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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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daß sie siegen, scheinen sie ja zu beweisen, daß sie einen "ökonomisch"
höher stehenden Typus des Menschentums darstellen: allzuleicht
beherrscht den Historiker die Vorstellung, daß der Sieg der höher
entwickelten Elemente im Kampfe selbstverständlich und das Unter-
liegen im Daseinskampf Symptom der "Rückständigkeit" sei.
Und jedes neue der zahlreichen Symptome jener Machtverschie-
bung bietet ihm dann nicht nur deshalb eine Genugthuung, weil es
seine Beobachtungen bestätigt, sondern halb unbewußt empfindet
er es wie einen persönlichen Triumph: die Geschichte löst die
Wechsel ein, welche er auf sie zog. Die Widerstände, welche
jene Entwicklung findet, beobachtet er, ohne es zu wissen, mit
einer gewissen Animosität, sie erscheinen ihm, ungewollt, nicht
einfach als naturgemäße Ausflüsse selbstverständlicher Jnteressen-
vertretung, sondern gewissermaßen als Auflehnung gegen das
"Urteil der Geschichte", wie es der Historiker formulierte. Die
Kritik, welche wir auch an Vorgängen zu üben haben, die uns
als das unreflektierte Ergebnis geschichtlicher Entwicklungs-
tendenzen erscheinen, verläßt uns dann gerade da, wo wir ihrer
am nötigsten bedürfen. Allzunahe liegt ja für uns ohnehin die
Versuchung, das Gefolge des Siegers im ökonomischen Machtkampf
zu bilden und dabei zu vergessen, daß ökonomische Macht
und Beruf zur politischen Leitung der Nation nicht
immer zusammenfallen.

Denn - und damit werden wir zu einer letzten Reihe
von Betrachtungen mehr praktisch-politischer Art geführt - an
jenem politischen Wertmaßstab, der uns ökonomischen
Nationalisten der für uns einzig souveräne ist, messen wir auch
die Klassen, welche die Leitung der Nation in der Hand haben

daß ſie ſiegen, ſcheinen ſie ja zu beweiſen, daß ſie einen „ökonomiſch“
höher ſtehenden Typus des Menſchentums darſtellen: allzuleicht
beherrſcht den Hiſtoriker die Vorſtellung, daß der Sieg der höher
entwickelten Elemente im Kampfe ſelbſtverſtändlich und das Unter-
liegen im Daſeinskampf Symptom der „Rückſtändigkeit“ ſei.
Und jedes neue der zahlreichen Symptome jener Machtverſchie-
bung bietet ihm dann nicht nur deshalb eine Genugthuung, weil es
ſeine Beobachtungen beſtätigt, ſondern halb unbewußt empfindet
er es wie einen perſönlichen Triumph: die Geſchichte löſt die
Wechſel ein, welche er auf ſie zog. Die Widerſtände, welche
jene Entwicklung findet, beobachtet er, ohne es zu wiſſen, mit
einer gewiſſen Animoſität, ſie erſcheinen ihm, ungewollt, nicht
einfach als naturgemäße Ausflüſſe ſelbſtverſtändlicher Jntereſſen-
vertretung, ſondern gewiſſermaßen als Auflehnung gegen das
„Urteil der Geſchichte“, wie es der Hiſtoriker formulierte. Die
Kritik, welche wir auch an Vorgängen zu üben haben, die uns
als das unreflektierte Ergebnis geſchichtlicher Entwicklungs-
tendenzen erſcheinen, verläßt uns dann gerade da, wo wir ihrer
am nötigſten bedürfen. Allzunahe liegt ja für uns ohnehin die
Verſuchung, das Gefolge des Siegers im ökonomiſchen Machtkampf
zu bilden und dabei zu vergeſſen, daß ökonomiſche Macht
und Beruf zur politiſchen Leitung der Nation nicht
immer zuſammenfallen.

Denn – und damit werden wir zu einer letzten Reihe
von Betrachtungen mehr praktiſch-politiſcher Art geführt – an
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Nationaliſten der für uns einzig ſouveräne iſt, meſſen wir auch
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[24/0030] daß ſie ſiegen, ſcheinen ſie ja zu beweiſen, daß ſie einen „ökonomiſch“ höher ſtehenden Typus des Menſchentums darſtellen: allzuleicht beherrſcht den Hiſtoriker die Vorſtellung, daß der Sieg der höher entwickelten Elemente im Kampfe ſelbſtverſtändlich und das Unter- liegen im Daſeinskampf Symptom der „Rückſtändigkeit“ ſei. Und jedes neue der zahlreichen Symptome jener Machtverſchie- bung bietet ihm dann nicht nur deshalb eine Genugthuung, weil es ſeine Beobachtungen beſtätigt, ſondern halb unbewußt empfindet er es wie einen perſönlichen Triumph: die Geſchichte löſt die Wechſel ein, welche er auf ſie zog. Die Widerſtände, welche jene Entwicklung findet, beobachtet er, ohne es zu wiſſen, mit einer gewiſſen Animoſität, ſie erſcheinen ihm, ungewollt, nicht einfach als naturgemäße Ausflüſſe ſelbſtverſtändlicher Jntereſſen- vertretung, ſondern gewiſſermaßen als Auflehnung gegen das „Urteil der Geſchichte“, wie es der Hiſtoriker formulierte. Die Kritik, welche wir auch an Vorgängen zu üben haben, die uns als das unreflektierte Ergebnis geſchichtlicher Entwicklungs- tendenzen erſcheinen, verläßt uns dann gerade da, wo wir ihrer am nötigſten bedürfen. Allzunahe liegt ja für uns ohnehin die Verſuchung, das Gefolge des Siegers im ökonomiſchen Machtkampf zu bilden und dabei zu vergeſſen, daß ökonomiſche Macht und Beruf zur politiſchen Leitung der Nation nicht immer zuſammenfallen. Denn – und damit werden wir zu einer letzten Reihe von Betrachtungen mehr praktiſch-politiſcher Art geführt – an jenem politiſchen Wertmaßſtab, der uns ökonomiſchen Nationaliſten der für uns einzig ſouveräne iſt, meſſen wir auch die Klaſſen, welche die Leitung der Nation in der Hand haben

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/30>, abgerufen am 19.03.2024.