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Wegner, Marie: Frauenstimmrecht. In: Die Frau im Osten. Deutsche Zeitschrift für moderne Frauenbestrebungen; Organ für die Interessen der Frauenbewegung in den östlichen Provinzen, Bd. 1, Jg. 1910. Breslau, 1910. S. 180–183.

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verpflichtet hat. Lediglich dann, wenn bei dieser Diskussion über-
zeugende Gründe geltend gemacht, wenn Vorteile angeführt
würden, die den Nachteil überwiegen, könnte das Programm
durch jene Forderung erweitert werden.

Schon unser im März dieses Jahres angenommenes Pro-
gramm enthält eine Anzahl wichtiger auf die Entwicklung der
Rechte der Frauen und ihres Erwerbsgebietes gerichteter For-
derungen, so das aktive und passive Wahlrecht der Frauen für
das Kaufmanns- und Gewerbegericht, Heranziehung zur Kommu-
nalverwaltung, verstärkte Mitwirkung der Frauen auf dem Gebiete
der sozialen Fürsorge und des Bildungswesens. Eines freilich
enthält es nicht: das Stimmrecht der Frau für Staat und
Reich. Zu dieser Forderung konnte man sich nicht entschließen.
Nicht etwa aus Rückständigkeit, wie manche Frauen meinen,
sondern aus Bedenken, die erst entkräftet werden müßten, ehe
man Tadelsworte gebrauchen darf.

Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Verlangen, das im Wesen
des Liberalismus liegt. Doch nur, wenn dem Recht die Pflicht
entspricht. Darf man dem weiblichen Geschlecht die gleichen
Pflichten auferlegen wie dem männlichen? Nicht, wenn es sich
um die Wehrpflicht handelt. Aber auch sonst hat die Natur
eine Schranke, zwischen Mann und Weib gesetzt und eine Ar-
beitsteilung indiziert, die man nicht ungestraft mißachtet."


Gerade weil die Arbeit und die Pflichten der Frau
andere sind als die des Mannes, fordern wir das Frauen-
stimmrecht, denn der Mann mit anderen Pflichten ist ja
garnicht in der Lage, die Arbeit der Frauen richtig zu werten.
Dr. Pachnicke schreibt dann weiter:

"Man kann alle ungerechten Vorwürfe vermeiden, braucht
nicht mit Möbius an den Schwachsinn des Weibes zu glauben,
nicht mit Schopenhauer zu behaupten, daß das Weib schon
nach seiner ganzen Gestalt weder zu großen geistigen noch körper-
lichen Arbeiten bestimmt erscheine, kann vielmehr durchaus
anerkennen, daß sich Talente auch in der weiblichen Linie
finden und vererben, und muß doch das eine zugestehen, daß
die Leistung der Frau dem Staate gegenüber besonders wegen
der mangelnden Wehrhaftigkeit eine wesentlich geringere ist als
die des Mannes. Das Lebenselement des Staates ist die
Macht. Die aber stützt nur der Mann. Darum ist der An-
spruch des Mannes auf das Recht am Staat ein größerer.
Männliche Züge trägt die Völkergeschichte trotz gelegentlicher
weiblicher Regentschaften, und sie wird diesen ihren Charakter
auch in Zukunft wahren."


Daß die Leistungen der Frauen dem Staate gegenüber
geringer sind als die des Mannes ist sehr anfechtbar. Die
Leistungen liegen nur wiederum auf anderen Gebieten.
Die Männer eines Staates können nur ihrer Wehrpflicht
genügen und Macht entfalten, wenn sie von an Geist und
Körper gesunden Frauen geboren und erzogen werden.[Spaltenumbruch] Rom ging nicht zum wenigsten an seinen entarteten Frauen
zu Grunde. Man ist nur meist gewohnt, die aufopfernde
Erziehungsarbeit der Mütter als etwas selbstverständliches
hinzunehmen und vergißt, daß das Wohl und Wehe des
Staates von dieser Erziehungsarbeit abhängt. Zur Er-
leichterung der Mutterschaft und dieser Erziehungsarbeit
bedarf es aber vieler staatlicher Einrichtungen, die wir nur
durch das Frauenstimmrecht erlangen werden. Dr. Pachnicke
schreibt dann weiter:

