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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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tische Jdeale durch "ethische" ersetzen zu können meint und
diese wieder harmlos mit optimistischen Glückshoffnungen identi-
fiziert. -

Auch angesichts der gewaltigen Not der Massen der
Nation, welche das geschärfte soziale Gewissen der neuen Gene-
ration belastet, müssen wir aufrichtig bekennen: schwerer noch lastet
auf uns heute das Bewußtsein unserer Verantwortlichkeit vor der
Geschichte
. Nicht unserer Generation ist beschieden zu sehen,
ob der Kampf, den wir führen, Früchte trug, ob sich die Nach-
welt zu uns als ihren Ahnen bekennt. Es wird uns nicht ge-
lingen, den Fluch zu bannen, unter dem wir stehen: Nachgeborene
zu sein einer politisch großen Zeit, - es müßte denn sein, daß
wir verstünden, etwas Anderes zu werden: Vorläufer einer
größeren. Wird das unser Platz in der Geschichte sein? Jch
weiß es nicht und sage nur: es ist das Recht der Jugend, zu
sich selbst und ihren Jdealen zu stehen. Und nicht die Jahre
sind es, die den Menschen zum Greise machen: jung ist er, so-
lange er mit den großen Leidenschaften, welche die Natur in
uns legte, zu empfinden vermag. Und so - damit lassen Sie
mich schließen - so sind es nicht die Jahrtausende einer ruhm-
reichen Geschichte, unter deren Last eine große Nation altert.
Sie bleibt jung, wenn sie die Fähigkeit und den Mut hat,
sich zu sich selbst und den großen Jnstinkten, die ihr gegeben
sind, zu bekennen, und wenn ihre führenden Schichten sich hinauf-
zuheben vermögen in die harte und klare Luft, in welcher die
nüchterne Arbeit der deutschen Politik gedeiht, die aber auch
durchweht ist von der ernsten Herrlichkeit des nationalen Em-
pfindens.



tiſche Jdeale durch „ethiſche“ erſetzen zu können meint und
dieſe wieder harmlos mit optimiſtiſchen Glückshoffnungen identi-
fiziert. –

Auch angeſichts der gewaltigen Not der Maſſen der
Nation, welche das geſchärfte ſoziale Gewiſſen der neuen Gene-
ration belaſtet, müſſen wir aufrichtig bekennen: ſchwerer noch laſtet
auf uns heute das Bewußtſein unſerer Verantwortlichkeit vor der
Geſchichte
. Nicht unſerer Generation iſt beſchieden zu ſehen,
ob der Kampf, den wir führen, Früchte trug, ob ſich die Nach-
welt zu uns als ihren Ahnen bekennt. Es wird uns nicht ge-
lingen, den Fluch zu bannen, unter dem wir ſtehen: Nachgeborene
zu ſein einer politiſch großen Zeit, – es müßte denn ſein, daß
wir verſtünden, etwas Anderes zu werden: Vorläufer einer
größeren. Wird das unſer Platz in der Geſchichte ſein? Jch
weiß es nicht und ſage nur: es iſt das Recht der Jugend, zu
ſich ſelbſt und ihren Jdealen zu ſtehen. Und nicht die Jahre
ſind es, die den Menſchen zum Greiſe machen: jung iſt er, ſo-
lange er mit den großen Leidenſchaften, welche die Natur in
uns legte, zu empfinden vermag. Und ſo – damit laſſen Sie
mich ſchließen – ſo ſind es nicht die Jahrtauſende einer ruhm-
reichen Geſchichte, unter deren Laſt eine große Nation altert.
Sie bleibt jung, wenn ſie die Fähigkeit und den Mut hat,
ſich zu ſich ſelbſt und den großen Jnſtinkten, die ihr gegeben
ſind, zu bekennen, und wenn ihre führenden Schichten ſich hinauf-
zuheben vermögen in die harte und klare Luft, in welcher die
nüchterne Arbeit der deutſchen Politik gedeiht, die aber auch
durchweht iſt von der ernſten Herrlichkeit des nationalen Em-
pfindens.



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[34/0040] tiſche Jdeale durch „ethiſche“ erſetzen zu können meint und dieſe wieder harmlos mit optimiſtiſchen Glückshoffnungen identi- fiziert. – Auch angeſichts der gewaltigen Not der Maſſen der Nation, welche das geſchärfte ſoziale Gewiſſen der neuen Gene- ration belaſtet, müſſen wir aufrichtig bekennen: ſchwerer noch laſtet auf uns heute das Bewußtſein unſerer Verantwortlichkeit vor der Geſchichte. Nicht unſerer Generation iſt beſchieden zu ſehen, ob der Kampf, den wir führen, Früchte trug, ob ſich die Nach- welt zu uns als ihren Ahnen bekennt. Es wird uns nicht ge- lingen, den Fluch zu bannen, unter dem wir ſtehen: Nachgeborene zu ſein einer politiſch großen Zeit, – es müßte denn ſein, daß wir verſtünden, etwas Anderes zu werden: Vorläufer einer größeren. Wird das unſer Platz in der Geſchichte ſein? Jch weiß es nicht und ſage nur: es iſt das Recht der Jugend, zu ſich ſelbſt und ihren Jdealen zu ſtehen. Und nicht die Jahre ſind es, die den Menſchen zum Greiſe machen: jung iſt er, ſo- lange er mit den großen Leidenſchaften, welche die Natur in uns legte, zu empfinden vermag. Und ſo – damit laſſen Sie mich ſchließen – ſo ſind es nicht die Jahrtauſende einer ruhm- reichen Geſchichte, unter deren Laſt eine große Nation altert. Sie bleibt jung, wenn ſie die Fähigkeit und den Mut hat, ſich zu ſich ſelbſt und den großen Jnſtinkten, die ihr gegeben ſind, zu bekennen, und wenn ihre führenden Schichten ſich hinauf- zuheben vermögen in die harte und klare Luft, in welcher die nüchterne Arbeit der deutſchen Politik gedeiht, die aber auch durchweht iſt von der ernſten Herrlichkeit des nationalen Em- pfindens.

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/40>, abgerufen am 28.03.2024.