Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

Kunstwerkes errichten, nicht aber den lebendigen Menschen
in ihm uns mehr vorzustellen nöthig haben, dann erst wird
die wahre Plastik auch vorhanden sein.

3.
Malerkunst.

Wie da, wo uns der Genuß an dem symphonischen
Spiele eines Orchesters versagt ist, wir am Claviere durch
einen Auszug diesen Genuß uns zurückzurufen versuchen;
wie wir den Eindruck, den ein farbiges Oelgemälde in
einer Bildergallerie auf uns machte, da, wo uns der An¬
blick dieses Gemäldes nicht mehr verstattet ist, uns durch
einen Kupferstich zu vergegenwärtigen trachten, -- so hatte
die Malerkunst, wenn nicht in ihrer Entstehung, doch
in ihrer künstlerischen Ausbildung, dem sehnsüchtigen Be¬
dürfnisse zu entsprechen, das verloren gegangene, mensch¬
lich lebendige Kunstwerk der Erinnerung wieder vorzu¬
führen.

Ihren rohen Anfängen, wo sie gleich der Bildhauerei
aus dem noch unkünstlerischen religiösen Vorstellungs¬
drange hervorging, haben wir hier vorüberzugehen, indem
sie künstlerische Bedeutung erst von da an gewinnt, wo das
lebendige Kunstwerk der Tragödie verblich und dafür die

Kunſtwerkes errichten, nicht aber den lebendigen Menſchen
in ihm uns mehr vorzuſtellen nöthig haben, dann erſt wird
die wahre Plaſtik auch vorhanden ſein.

3.
Malerkunſt.

Wie da, wo uns der Genuß an dem ſymphoniſchen
Spiele eines Orcheſters verſagt iſt, wir am Claviere durch
einen Auszug dieſen Genuß uns zurückzurufen verſuchen;
wie wir den Eindruck, den ein farbiges Oelgemälde in
einer Bildergallerie auf uns machte, da, wo uns der An¬
blick dieſes Gemäldes nicht mehr verſtattet iſt, uns durch
einen Kupferſtich zu vergegenwärtigen trachten, — ſo hatte
die Malerkunſt, wenn nicht in ihrer Entſtehung, doch
in ihrer künſtleriſchen Ausbildung, dem ſehnſüchtigen Be¬
dürfniſſe zu entſprechen, das verloren gegangene, menſch¬
lich lebendige Kunſtwerk der Erinnerung wieder vorzu¬
führen.

Ihren rohen Anfängen, wo ſie gleich der Bildhauerei
aus dem noch unkünſtleriſchen religiöſen Vorſtellungs¬
drange hervorging, haben wir hier vorüberzugehen, indem
ſie künſtleriſche Bedeutung erſt von da an gewinnt, wo das
lebendige Kunſtwerk der Tragödie verblich und dafür die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="170"/>
Kun&#x017F;twerkes errichten, nicht aber den lebendigen Men&#x017F;chen<lb/>
in ihm uns mehr vorzu&#x017F;tellen nöthig haben, dann er&#x017F;t wird<lb/>
die <hi rendition="#g">wahre Pla&#x017F;tik</hi> auch vorhanden &#x017F;ein.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>3.<lb/>
Malerkun&#x017F;t.<lb/></head>
          <p>Wie da, wo uns der Genuß an dem &#x017F;ymphoni&#x017F;chen<lb/>
Spiele eines Orche&#x017F;ters ver&#x017F;agt i&#x017F;t, wir am Claviere durch<lb/>
einen Auszug die&#x017F;en Genuß uns zurückzurufen ver&#x017F;uchen;<lb/>
wie wir den Eindruck, den ein farbiges Oelgemälde in<lb/>
einer Bildergallerie auf uns machte, da, wo uns der An¬<lb/>
blick die&#x017F;es Gemäldes nicht mehr ver&#x017F;tattet i&#x017F;t, uns durch<lb/>
einen Kupfer&#x017F;tich zu vergegenwärtigen trachten, &#x2014; &#x017F;o hatte<lb/>
die <hi rendition="#g">Malerkun&#x017F;t</hi>, wenn nicht in ihrer Ent&#x017F;tehung, doch<lb/>
in ihrer kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Ausbildung, dem &#x017F;ehn&#x017F;üchtigen Be¬<lb/>
dürfni&#x017F;&#x017F;e zu ent&#x017F;prechen, das verloren gegangene, men&#x017F;ch¬<lb/>
lich lebendige Kun&#x017F;twerk der Erinnerung wieder vorzu¬<lb/>
führen.</p><lb/>
          <p>Ihren rohen Anfängen, wo &#x017F;ie gleich der Bildhauerei<lb/>
aus dem noch unkün&#x017F;tleri&#x017F;chen religiö&#x017F;en Vor&#x017F;tellungs¬<lb/>
drange hervorging, haben wir hier vorüberzugehen, indem<lb/>
&#x017F;ie kün&#x017F;tleri&#x017F;che Bedeutung er&#x017F;t von da an gewinnt, wo das<lb/>
lebendige Kun&#x017F;twerk der Tragödie verblich und dafür die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0186] Kunſtwerkes errichten, nicht aber den lebendigen Menſchen in ihm uns mehr vorzuſtellen nöthig haben, dann erſt wird die wahre Plaſtik auch vorhanden ſein. 3. Malerkunſt. Wie da, wo uns der Genuß an dem ſymphoniſchen Spiele eines Orcheſters verſagt iſt, wir am Claviere durch einen Auszug dieſen Genuß uns zurückzurufen verſuchen; wie wir den Eindruck, den ein farbiges Oelgemälde in einer Bildergallerie auf uns machte, da, wo uns der An¬ blick dieſes Gemäldes nicht mehr verſtattet iſt, uns durch einen Kupferſtich zu vergegenwärtigen trachten, — ſo hatte die Malerkunſt, wenn nicht in ihrer Entſtehung, doch in ihrer künſtleriſchen Ausbildung, dem ſehnſüchtigen Be¬ dürfniſſe zu entſprechen, das verloren gegangene, menſch¬ lich lebendige Kunſtwerk der Erinnerung wieder vorzu¬ führen. Ihren rohen Anfängen, wo ſie gleich der Bildhauerei aus dem noch unkünſtleriſchen religiöſen Vorſtellungs¬ drange hervorging, haben wir hier vorüberzugehen, indem ſie künſtleriſche Bedeutung erſt von da an gewinnt, wo das lebendige Kunſtwerk der Tragödie verblich und dafür die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/186
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/186>, abgerufen am 25.04.2024.