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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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wohnungen, Armenlasten, sozialen Verpflichtungen spart, weil sie
ferner als Ausländer prekär gestellt und deshalb in der Hand
des Besitzers sind. Der ökonomische Todeskampf des alten preußi-
schen Junkertums vollzieht sich unter diesen Begleiterscheinungen.
Auf den Zuckerrübengütern tritt an die Stelle des patriarchalisch
schaltenden Gutsherrn ein Stand industrieller Geschäftsleute, -
und auf der Höhe bröckelt unter dem Druck der landwirtschaft-
lichen Notlage das Areal der Güter von außen her ab, Parzellen-
pächter- und Kleinbauernkolonieen entstehen auf ihren Außen-
schlägen. Die ökonomischen Fundamente der Machtstellung des
alten Grundadels schwinden, er selbst wird zu etwas anderem,
als er war. -

Und weshalb sind es die polnischen Bauern, die an Terrain
gewinnen? Jst es ihre überlegene ökonomische Jntelligenz oder
Kapitalkraft? Es ist vielmehr das Gegenteil von beiden. Unter
einem Klima und auf einem Boden, welche neben extensiver Vieh-
zucht wesentlich Getreide- und Kartoffelproduktion gestatten, ist
hier Derjenige am wenigsten durch die Ungunst des Marktes be-
droht, der seine Produkte dahin bringt, wo sie durch den Preis-
sturz am wenigsten entwertet werden: in seinen eigenen Magen:
- der für seinen Eigenbedarf produziert. Und wiederum ist
Derjenige begünstigt, der seinen Eigenbedarf am niedrigsten be-
messen kann, die geringsten Ansprüche an die Lebenshaltung in
physischer und ideeller Beziehung macht. Der polnische Klein-
bauer im Osten ist ein Typus sehr abweichender Art von dem
geschäftigen Zwergbauerntum, welches Sie hier in der gesegneten
Rheinebene durch Handelsgewächsbau und Gartenkultur sich an
die Städte angliedern sehen. Der polnische Kleinbauer gewinnt
an Boden, weil er gewissermaßen das Gras vom Boden frißt,

wohnungen, Armenlaſten, ſozialen Verpflichtungen ſpart, weil ſie
ferner als Ausländer prekär geſtellt und deshalb in der Hand
des Beſitzers ſind. Der ökonomiſche Todeskampf des alten preußi-
ſchen Junkertums vollzieht ſich unter dieſen Begleiterſcheinungen.
Auf den Zuckerrübengütern tritt an die Stelle des patriarchaliſch
ſchaltenden Gutsherrn ein Stand induſtrieller Geſchäftsleute, –
und auf der Höhe bröckelt unter dem Druck der landwirtſchaft-
lichen Notlage das Areal der Güter von außen her ab, Parzellen-
pächter- und Kleinbauernkolonieen entſtehen auf ihren Außen-
ſchlägen. Die ökonomiſchen Fundamente der Machtſtellung des
alten Grundadels ſchwinden, er ſelbſt wird zu etwas anderem,
als er war. –

Und weshalb ſind es die polniſchen Bauern, die an Terrain
gewinnen? Jſt es ihre überlegene ökonomiſche Jntelligenz oder
Kapitalkraft? Es iſt vielmehr das Gegenteil von beiden. Unter
einem Klima und auf einem Boden, welche neben extenſiver Vieh-
zucht weſentlich Getreide- und Kartoffelproduktion geſtatten, iſt
hier Derjenige am wenigſten durch die Ungunſt des Marktes be-
droht, der ſeine Produkte dahin bringt, wo ſie durch den Preis-
ſturz am wenigſten entwertet werden: in ſeinen eigenen Magen:
– der für ſeinen Eigenbedarf produziert. Und wiederum iſt
Derjenige begünſtigt, der ſeinen Eigenbedarf am niedrigſten be-
meſſen kann, die geringſten Anſprüche an die Lebenshaltung in
phyſiſcher und ideeller Beziehung macht. Der polniſche Klein-
bauer im Oſten iſt ein Typus ſehr abweichender Art von dem
geſchäftigen Zwergbauerntum, welches Sie hier in der geſegneten
Rheinebene durch Handelsgewächſbau und Gartenkultur ſich an
die Städte angliedern ſehen. Der polniſche Kleinbauer gewinnt
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[10/0016] wohnungen, Armenlaſten, ſozialen Verpflichtungen ſpart, weil ſie ferner als Ausländer prekär geſtellt und deshalb in der Hand des Beſitzers ſind. Der ökonomiſche Todeskampf des alten preußi- ſchen Junkertums vollzieht ſich unter dieſen Begleiterſcheinungen. Auf den Zuckerrübengütern tritt an die Stelle des patriarchaliſch ſchaltenden Gutsherrn ein Stand induſtrieller Geſchäftsleute, – und auf der Höhe bröckelt unter dem Druck der landwirtſchaft- lichen Notlage das Areal der Güter von außen her ab, Parzellen- pächter- und Kleinbauernkolonieen entſtehen auf ihren Außen- ſchlägen. Die ökonomiſchen Fundamente der Machtſtellung des alten Grundadels ſchwinden, er ſelbſt wird zu etwas anderem, als er war. – Und weshalb ſind es die polniſchen Bauern, die an Terrain gewinnen? Jſt es ihre überlegene ökonomiſche Jntelligenz oder Kapitalkraft? Es iſt vielmehr das Gegenteil von beiden. Unter einem Klima und auf einem Boden, welche neben extenſiver Vieh- zucht weſentlich Getreide- und Kartoffelproduktion geſtatten, iſt hier Derjenige am wenigſten durch die Ungunſt des Marktes be- droht, der ſeine Produkte dahin bringt, wo ſie durch den Preis- ſturz am wenigſten entwertet werden: in ſeinen eigenen Magen: – der für ſeinen Eigenbedarf produziert. Und wiederum iſt Derjenige begünſtigt, der ſeinen Eigenbedarf am niedrigſten be- meſſen kann, die geringſten Anſprüche an die Lebenshaltung in phyſiſcher und ideeller Beziehung macht. Der polniſche Klein- bauer im Oſten iſt ein Typus ſehr abweichender Art von dem geſchäftigen Zwergbauerntum, welches Sie hier in der geſegneten Rheinebene durch Handelsgewächſbau und Gartenkultur ſich an die Städte angliedern ſehen. Der polniſche Kleinbauer gewinnt an Boden, weil er gewiſſermaßen das Gras vom Boden frißt,

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/16>, abgerufen am 29.03.2024.