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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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tums? - so zeigen uns die Ziffern der bisher zuletzt publi-
zierten1) Bevölkerungsaufnahme von 1885 ein merkwürdiges Bild.
Aus dieser Aufnahme können wir zwar die nationale Zusammen-
setzung der Gemeinden nicht direkt, wohl aber - wenn wir
uns mit einer nur annähernden Richtigkeit der Ziffern zufrieden
geben - indirekt entnehmen: durch das Mittelglied der Kon-
fession, die innerhalb des für uns in Betracht kommenden
national gemischten Gebietes mit der Nationalität bis auf
wenige Prozente zusammentrifft. Scheiden wir die ökonomischen
Kategorien der Bauerndörfer und der Rittergüter in den ein-
zelnen Gegenden, indem wir sie, gleichfalls ungenau, mit den
Kommunaleinheiten2) der Landgemeinden bezw. Gutsbezirken identi-
fizieren, so zeigt sich, daß sie sich je nach der Bodengüte in
Bezug auf ihre nationale Zusammensetzung entgegengesetzt
von einander verhalten: in den fruchtbaren Kreisen sind die
Katholiken, d. h. die Polen, relativ am stärksten auf den Gütern
und die Evangelischen, d. h. die Deutschen, in den Dörfern zu
finden, - und gerade umgekehrt steht es in den Kreisen mit
schlechtem Boden. Faßt man z. B. die Kreise mit unter fünf
Mark Durchschnittssteuerreinertrag pro Hektar zusammen, so
sind in den Dörfern nur 35,5 %, auf den Gütern 50,2 %
Evangelische, nimmt man dagegen die Kreisgruppe, welche 10 bis
15 Mark Durchschnittssteuerreinertrag pro Hektar umfaßt, so
sind die Evangelischen in den Dörfern mit 60,7 %, auf den Gütern

1) "Gemeindelexikon" Berlin 1887.
2) Für die soziale Schichtung ist diese Verwaltungseinteilung
dennoch charakteristischer als die Zugrundlegung der Betriebs-
verteilung. Jn der Ebene sind Gutsbetriebe unter 100, auf der Höhe
Bauernbetriebe über 200 Hektar nichts seltenes.
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tums? – ſo zeigen uns die Ziffern der bisher zuletzt publi-
zierten1) Bevölkerungsaufnahme von 1885 ein merkwürdiges Bild.
Aus dieſer Aufnahme können wir zwar die nationale Zuſammen-
ſetzung der Gemeinden nicht direkt, wohl aber – wenn wir
uns mit einer nur annähernden Richtigkeit der Ziffern zufrieden
geben – indirekt entnehmen: durch das Mittelglied der Kon-
feſſion, die innerhalb des für uns in Betracht kommenden
national gemiſchten Gebietes mit der Nationalität bis auf
wenige Prozente zuſammentrifft. Scheiden wir die ökonomiſchen
Kategorien der Bauerndörfer und der Rittergüter in den ein-
zelnen Gegenden, indem wir ſie, gleichfalls ungenau, mit den
Kommunaleinheiten2) der Landgemeinden bezw. Gutsbezirken identi-
fizieren, ſo zeigt ſich, daß ſie ſich je nach der Bodengüte in
Bezug auf ihre nationale Zuſammenſetzung entgegengeſetzt
von einander verhalten: in den fruchtbaren Kreiſen ſind die
Katholiken, d. h. die Polen, relativ am ſtärkſten auf den Gütern
und die Evangeliſchen, d. h. die Deutſchen, in den Dörfern zu
finden, – und gerade umgekehrt ſteht es in den Kreiſen mit
ſchlechtem Boden. Faßt man z. B. die Kreiſe mit unter fünf
Mark Durchſchnittsſteuerreinertrag pro Hektar zuſammen, ſo
ſind in den Dörfern nur 35,5 %, auf den Gütern 50,2 %
Evangeliſche, nimmt man dagegen die Kreisgruppe, welche 10 bis
15 Mark Durchſchnittsſteuerreinertrag pro Hektar umfaßt, ſo
ſind die Evangeliſchen in den Dörfern mit 60,7 %, auf den Gütern

1) „Gemeindelexikon“ Berlin 1887.
2) Für die ſoziale Schichtung iſt dieſe Verwaltungseinteilung
dennoch charakteriſtiſcher als die Zugrundlegung der Betriebs-
verteilung. Jn der Ebene ſind Gutsbetriebe unter 100, auf der Höhe
Bauernbetriebe über 200 Hektar nichts ſeltenes.
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[3/0009] tums? – ſo zeigen uns die Ziffern der bisher zuletzt publi- zierten 1) Bevölkerungsaufnahme von 1885 ein merkwürdiges Bild. Aus dieſer Aufnahme können wir zwar die nationale Zuſammen- ſetzung der Gemeinden nicht direkt, wohl aber – wenn wir uns mit einer nur annähernden Richtigkeit der Ziffern zufrieden geben – indirekt entnehmen: durch das Mittelglied der Kon- feſſion, die innerhalb des für uns in Betracht kommenden national gemiſchten Gebietes mit der Nationalität bis auf wenige Prozente zuſammentrifft. Scheiden wir die ökonomiſchen Kategorien der Bauerndörfer und der Rittergüter in den ein- zelnen Gegenden, indem wir ſie, gleichfalls ungenau, mit den Kommunaleinheiten 2) der Landgemeinden bezw. Gutsbezirken identi- fizieren, ſo zeigt ſich, daß ſie ſich je nach der Bodengüte in Bezug auf ihre nationale Zuſammenſetzung entgegengeſetzt von einander verhalten: in den fruchtbaren Kreiſen ſind die Katholiken, d. h. die Polen, relativ am ſtärkſten auf den Gütern und die Evangeliſchen, d. h. die Deutſchen, in den Dörfern zu finden, – und gerade umgekehrt ſteht es in den Kreiſen mit ſchlechtem Boden. Faßt man z. B. die Kreiſe mit unter fünf Mark Durchſchnittsſteuerreinertrag pro Hektar zuſammen, ſo ſind in den Dörfern nur 35,5 %, auf den Gütern 50,2 % Evangeliſche, nimmt man dagegen die Kreisgruppe, welche 10 bis 15 Mark Durchſchnittsſteuerreinertrag pro Hektar umfaßt, ſo ſind die Evangeliſchen in den Dörfern mit 60,7 %, auf den Gütern 1) „Gemeindelexikon“ Berlin 1887. 2) Für die ſoziale Schichtung iſt dieſe Verwaltungseinteilung dennoch charakteriſtiſcher als die Zugrundlegung der Betriebs- verteilung. Jn der Ebene ſind Gutsbetriebe unter 100, auf der Höhe Bauernbetriebe über 200 Hektar nichts ſeltenes. 1*

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/9>, abgerufen am 29.03.2024.