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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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gehörig aufgeschlossen sein für die Freuden der
Kunst, für den Genuß der Poesie, er mag den
Apoll von Belvedere noch nicht bewundern, sich
für die Goethische Iphigenie noch nicht begeistern,
sich vom Zauber einer schönen Gegend, einer Mo¬
zartschen Musik nicht hinreißen lassen, sich über¬
haupt noch nicht über den bloßen baaren Ernst
des Lebens in die freiere Region erhoben haben,
wo der Ernst ein Spiel und das Spiel ein Ernst
ist, ich meine die Region der Kunst, der ästheti¬
schen Anschauungen des Lebens -- aber er ist vor¬
bereitet, er ist des Besten würdig, was Gott für
uns bestimmt hat, des Genusses, den nur derje¬
nige ahnt, dem er dafür Empfänglichkeit gegeben,
und dem Welt, Erziehung und Gesellschaft dessen
nicht beraubt haben.

Allein, so lange noch das Leben selbst, das
uns von der Wiege auf umfängt, so lange noch
die Schule, die Universität, diese Bildungsmittel
unseres Geistes, später der Staat und das, was
jetzt unter dem Namen der guten Societe und im
weitern Umfang, der bürgerlichen Gesellschaft be¬
steht, so lange dies Alles der eigenthümlichen Bil¬
dung und Entwicklung unsers Charakters mit Hän¬
den und Füßen entgegenarbeitet, werden solche
Männer immer nur zu den seltenen Erscheinungen
gehören und somit auch die Ausbildung des Schön¬

Wienbarg, ästhet. Feldz. 2

gehoͤrig aufgeſchloſſen ſein fuͤr die Freuden der
Kunſt, fuͤr den Genuß der Poeſie, er mag den
Apoll von Belvedere noch nicht bewundern, ſich
fuͤr die Goethiſche Iphigenie noch nicht begeiſtern,
ſich vom Zauber einer ſchoͤnen Gegend, einer Mo¬
zartſchen Muſik nicht hinreißen laſſen, ſich uͤber¬
haupt noch nicht uͤber den bloßen baaren Ernſt
des Lebens in die freiere Region erhoben haben,
wo der Ernſt ein Spiel und das Spiel ein Ernſt
iſt, ich meine die Region der Kunſt, der aͤſtheti¬
ſchen Anſchauungen des Lebens — aber er iſt vor¬
bereitet, er iſt des Beſten wuͤrdig, was Gott fuͤr
uns beſtimmt hat, des Genuſſes, den nur derje¬
nige ahnt, dem er dafuͤr Empfaͤnglichkeit gegeben,
und dem Welt, Erziehung und Geſellſchaft deſſen
nicht beraubt haben.

Allein, ſo lange noch das Leben ſelbſt, das
uns von der Wiege auf umfaͤngt, ſo lange noch
die Schule, die Univerſitaͤt, dieſe Bildungsmittel
unſeres Geiſtes, ſpaͤter der Staat und das, was
jetzt unter dem Namen der guten Societé und im
weitern Umfang, der buͤrgerlichen Geſellſchaft be¬
ſteht, ſo lange dies Alles der eigenthuͤmlichen Bil¬
dung und Entwicklung unſers Charakters mit Haͤn¬
den und Fuͤßen entgegenarbeitet, werden ſolche
Maͤnner immer nur zu den ſeltenen Erſcheinungen
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[17/0031] gehoͤrig aufgeſchloſſen ſein fuͤr die Freuden der Kunſt, fuͤr den Genuß der Poeſie, er mag den Apoll von Belvedere noch nicht bewundern, ſich fuͤr die Goethiſche Iphigenie noch nicht begeiſtern, ſich vom Zauber einer ſchoͤnen Gegend, einer Mo¬ zartſchen Muſik nicht hinreißen laſſen, ſich uͤber¬ haupt noch nicht uͤber den bloßen baaren Ernſt des Lebens in die freiere Region erhoben haben, wo der Ernſt ein Spiel und das Spiel ein Ernſt iſt, ich meine die Region der Kunſt, der aͤſtheti¬ ſchen Anſchauungen des Lebens — aber er iſt vor¬ bereitet, er iſt des Beſten wuͤrdig, was Gott fuͤr uns beſtimmt hat, des Genuſſes, den nur derje¬ nige ahnt, dem er dafuͤr Empfaͤnglichkeit gegeben, und dem Welt, Erziehung und Geſellſchaft deſſen nicht beraubt haben. Allein, ſo lange noch das Leben ſelbſt, das uns von der Wiege auf umfaͤngt, ſo lange noch die Schule, die Univerſitaͤt, dieſe Bildungsmittel unſeres Geiſtes, ſpaͤter der Staat und das, was jetzt unter dem Namen der guten Societé und im weitern Umfang, der buͤrgerlichen Geſellſchaft be¬ ſteht, ſo lange dies Alles der eigenthuͤmlichen Bil¬ dung und Entwicklung unſers Charakters mit Haͤn¬ den und Fuͤßen entgegenarbeitet, werden ſolche Maͤnner immer nur zu den ſeltenen Erſcheinungen gehoͤren und ſomit auch die Ausbildung des Schoͤn¬ Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 2

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/31>, abgerufen am 16.04.2024.