Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch, viertes Capitel.
zu seyn, unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs
zu geniessen, vielleicht - - ihrer Freundschaft gewürdi-
get zu werden - - hier hielt seine entzükte Einbildungs-
kraft stille. Die Hofnungen eines gewöhnlichen Lieb-
habers würden weiter gegangen seyn; allein Agathon
war kein gewöhnlicher Liebhaber. Jch liebe die schöne
Danae, sagte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß
lüstern war; eben darum liebt ihr sie nicht, würde
ihm die Sokratische Diotima geantwortet haben. Der-
jenige, der in dem Augenblik, da ihm seine Geliebte
den ersten Kuß auf ihre Hand gestattet, einen Wunsch
nach einer grössern Glükseligkeit hat, muß nicht sagen,
daß er liebe.

Viertes Capitel.
Veränderung der Scene.

Danae hatte von der Freygebigkeit des Prinzen Cy-
rus, ausser dem Hause, welches sie zu Smyrna be-
wohnte, ein Landgut, in der anmuthigsten Gegend
ausserhalb dieser Stadt, wo sie von Zeit zu Zeit einige
dem Vergnügen geweyhte Tage zuzubringen pflegte.
Hieher mußte sich Agathon begeben, um von seinem
neuen Amte Besiz zu nehmen, und dasjenige zu ver-
anstalten, was zum Empfang seiner Gebieterin nöthig
war, welche sich vorgenommen hatte, den Rest der
schönen Jahrszeit auf dem Lande zu geniessen. Wir
widerstehen der Versuchung, eine Beschreibung von die-

sem

Fuͤnftes Buch, viertes Capitel.
zu ſeyn, unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs
zu genieſſen, vielleicht ‒ ‒ ihrer Freundſchaft gewuͤrdi-
get zu werden ‒ ‒ hier hielt ſeine entzuͤkte Einbildungs-
kraft ſtille. Die Hofnungen eines gewoͤhnlichen Lieb-
habers wuͤrden weiter gegangen ſeyn; allein Agathon
war kein gewoͤhnlicher Liebhaber. Jch liebe die ſchoͤne
Danae, ſagte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß
luͤſtern war; eben darum liebt ihr ſie nicht, wuͤrde
ihm die Sokratiſche Diotima geantwortet haben. Der-
jenige, der in dem Augenblik, da ihm ſeine Geliebte
den erſten Kuß auf ihre Hand geſtattet, einen Wunſch
nach einer groͤſſern Gluͤkſeligkeit hat, muß nicht ſagen,
daß er liebe.

Viertes Capitel.
Veraͤnderung der Scene.

Danae hatte von der Freygebigkeit des Prinzen Cy-
rus, auſſer dem Hauſe, welches ſie zu Smyrna be-
wohnte, ein Landgut, in der anmuthigſten Gegend
auſſerhalb dieſer Stadt, wo ſie von Zeit zu Zeit einige
dem Vergnuͤgen geweyhte Tage zuzubringen pflegte.
Hieher mußte ſich Agathon begeben, um von ſeinem
neuen Amte Beſiz zu nehmen, und dasjenige zu ver-
anſtalten, was zum Empfang ſeiner Gebieterin noͤthig
war, welche ſich vorgenommen hatte, den Reſt der
ſchoͤnen Jahrszeit auf dem Lande zu genieſſen. Wir
widerſtehen der Verſuchung, eine Beſchreibung von die-