"Das ist die prinzipielle Seite. Jn praktischer Hinsicht
wäre zu prüfen, ob eine ungeachtet der Verschiedenheit der
Voraussetzungen erfolgende Verleihung des Stimmrechts für
Deutschland und für seine Bundesstaaten der künftigen Ent-
wicklung nutzen oder schaden würde. Brächte sie großen
Nutzen, so träte vielleicht der grundsätzliche Widerspruch zurück.
Droht dagegen eine Schädigung, so wird dieser noch verstärkt:

Nun wäre es gewiß vermessen, die Folgen einer so tief
greifenden Maßregel mit Sicherheit voraussagen zu wollen.
Wir hatten im Jahre 1907 eine männliche Bevölkerung von
etwa 30 Millionen, darunter waren ca. 13 Millionen Reichs-
tagswähler. Die weibliche Bevölkerung übertrifft die männ-
liche um fast eine Million; die Zahl der weiblichen Wähler
würde also 13 Millionen noch überschreiten."

Jch bemerke hierzu: Die beiden Geschlechter haben sich
in Deutschland seit dem Jahre 1882 zahlenmäßig so genähert,
daß der Überschuß an Frauen zur Zeit wohl kaum mehr
eine halbe Million beträgt. Es ist anzunehmen, wenn, wie
die Arbeiter es verlangen und die Frauen es mit dem
Stimmrecht leichter durchsetzen würden, die Sicherheitsvor-
richtungen in den Bergwerken, den Fabriken usw. allen nur
durchführbaren Schutz gewährten und vor allem der über-
triebene Alkoholgenuß abnähme, die hohe Sterblichkeitsziffer
der Männer so verringert werden könnte, daß die Zahl der
Geschlechter sich ausgliche. Hierzu käme, daß die Frauen
als erste Arbeit mit dem Stimmrecht die Säuglingssterblich-
keit vermindern würden, der ja bekanntlich mehr Knaben
als Mädchen zum Opfer fallen, so daß der Überschuß von
je 4 neugeborenen Knaben auf je 100 Geburten, schon
nach einem Jahre sich in ein Minus männlicher Kinder
verändert. Australien hat, seitdem die Frauen als stimm-
berechtigte Wähler vorzügliche Maßregeln gegen die Säuglings-
sterblichkeit einführten, die geringste Säuglingssterblichkeit
der ganzen Welt. Es ist anzunehmen, daß wenn die Trunk-
sucht, die Unfälle und die Säuglingssterblichkeit abnähme,
der mehr Knaben als Mädchen zum Opfer fallen, (vielleicht
auch eine Folge des erblichen Einflusses der trinkenden
Väter), der Überschuß an Frauen verschwindet. Selbst
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nur eine Erörterung versprochen, sich aber auf Einzelheiten nicht
verpflichtet hat. Lediglich dann, wenn bei dieser Diskussion über-
zeugende Gründe geltend gemacht, wenn Vorteile angeführt
würden, die den Nachteil überwiegen, könnte das Programm
durch jene Forderung erweitert werden.

Schon unser im März dieses Jahres angenommenes Pro-
gramm enthält eine Anzahl wichtiger auf die Entwicklung der
Rechte der Frauen und ihres Erwerbsgebietes gerichteter For-
derungen, so das aktive und passive Wahlrecht der Frauen für
das Kaufmanns- und Gewerbegericht, Heranziehung zur Kommu-
nalverwaltung, verstärkte Mitwirkung der Frauen auf dem Gebiete
der sozialen Fürsorge und des Bildungswesens. Eines freilich
enthält es nicht: das Stimmrecht der Frau für Staat und
Reich. Zu dieser Forderung konnte man sich nicht entschließen.
Nicht etwa aus Rückständigkeit, wie manche Frauen meinen,
sondern aus Bedenken, die erst entkräftet werden müßten, ehe
man Tadelsworte gebrauchen darf.

Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Verlangen, das im Wesen
des Liberalismus liegt. Doch nur, wenn dem Recht die Pflicht
entspricht. Darf man dem weiblichen Geschlecht die gleichen
Pflichten auferlegen wie dem männlichen? Nicht, wenn es sich
um die Wehrpflicht handelt. Aber auch sonst hat die Natur
eine Schranke, zwischen Mann und Weib gesetzt und eine Ar-
beitsteilung indiziert, die man nicht ungestraft mißachtet.“


Gerade weil die Arbeit und die Pflichten der Frau
andere sind als die des Mannes, fordern wir das Frauen-
stimmrecht, denn der Mann mit anderen Pflichten ist ja
garnicht in der Lage, die Arbeit der Frauen richtig zu werten.
Dr. Pachnicke schreibt dann weiter:

„Man kann alle ungerechten Vorwürfe vermeiden, braucht
nicht mit Möbius an den Schwachsinn des Weibes zu glauben,
nicht mit Schopenhauer zu behaupten, daß das Weib schon
nach seiner ganzen Gestalt weder zu großen geistigen noch körper-
lichen Arbeiten bestimmt erscheine, kann vielmehr durchaus
anerkennen, daß sich Talente auch in der weiblichen Linie
finden und vererben, und muß doch das eine zugestehen, daß
die Leistung der Frau dem Staate gegenüber besonders wegen
der mangelnden Wehrhaftigkeit eine wesentlich geringere ist als
die des Mannes. Das Lebenselement des Staates ist die
Macht. Die aber stützt nur der Mann. Darum ist der An-
spruch des Mannes auf das Recht am Staat ein größerer.
Männliche Züge trägt die Völkergeschichte trotz gelegentlicher
weiblicher Regentschaften, und sie wird diesen ihren Charakter
auch in Zukunft wahren.“


Daß die Leistungen der Frauen dem Staate gegenüber
geringer sind als die des Mannes ist sehr anfechtbar. Die
Leistungen liegen nur wiederum auf anderen Gebieten.
Die Männer eines Staates können nur ihrer Wehrpflicht
genügen und Macht entfalten, wenn sie von an Geist und
Körper gesunden Frauen geboren und erzogen werden.[Spaltenumbruch] Rom ging nicht zum wenigsten an seinen entarteten Frauen
zu Grunde. Man ist nur meist gewohnt, die aufopfernde
Erziehungsarbeit der Mütter als etwas selbstverständliches
hinzunehmen und vergißt, daß das Wohl und Wehe des
Staates von dieser Erziehungsarbeit abhängt. Zur Er-
leichterung der Mutterschaft und dieser Erziehungsarbeit
bedarf es aber vieler staatlicher Einrichtungen, die wir nur
durch das Frauenstimmrecht erlangen werden. Dr. Pachnicke
schreibt dann weiter:

„Das ist die prinzipielle Seite. Jn praktischer Hinsicht
wäre zu prüfen, ob eine ungeachtet der Verschiedenheit der
Voraussetzungen erfolgende Verleihung des Stimmrechts für
Deutschland und für seine Bundesstaaten der künftigen Ent-
wicklung nutzen oder schaden würde. Brächte sie großen
Nutzen, so träte vielleicht der grundsätzliche Widerspruch zurück.
Droht dagegen eine Schädigung, so wird dieser noch verstärkt:

Nun wäre es gewiß vermessen, die Folgen einer so tief
greifenden Maßregel mit Sicherheit voraussagen zu wollen.
Wir hatten im Jahre 1907 eine männliche Bevölkerung von
etwa 30 Millionen, darunter waren ca. 13 Millionen Reichs-
tagswähler. Die weibliche Bevölkerung übertrifft die männ-
liche um fast eine Million; die Zahl der weiblichen Wähler
würde also 13 Millionen noch überschreiten.“

Jch bemerke hierzu: Die beiden Geschlechter haben sich
in Deutschland seit dem Jahre 1882 zahlenmäßig so genähert,
daß der Überschuß an Frauen zur Zeit wohl kaum mehr
eine halbe Million beträgt. Es ist anzunehmen, wenn, wie
die Arbeiter es verlangen und die Frauen es mit dem
Stimmrecht leichter durchsetzen würden, die Sicherheitsvor-
richtungen in den Bergwerken, den Fabriken usw. allen nur
durchführbaren Schutz gewährten und vor allem der über-
triebene Alkoholgenuß abnähme, die hohe Sterblichkeitsziffer
der Männer so verringert werden könnte, daß die Zahl der
Geschlechter sich ausgliche. Hierzu käme, daß die Frauen
als erste Arbeit mit dem Stimmrecht die Säuglingssterblich-
keit vermindern würden, der ja bekanntlich mehr Knaben
als Mädchen zum Opfer fallen, so daß der Überschuß von
je 4 neugeborenen Knaben auf je 100 Geburten, schon
nach einem Jahre sich in ein Minus männlicher Kinder
verändert. Australien hat, seitdem die Frauen als stimm-
berechtigte Wähler vorzügliche Maßregeln gegen die Säuglings-
sterblichkeit einführten, die geringste Säuglingssterblichkeit
der ganzen Welt. Es ist anzunehmen, daß wenn die Trunk-
sucht, die Unfälle und die Säuglingssterblichkeit abnähme,
der mehr Knaben als Mädchen zum Opfer fallen, (vielleicht
auch eine Folge des erblichen Einflusses der trinkenden
Väter), der Überschuß an Frauen verschwindet. Selbst
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Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Verlangen, das im Wesen des Liberalismus liegt. Doch nur, wenn dem Recht die Pflicht entspricht. Darf man dem weiblichen Geschlecht die gleichen Pflichten auferlegen wie dem männlichen? Nicht, wenn es sich um die Wehrpflicht handelt. Aber auch sonst hat die Natur eine Schranke, zwischen Mann und Weib gesetzt und eine Ar- beitsteilung indiziert, die man nicht ungestraft mißachtet.“ Gerade weil die Arbeit und die Pflichten der Frau andere sind als die des Mannes, fordern wir das Frauen- stimmrecht, denn der Mann mit anderen Pflichten ist ja garnicht in der Lage, die Arbeit der Frauen richtig zu werten. Dr. Pachnicke schreibt dann weiter: „Man kann alle ungerechten Vorwürfe vermeiden, braucht nicht mit Möbius an den Schwachsinn des Weibes zu glauben, nicht mit Schopenhauer zu behaupten, daß das Weib schon nach seiner ganzen Gestalt weder zu großen geistigen noch körper- lichen Arbeiten bestimmt erscheine, kann vielmehr durchaus anerkennen, daß sich Talente auch in der weiblichen Linie finden und vererben, und muß doch das eine zugestehen, daß die Leistung der Frau dem Staate gegenüber besonders wegen der mangelnden Wehrhaftigkeit eine wesentlich geringere ist als die des Mannes. Das Lebenselement des Staates ist die Macht. Die aber stützt nur der Mann. Darum ist der An- spruch des Mannes auf das Recht am Staat ein größerer. Männliche Züge trägt die Völkergeschichte trotz gelegentlicher weiblicher Regentschaften, und sie wird diesen ihren Charakter auch in Zukunft wahren.