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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Fünfter Brief.
Untergegangene Schöpfungen.


Die verschiedenen Schichten der Erde bergen in ihrem Innern
einen großen Reichthum von Ueberresten zu Grunde gegangener Thiere,
welche früher die Oberfläche der Erde bevölkerten. Anfangs nur Ge-
genstände des Staunens oder der Neugierde, fesselten diese versteinerten
Reste doch später die ungetheilte Aufmerksamkeit vieler Forscher, und
je mehr man sich mit ihnen beschäftigte, desto wichtiger erschien ihre
Vergleichung mit den Thierformen der Jetztwelt, sowie die genaue
Bestimmung ihres Fundortes und der Schicht, in welcher sie einge-
schlossen waren. Man erkannte, daß die Versteinerungen, wenn sie
oft auch noch so abweichend gestaltet waren, dennoch den Plan ver-
vollständigten, welchen die jetzige Schöpfung uns vor Augen stellt; daß
sie gleichsam die Lücken ausfüllten, welche in der Gesammtheit des Bil-
des vorhanden waren, und wesentlich zur Erläuterung mancher isolirten
Erscheinungen dienten, deren Anknüpfungspunkte man vergebens in
der Jetztwelt suchte. Die Untersuchung der Versteinerungen wurde bei
der Mangelhaftigkeit der Reste, die uns geblieben sind, ein wahrer
Prüfstein für die Genauigkeit unserer Kenntnisse. Lebende und fossile
Thiere bildeten gleichsam eine Doppelkontrole für die Fortschritte der
Wissenschaft im Allgemeinen, denn zur Erkennung der oft unscheinba-
ren Reste und losen Theile (Knochen, Zähne etc.) bedurfte es der ge-
nauesten Kenntniß und der minutiösesten Vergleichung mit den analogen
Theilen lebender Thiere, wodurch die Untersuchung dieser letzteren
wesentlich gefördert wurde.

Für die Geologie hatten die Versteinerungen insofern einen unge-
mein großen Werth, als sie zur genaueren Bestimmung der Schichten
dienten, in welchen sie sich vorfanden. Man hatte bald bemerkt, daß
gewisse leicht kenntliche Versteinerungen sich überall wieder fan-
den, wo dieselbe Gesteinsschichte wiederkehrte, und man fand, daß
diese Fossilien für den Geologen etwa denselben Nutzen hatten, wie
für den Geschichtsforscher die Münzen, welche er aus dem Schutte
versunkener Städte hervorgräbt, daß sie gleichsam Erkennungsmedaillen
waren für die Zeitperioden, in welcher die Schicht sich bildete. Mehr
und mehr gestalteten sich bei fortdauernder Untersuchung die Kenntnisse
über die Einschlüsse der Schichten. Man verglich die Versteinerungen,
diese Münzen einer großen tellurischen Geschichtsperiode unter sich selbst

Fünfter Brief.
Untergegangene Schöpfungen.


Die verſchiedenen Schichten der Erde bergen in ihrem Innern
einen großen Reichthum von Ueberreſten zu Grunde gegangener Thiere,
welche früher die Oberfläche der Erde bevölkerten. Anfangs nur Ge-
genſtände des Staunens oder der Neugierde, feſſelten dieſe verſteinerten
Reſte doch ſpäter die ungetheilte Aufmerkſamkeit vieler Forſcher, und
je mehr man ſich mit ihnen beſchäftigte, deſto wichtiger erſchien ihre
Vergleichung mit den Thierformen der Jetztwelt, ſowie die genaue
Beſtimmung ihres Fundortes und der Schicht, in welcher ſie einge-
ſchloſſen waren. Man erkannte, daß die Verſteinerungen, wenn ſie
oft auch noch ſo abweichend geſtaltet waren, dennoch den Plan ver-
vollſtändigten, welchen die jetzige Schöpfung uns vor Augen ſtellt; daß
ſie gleichſam die Lücken ausfüllten, welche in der Geſammtheit des Bil-
des vorhanden waren, und weſentlich zur Erläuterung mancher iſolirten
Erſcheinungen dienten, deren Anknüpfungspunkte man vergebens in
der Jetztwelt ſuchte. Die Unterſuchung der Verſteinerungen wurde bei
der Mangelhaftigkeit der Reſte, die uns geblieben ſind, ein wahrer
Prüfſtein für die Genauigkeit unſerer Kenntniſſe. Lebende und foſſile
Thiere bildeten gleichſam eine Doppelkontrole für die Fortſchritte der
Wiſſenſchaft im Allgemeinen, denn zur Erkennung der oft unſcheinba-
ren Reſte und loſen Theile (Knochen, Zähne etc.) bedurfte es der ge-
naueſten Kenntniß und der minutiöſeſten Vergleichung mit den analogen
Theilen lebender Thiere, wodurch die Unterſuchung dieſer letzteren
weſentlich gefördert wurde.

