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Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

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weil sensorisch, das Centrum für die Klangbilder; die in der
Inselrinde confluirenden Fibrae propriae bilden den vermittelnden
psychischen Reflexbogen. Die I. Schläfewindung würde sonach
als centrales Ende des Acusticus, die I. Stirnwindung (die
Broca'sche Stelle mit inbegriffen) als das centrale Ende der
betreffenden Sprachmuskelnerven zu betrachten sein.

[Abbildung] Fig. 3.

Es sei F das frontale,
O das occipitale, T das
temporale Ende eines sche-
matisch gezeichneten Ge-
hirnes. C sei die Central-
spalte, um die Fossa
Sylvii herum S erstrecke
sich der I. Urwindungs-
bogen. Innerhalb dessel-
ben sei a1 das centrale
Ende des Nervus acusticus (in a dessen Eintrittsstelle in die
Oblongata), b vertrete die zur Lautproduction gehörigen Bewe-
gungsvorstellungen in der Grosshirnrinde, mit dem vorigen durch
in der Inselrinde verlaufende Associationsfasern a1 b verknüpft.
Von b aus erstrecke sich die centrifugale Bahn der lautbildenden
Bewegungsnerven bis in die Oblongata, um dort grösstentheils
auszutreten (der Accessorius und der Phrenicus erstrecken sich
noch weiter nach unten).

Aphasie kann bedingt werden durch jede Unterbrechung
der Bahn aa1 bb1 Das klinische Bild derselben wird aber je nach
dem Abschnitte der Bahn, welcher durch die Unterbrechung be-
troffen ist, verschieden sein müssen.

I. Es sei die Bahn aa1 unterbrochen, ein pathologischer
Process habe den Acusticus an irgend einem Orte seines centralen
Verlaufes zerstört. Das bedingt, wie die tägliche Erfahrung lehrt,
einfache Taubheit ohne jede Spur von Aphasie, aber nur beim
erwachsenen Menschen, welcher schon einen umfangreichen Vorrath
früher aufgenommener Klangbilder als festes Eigenthum besitzt
und sie beliebig reproduciren kann. Wird aber von der
Unterbrechung irgend eine Periode der Kindheit
betroffen, in welcher sich noch kein consolidirter
Schatz von Klangbildern in der Grosshirnrinde ange-
sammelt hat, so ist unausbleiblich Stummheit die

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weil sensorisch, das Centrum für die Klangbilder; die in der
Inselrinde confluirenden Fibrae propriae bilden den vermittelnden
psychischen Reflexbogen. Die I. Schläfewindung würde sonach
als centrales Ende des Acusticus, die I. Stirnwindung (die
Broca’sche Stelle mit inbegriffen) als das centrale Ende der
betreffenden Sprachmuskelnerven zu betrachten sein.

[Abbildung] Fig. 3.

Es sei F das frontale,
O das occipitale, T das
temporale Ende eines sche-
matisch gezeichneten Ge-
hirnes. C sei die Central-
spalte, um die Fossa
Sylvii herum S erstrecke
sich der I. Urwindungs-
bogen. Innerhalb dessel-
ben sei a1 das centrale
Ende des Nervus acusticus (in a dessen Eintrittsstelle in die
Oblongata), b vertrete die zur Lautproduction gehörigen Bewe-
gungsvorstellungen in der Grosshirnrinde, mit dem vorigen durch
in der Inselrinde verlaufende Associationsfasern a1 b verknüpft.
Von b aus erstrecke sich die centrifugale Bahn der lautbildenden
Bewegungsnerven bis in die Oblongata, um dort grösstentheils
auszutreten (der Accessorius und der Phrenicus erstrecken sich
noch weiter nach unten).

Aphasie kann bedingt werden durch jede Unterbrechung
der Bahn aa1 bb1 Das klinische Bild derselben wird aber je nach
dem Abschnitte der Bahn, welcher durch die Unterbrechung be-
troffen ist, verschieden sein müssen.

I. Es sei die Bahn aa1 unterbrochen, ein pathologischer
Process habe den Acusticus an irgend einem Orte seines centralen
Verlaufes zerstört. Das bedingt, wie die tägliche Erfahrung lehrt,
einfache Taubheit ohne jede Spur von Aphasie, aber nur beim
erwachsenen Menschen, welcher schon einen umfangreichen Vorrath
früher aufgenommener Klangbilder als festes Eigenthum besitzt
und sie beliebig reproduciren kann. Wird aber von der
Unterbrechung irgend eine Periode der Kindheit
betroffen, in welcher sich noch kein consolidirter
Schatz von Klangbildern in der Grosshirnrinde ange-
sammelt hat, so ist unausbleiblich Stummheit die

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[19/0023] weil sensorisch, das Centrum für die Klangbilder; die in der Inselrinde confluirenden Fibrae propriae bilden den vermittelnden psychischen Reflexbogen. Die I. Schläfewindung würde sonach als centrales Ende des Acusticus, die I. Stirnwindung (die Broca’sche Stelle mit inbegriffen) als das centrale Ende der betreffenden Sprachmuskelnerven zu betrachten sein. [Abbildung Fig. 3.] Es sei F das frontale, O das occipitale, T das temporale Ende eines sche- matisch gezeichneten Ge- hirnes. C sei die Central- spalte, um die Fossa Sylvii herum S erstrecke sich der I. Urwindungs- bogen. Innerhalb dessel- ben sei a1 das centrale Ende des Nervus acusticus (in a dessen Eintrittsstelle in die Oblongata), b vertrete die zur Lautproduction gehörigen Bewe- gungsvorstellungen in der Grosshirnrinde, mit dem vorigen durch in der Inselrinde verlaufende Associationsfasern a1 b verknüpft. Von b aus erstrecke sich die centrifugale Bahn der lautbildenden Bewegungsnerven bis in die Oblongata, um dort grösstentheils auszutreten (der Accessorius und der Phrenicus erstrecken sich noch weiter nach unten). Aphasie kann bedingt werden durch jede Unterbrechung der Bahn aa1 bb1 Das klinische Bild derselben wird aber je nach dem Abschnitte der Bahn, welcher durch die Unterbrechung be- troffen ist, verschieden sein müssen. I. Es sei die Bahn aa1 unterbrochen, ein pathologischer Process habe den Acusticus an irgend einem Orte seines centralen Verlaufes zerstört. Das bedingt, wie die tägliche Erfahrung lehrt, einfache Taubheit ohne jede Spur von Aphasie, aber nur beim erwachsenen Menschen, welcher schon einen umfangreichen Vorrath früher aufgenommener Klangbilder als festes Eigenthum besitzt und sie beliebig reproduciren kann. Wird aber von der Unterbrechung irgend eine Periode der Kindheit betroffen, in welcher sich noch kein consolidirter Schatz von Klangbildern in der Grosshirnrinde ange- sammelt hat, so ist unausbleiblich Stummheit die 2*

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Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/23>, abgerufen am 28.03.2024.