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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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den. So wie aber die Reformation einseitig ste¬
hen geblieben ist, so wie dieselbe sich in aller
Hast vermählt hat mit der Einseitigkeit des Ver¬
standes, mit der Prosa des Lebens, hängt die
schöne Frucht leider saftlos und traurig am dürren
Ast und sehnt sich abzufallen und einer neuen
Blüthe Platz zu machen. Wehmuth ergreift mich,
sehe ich den Lorbeerbaum von tausend Wucher¬
pflanzen umschnürt, seiner besten Säfte und Kräfte
durch Schmarotzer beraubt, fröstelnd in kalter Luft,
absterbend in fremdem Boden, ohne einen Fu߬
breit vaterländische Erde, im Treibhaus der Un¬
natur, statt frei und offen dazustehen in Gottes
schöner Welt, seine Wurzel befruchtet durch die
uralten Quellen der Poesie, seine Blätter dem
Säuseln der Liebe und dem Sturm der Leiden¬
schaften Preis gegeben, seine Krone dem Himmel,
dem Frieden, der Sehnsucht und den Segnungen
der himmlischen Sonne, Religion.

Wie sich aber unser nationales Leben in Zu¬
kunft gestalten und entfalten wird, so viel scheint
gewiß zu sein, daß die Hoffnung der Zukunft
einerseits beruhe auf der Jugend, andererseits auf
der Wahl desselben Weges, auf dem Luther den
ersten Riesenschritt machte und auf dem ihm die
Pygmäen der Folgezeit in Stich gelassen haben.

Wienbarg, ästhet. Feldz. 3

formation nach allen Seiten hin wuͤrdig zu vollen¬
den. So wie aber die Reformation einſeitig ſte¬
hen geblieben iſt, ſo wie dieſelbe ſich in aller
Haſt vermaͤhlt hat mit der Einſeitigkeit des Ver¬
ſtandes, mit der Proſa des Lebens, haͤngt die
ſchoͤne Frucht leider ſaftlos und traurig am duͤrren
Aſt und ſehnt ſich abzufallen und einer neuen
Bluͤthe Platz zu machen. Wehmuth ergreift mich,
ſehe ich den Lorbeerbaum von tauſend Wucher¬
pflanzen umſchnuͤrt, ſeiner beſten Saͤfte und Kraͤfte
durch Schmarotzer beraubt, froͤſtelnd in kalter Luft,
abſterbend in fremdem Boden, ohne einen Fu߬
breit vaterlaͤndiſche Erde, im Treibhaus der Un¬
natur, ſtatt frei und offen dazuſtehen in Gottes
ſchoͤner Welt, ſeine Wurzel befruchtet durch die
uralten Quellen der Poeſie, ſeine Blaͤtter dem
Saͤuſeln der Liebe und dem Sturm der Leiden¬
ſchaften Preis gegeben, ſeine Krone dem Himmel,
dem Frieden, der Sehnſucht und den Segnungen
der himmliſchen Sonne, Religion.

Wie ſich aber unſer nationales Leben in Zu¬
kunft geſtalten und entfalten wird, ſo viel ſcheint
gewiß zu ſein, daß die Hoffnung der Zukunft
einerſeits beruhe auf der Jugend, andererſeits auf
der Wahl deſſelben Weges, auf dem Luther den
erſten Rieſenſchritt machte und auf dem ihm die
Pygmaͤen der Folgezeit in Stich gelaſſen haben.

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[33/0047] formation nach allen Seiten hin wuͤrdig zu vollen¬ den. So wie aber die Reformation einſeitig ſte¬ hen geblieben iſt, ſo wie dieſelbe ſich in aller Haſt vermaͤhlt hat mit der Einſeitigkeit des Ver¬ ſtandes, mit der Proſa des Lebens, haͤngt die ſchoͤne Frucht leider ſaftlos und traurig am duͤrren Aſt und ſehnt ſich abzufallen und einer neuen Bluͤthe Platz zu machen. Wehmuth ergreift mich, ſehe ich den Lorbeerbaum von tauſend Wucher¬ pflanzen umſchnuͤrt, ſeiner beſten Saͤfte und Kraͤfte durch Schmarotzer beraubt, froͤſtelnd in kalter Luft, abſterbend in fremdem Boden, ohne einen Fu߬ breit vaterlaͤndiſche Erde, im Treibhaus der Un¬ natur, ſtatt frei und offen dazuſtehen in Gottes ſchoͤner Welt, ſeine Wurzel befruchtet durch die uralten Quellen der Poeſie, ſeine Blaͤtter dem Saͤuſeln der Liebe und dem Sturm der Leiden¬ ſchaften Preis gegeben, ſeine Krone dem Himmel, dem Frieden, der Sehnſucht und den Segnungen der himmliſchen Sonne, Religion. Wie ſich aber unſer nationales Leben in Zu¬ kunft geſtalten und entfalten wird, ſo viel ſcheint gewiß zu ſein, daß die Hoffnung der Zukunft einerſeits beruhe auf der Jugend, andererſeits auf der Wahl deſſelben Weges, auf dem Luther den erſten Rieſenſchritt machte und auf dem ihm die Pygmaͤen der Folgezeit in Stich gelaſſen haben. Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 3

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/47>, abgerufen am 18.04.2024.