ſem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0197" n="175"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Fu&#x0364;nftes Buch, viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
zu &#x017F;eyn, unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs<lb/>
zu genie&#x017F;&#x017F;en, vielleicht &#x2012; &#x2012; ihrer Freund&#x017F;chaft gewu&#x0364;rdi-<lb/>
get zu werden &#x2012; &#x2012; hier hielt &#x017F;eine entzu&#x0364;kte Einbildungs-<lb/>
kraft &#x017F;tille. Die Hofnungen eines gewo&#x0364;hnlichen Lieb-<lb/>
habers wu&#x0364;rden weiter gegangen &#x017F;eyn; allein Agathon<lb/>
war kein gewo&#x0364;hnlicher Liebhaber. Jch liebe die &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Danae, &#x017F;agte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß<lb/>
lu&#x0364;&#x017F;tern war; eben darum liebt ihr &#x017F;ie nicht, wu&#x0364;rde<lb/>
ihm die Sokrati&#x017F;che Diotima geantwortet haben. Der-<lb/>
jenige, der in dem Augenblik, da ihm &#x017F;eine Geliebte<lb/>
den er&#x017F;ten Kuß auf ihre Hand ge&#x017F;tattet, einen Wun&#x017F;ch<lb/>
nach einer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Glu&#x0364;k&#x017F;eligkeit hat, muß nicht &#x017F;agen,<lb/>
daß er liebe.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Viertes Capitel.<lb/>
Vera&#x0364;nderung der Scene.</hi> </hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>anae hatte von der Freygebigkeit des Prinzen Cy-<lb/>
rus, au&#x017F;&#x017F;er dem Hau&#x017F;e, welches &#x017F;ie zu Smyrna be-<lb/>
wohnte, ein Landgut, in der anmuthig&#x017F;ten Gegend<lb/>
au&#x017F;&#x017F;erhalb die&#x017F;er Stadt, wo &#x017F;ie von Zeit zu Zeit einige<lb/>
dem Vergnu&#x0364;gen geweyhte Tage zuzubringen pflegte.<lb/>
Hieher mußte &#x017F;ich Agathon begeben, um von &#x017F;einem<lb/>
neuen Amte Be&#x017F;iz zu nehmen, und dasjenige zu ver-<lb/>
an&#x017F;talten, was zum Empfang &#x017F;einer Gebieterin no&#x0364;thig<lb/>
war, welche &#x017F;ich vorgenommen hatte, den Re&#x017F;t der<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Jahrszeit auf dem Lande zu genie&#x017F;&#x017F;en. Wir<lb/>
wider&#x017F;tehen der Ver&#x017F;uchung, eine Be&#x017F;chreibung von die-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;em</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0197] Fuͤnftes Buch, viertes Capitel. zu ſeyn, unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs zu genieſſen, vielleicht ‒ ‒ ihrer Freundſchaft gewuͤrdi- get zu werden ‒ ‒ hier hielt ſeine entzuͤkte Einbildungs- kraft ſtille. Die Hofnungen eines gewoͤhnlichen Lieb- habers wuͤrden weiter gegangen ſeyn; allein Agathon war kein gewoͤhnlicher Liebhaber. Jch liebe die ſchoͤne Danae, ſagte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß luͤſtern war; eben darum liebt ihr ſie nicht, wuͤrde ihm die Sokratiſche Diotima geantwortet haben. Der- jenige, der in dem Augenblik, da ihm ſeine Geliebte den erſten Kuß auf ihre Hand geſtattet, einen Wunſch nach einer groͤſſern Gluͤkſeligkeit hat, muß nicht ſagen, daß er liebe. Viertes Capitel. Veraͤnderung der Scene. Danae hatte von der Freygebigkeit des Prinzen Cy- rus, auſſer dem Hauſe, welches ſie zu Smyrna be- wohnte, ein Landgut, in der anmuthigſten Gegend auſſerhalb dieſer Stadt, wo ſie von Zeit zu Zeit einige dem Vergnuͤgen geweyhte Tage zuzubringen pflegte. Hieher mußte ſich Agathon begeben, um von ſeinem neuen Amte Beſiz zu nehmen, und dasjenige zu ver- anſtalten, was zum Empfang ſeiner Gebieterin noͤthig war, welche ſich vorgenommen hatte, den Reſt der ſchoͤnen Jahrszeit auf dem Lande zu genieſſen. Wir widerſtehen der Verſuchung, eine Beſchreibung von die- ſem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/197
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/197>, abgerufen am 18.04.2024.