Für die Geologie hatten die Verſteinerungen inſofern einen unge-
mein großen Werth, als ſie zur genaueren Beſtimmung der Schichten
dienten, in welchen ſie ſich vorfanden. Man hatte bald bemerkt, daß
gewiſſe leicht kenntliche Verſteinerungen ſich überall wieder fan-
den, wo dieſelbe Geſteinsſchichte wiederkehrte, und man fand, daß
dieſe Foſſilien für den Geologen etwa denſelben Nutzen hatten, wie
für den Geſchichtsforſcher die Münzen, welche er aus dem Schutte
verſunkener Städte hervorgräbt, daß ſie gleichſam Erkennungsmedaillen
waren für die Zeitperioden, in welcher die Schicht ſich bildete. Mehr
und mehr geſtalteten ſich bei fortdauernder Unterſuchung die Kenntniſſe
über die Einſchlüſſe der Schichten. Man verglich die Verſteinerungen,
dieſe Münzen einer großen telluriſchen Geſchichtsperiode unter ſich ſelbſt

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[71/0077] Fünfter Brief. Untergegangene Schöpfungen. Die verſchiedenen Schichten der Erde bergen in ihrem Innern einen großen Reichthum von Ueberreſten zu Grunde gegangener Thiere, welche früher die Oberfläche der Erde bevölkerten. Anfangs nur Ge- genſtände des Staunens oder der Neugierde, feſſelten dieſe verſteinerten Reſte doch ſpäter die ungetheilte Aufmerkſamkeit vieler Forſcher, und je mehr man ſich mit ihnen beſchäftigte, deſto wichtiger erſchien ihre Vergleichung mit den Thierformen der Jetztwelt, ſowie die genaue Beſtimmung ihres Fundortes und der Schicht, in welcher ſie einge- ſchloſſen waren. Man erkannte, daß die Verſteinerungen, wenn ſie oft auch noch ſo abweichend geſtaltet waren, dennoch den Plan ver- vollſtändigten, welchen die jetzige Schöpfung uns vor Augen ſtellt; daß ſie gleichſam die Lücken ausfüllten, welche in der Geſammtheit des Bil- des vorhanden waren, und weſentlich zur Erläuterung mancher iſolirten Erſcheinungen dienten, deren Anknüpfungspunkte man vergebens in der Jetztwelt ſuchte. Die Unterſuchung der Verſteinerungen wurde bei der Mangelhaftigkeit der Reſte, die uns geblieben ſind, ein wahrer Prüfſtein für die Genauigkeit unſerer Kenntniſſe. Lebende und foſſile Thiere bildeten gleichſam eine Doppelkontrole für die Fortſchritte der Wiſſenſchaft im Allgemeinen, denn zur Erkennung der oft unſcheinba- ren Reſte und loſen Theile (Knochen, Zähne etc.) bedurfte es der ge- naueſten Kenntniß und der minutiöſeſten Vergleichung mit den analogen Theilen lebender Thiere, wodurch die Unterſuchung dieſer letzteren weſentlich gefördert wurde. Für die Geologie hatten die Verſteinerungen inſofern einen unge- mein großen Werth, als ſie zur genaueren Beſtimmung der Schichten dienten, in welchen ſie ſich vorfanden. Man hatte bald bemerkt, daß gewiſſe leicht kenntliche Verſteinerungen ſich überall wieder fan- den, wo dieſelbe Geſteinsſchichte wiederkehrte, und man fand, daß dieſe Foſſilien für den Geologen etwa denſelben Nutzen hatten, wie für den Geſchichtsforſcher die Münzen, welche er aus dem Schutte verſunkener Städte hervorgräbt, daß ſie gleichſam Erkennungsmedaillen waren für die Zeitperioden, in welcher die Schicht ſich bildete. Mehr und mehr geſtalteten ſich bei fortdauernder Unterſuchung die Kenntniſſe über die Einſchlüſſe der Schichten. Man verglich die Verſteinerungen, dieſe Münzen einer großen telluriſchen Geſchichtsperiode unter ſich ſelbſt

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/77>, abgerufen am 29.03.2024.