“ Daß die Leistungen der Frauen dem Staate gegenüber geringer sind als die des Mannes ist sehr anfechtbar. Die Leistungen liegen nur wiederum auf anderen Gebieten. Die Männer eines Staates können nur ihrer Wehrpflicht genügen und Macht entfalten, wenn sie von an Geist und Körper gesunden Frauen geboren und erzogen werden. Rom ging nicht zum wenigsten an seinen entarteten Frauen zu Grunde. Man ist nur meist gewohnt, die aufopfernde Erziehungsarbeit der Mütter als etwas selbstverständliches hinzunehmen und vergißt, daß das Wohl und Wehe des Staates von dieser Erziehungsarbeit abhängt. Zur Er- leichterung der Mutterschaft und dieser Erziehungsarbeit bedarf es aber vieler staatlicher Einrichtungen, die wir nur durch das Frauenstimmrecht erlangen werden. Dr. Pachnicke schreibt dann weiter: „Das ist die prinzipielle Seite. Jn praktischer Hinsicht wäre zu prüfen, ob eine ungeachtet der Verschiedenheit der Voraussetzungen erfolgende Verleihung des Stimmrechts für Deutschland und für seine Bundesstaaten der künftigen Ent- wicklung nutzen oder schaden würde. Brächte sie großen Nutzen, so träte vielleicht der grundsätzliche Widerspruch zurück. Droht dagegen eine Schädigung, so wird dieser noch verstärkt: Nun wäre es gewiß vermessen, die Folgen einer so tief greifenden Maßregel mit Sicherheit voraussagen zu wollen. Wir hatten im Jahre 1907 eine männliche Bevölkerung von etwa 30 Millionen, darunter waren ca. 13 Millionen Reichs- tagswähler. Die weibliche Bevölkerung übertrifft die männ- liche um fast eine Million; die Zahl der weiblichen Wähler würde also 13 Millionen noch überschreiten.“ Jch bemerke hierzu: Die beiden Geschlechter haben sich in Deutschland seit dem Jahre 1882 zahlenmäßig so genähert, daß der Überschuß an Frauen zur Zeit wohl kaum mehr eine halbe Million beträgt. Es ist anzunehmen, wenn, wie die Arbeiter es verlangen und die Frauen es mit dem Stimmrecht leichter durchsetzen würden, die Sicherheitsvor- richtungen in den Bergwerken, den Fabriken usw. allen nur durchführbaren Schutz gewährten und vor allem der über- triebene Alkoholgenuß abnähme, die hohe Sterblichkeitsziffer der Männer so verringert werden könnte, daß die Zahl der Geschlechter sich ausgliche. Hierzu käme, daß die Frauen als erste Arbeit mit dem Stimmrecht die Säuglingssterblich- keit vermindern würden, der ja bekanntlich mehr Knaben als Mädchen zum Opfer fallen, so daß der Überschuß von je 4 neugeborenen Knaben auf je 100 Geburten, schon nach einem Jahre sich in ein Minus männlicher Kinder verändert. Australien hat, seitdem die Frauen als stimm- berechtigte Wähler vorzügliche Maßregeln gegen die Säuglings- sterblichkeit einführten, die geringste Säuglingssterblichkeit der ganzen Welt. Es ist anzunehmen, daß wenn die Trunk- sucht, die Unfälle und die Säuglingssterblichkeit abnähme, der mehr Knaben als Mädchen zum Opfer fallen, (vielleicht auch eine Folge des erblichen Einflusses der trinkenden Väter), der Überschuß an Frauen verschwindet. Selbst ____________________________ ____________________________

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-03-21T10:13:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-03-21T10:13:41Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Wegner, Marie: Frauenstimmrecht. In: Die Frau im Osten. Deutsche Zeitschrift für moderne Frauenbestrebungen; Organ für die Interessen der Frauenbewegung in den östlichen Provinzen, Bd. 1, Jg. 1910. Breslau, 1910. S. 180–183, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wegner_frauenstimmrecht_1910/2>, abgerufen am 16.04.2024.