger der Stimmung
ſind, eine bleibende Richtung herüber nach dem Stimmungsbild auf dieſer
Seite hervortreten; der Grad der Einführung des örtlichen Gepräges und
der Zufälligkeiten überhaupt wird bis zu einer zarten Grenze ſich verſchie-
den beſtimmen; das Naturbild wird, wie geſagt, im Allgemeinen die pla-
ſtiſche Natur des europäiſchen Südens bleiben, doch iſt der Orient und
ſelbſt der Weſten und Norden, ſofern ſie einzelne rein entwickelte und
glückliche Formenverbindungen und Momente darbieten, nicht ausgeſchloſſen.
Umgekehrt iſt das Stimmungsbild im Stoffe noch viel weniger beſchränkt;
denn obwohl die Betonung des Ausdrucks durch ein gewiſſes Mißver-
hältniß der Form ihm weſentlich und daher eine rauhere Zone zuſagender
iſt, ſo bietet doch auch die ſüdliche Natur im Reize der Form und Farbe
des Zufälligen genug, um jene Art der Accentuirung zu unterſtützen; kann
ferner das Stylbild auch bewegungsreich ſein, ſo erreicht umgekehrt das
Stimmungsbild ſeine Abſichten auch in der Darſtellung einer träumeriſchen
Ruhe und neigt es in feiner Belauſchung des Einzelnen zum Bindemittel
des Oels und kleinem Maaßſtabe, ſo iſt ihm doch, da das Großartige
in keiner Weiſe ausgeſchloſſen iſt, auch die Freske nicht unbedingt entgegen.

§. 700.

Die Beziehung der Phantaſie auf verſchiedene Arten des Stoffes, auf1.
die Unterſchiede der Weltgegenden und Landſtriche, berührt ſich mit dieſer Ein-

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[653/0161] entfernt. Das Stylbild, das ſo in ſeiner Reinheit dem Stimmungsbild entgegentritt, iſt natürlich als Landſchaftgemälde ſelbſt ein Stimmungsbild; ſchon in der ſpezifiſchen Form der hiſtoriſchen Landſchaft hat es nicht das bewegungsreiche Leben der Luft, nicht die Zauberwelt der Farbe verſchmäht, Caſpar Pouſſin geht zu ſtürmiſcher, dramatiſcher Erregung fort, bei Claude Lorrain wiegt ſich eine himmliſche Formenwelt im zarten Silberdufte des reinſten Aethers, Alles iſt in die Stimmung eines hohen, heitern Selbſt- genuſſes im Wechſeltauſche vollkommenen Daſeins getaucht. Allein der Gegenſatz des Epiſchen und Lyriſchen tritt im Lyriſchen noch einmal ein: das Stylbild iſt durch ſeine plaſtiſche Natur objectiv und durch dieſe Ob- jectivität epiſch. Daß dieſer Anſchauung die Wandmalerei zuſagen muß, bedarf keiner Erklärung; wir haben hiemit das erſte Beiſpiel, wie ſich das Moment der Auffaſſung mit den andern Momenten der Unter-Ein- theilung in der Malerei verbindet. — Es iſt nun aber der Gegenſatz zwiſchen Stimmungsbild und Stylbild überhaupt nicht abſtract zu faſſen. Wenn ſchon die hiſtoriſche Landſchaft bald mehr die Form, bald mehr die allgemeinen Medien Licht und Luft in Bewegung oder Ruhe betont hat, ſo wird dieß ein bleibender Unterſchied in der Auffaſſung des Stylbilds ſein und alſo, da Licht und Luft die eigentlichen Träger der Stimmung ſind, eine bleibende Richtung herüber nach dem Stimmungsbild auf dieſer Seite hervortreten; der Grad der Einführung des örtlichen Gepräges und der Zufälligkeiten überhaupt wird bis zu einer zarten Grenze ſich verſchie- den beſtimmen; das Naturbild wird, wie geſagt, im Allgemeinen die pla- ſtiſche Natur des europäiſchen Südens bleiben, doch iſt der Orient und ſelbſt der Weſten und Norden, ſofern ſie einzelne rein entwickelte und glückliche Formenverbindungen und Momente darbieten, nicht ausgeſchloſſen. Umgekehrt iſt das Stimmungsbild im Stoffe noch viel weniger beſchränkt; denn obwohl die Betonung des Ausdrucks durch ein gewiſſes Mißver- hältniß der Form ihm weſentlich und daher eine rauhere Zone zuſagender iſt, ſo bietet doch auch die ſüdliche Natur im Reize der Form und Farbe des Zufälligen genug, um jene Art der Accentuirung zu unterſtützen; kann ferner das Stylbild auch bewegungsreich ſein, ſo erreicht umgekehrt das Stimmungsbild ſeine Abſichten auch in der Darſtellung einer träumeriſchen Ruhe und neigt es in feiner Belauſchung des Einzelnen zum Bindemittel des Oels und kleinem Maaßſtabe, ſo iſt ihm doch, da das Großartige in keiner Weiſe ausgeſchloſſen iſt, auch die Freske nicht unbedingt entgegen. §. 700. Die Beziehung der Phantaſie auf verſchiedene Arten des Stoffes, auf die Unterſchiede der Weltgegenden und Landſtriche, berührt ſich mit dieſer Ein-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/161>, abgerufen am 28.03.2024.