Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

2. Herodotos.
des Herodotos und der der Atthis entsprechend, dass der erste als einen
persönlichen gewaltact mit religiöser färbung hinstellt, was in dieser als
eine correcte verwaltungsmassregel erscheint. uns macht es darum keine
beschwerde beides zu identificiren, und wir verstehn die revolution von
510--7 damit ein gut teil besser: aber Aristoteles hat sich offenbar die
sache gar nicht klar gemacht.

Die ge-
schichte des
Kleisthenes.
Damit sind wir schon in das zweite stück hineingekommen, das
Aristoteles aus Herodot genommen hat, die vertreibung der Peisistratiden
und die revolution des Kleisthenes (19, 2--20). obwohl der anschluss
an Herodot V 62--65. 69--70 ein enger und oft wörtlicher ist, so dass
sich die texte gegenseitig verbessern5), ist das verhältnis doch dasselbe
wie vorher: es finden sich einige wichtige und auch durch die form der
einlage bedeutsame zusätze.

Für Herodot ist die übernahme des delphischen tempelbaues lediglich
ein act der munificenz und der frömmigkeit, die wir an den Alkmeoniden,

sicht auf den verfassernamen liest, wird an die zeit um 360 spätestens denken. aber
der ursprung der rede kann auch nicht für sehr gut bezeugt gelten. als sie den
demosthenischen werken einverleibt wurde, waren die verschiedenen tomoi, in
welche der nachlass des Demosthenes wie der des Isokrates noch jetzt gegliedert ist,
schon fest; sie ist ein nachtrag, so gut wie die rede Apollodors wider Neaira und
die auch unter Deinarchos werke eingereihte wider Theokrines. wer sich um die
überlieferung und die stellung dieser reden in den handschriften kümmert, kann das
nicht verkennen. nun war es ja möglich, dass eine ächte rede des Demosthenes
bisher übersehen war, und es kann sein, dass die damals irgendwo entdeckte hand-
schrift wie den namen des sprechers Euxitheos (der wie andere für uns durch
Libanius erhalten ist), so den des verfassers trug. aber die verfassernamen der
gerichtsreden haben ein geringes gewicht, und dass die rede hübsch ist, reicht nicht
aus, sie dem Demosthenes zuzuschreiben. ich verzichte auf ein stilistisches urteil,
da das meine hier nur auf subjectivem eindruck beruht. die mangelhafte bezeugung
würde ich auch nicht für ausreichend halten: aber die chronologie scheint mir jetzt
wie früher durchschlagend. ich habe die rede stets als pseudodemosthenisch citirt,
obwol ich mir die gründe von Schaefers verwerfung durchaus nicht aneignen kann.
5) Bei Aristoteles zeigt es unsere ausgabe: namentlich die lücke 20, 2, die wir
erst in der zweiten auflage erkannt nnd gefüllt haben, hat für andere ähnliche
stellen bedeutung. es ist nicht erfreulich, dass diese durch subjectwechsel und ein
jetzt sinnloses satzglied (met' oligon) offenkundige und sicher ergänzte lücke noch,
gleich als ob alles gut und heil wäre, conservirt wird, ja sogar mit überlegner
miene für die arbeitsmethode des Aristoteles verwertet wird. bei Herodot wird der
name Agkhimolos hergestellt, den ich auf grund von schol. Lysistr. 1153 gefordert
hatte (bei Stein schol. Ar. Lysistr. p. 43), und ausserdem die richtige form Pelar-
giko mit demselben scholion und einem verachteten codex Urbinus 68: R fehlt für
das fünfte buch. ein neuer beleg dafür, dass es noch keine genügende recensio des
Herodotos gibt.

2. Herodotos.
des Herodotos und der der Atthis entsprechend, daſs der erste als einen
persönlichen gewaltact mit religiöser färbung hinstellt, was in dieser als
eine correcte verwaltungsmaſsregel erscheint. uns macht es darum keine
beschwerde beides zu identificiren, und wir verstehn die revolution von
510—7 damit ein gut teil besser: aber Aristoteles hat sich offenbar die
sache gar nicht klar gemacht.

Die ge-
schichte des
Kleisthenes.
Damit sind wir schon in das zweite stück hineingekommen, das
Aristoteles aus Herodot genommen hat, die vertreibung der Peisistratiden
und die revolution des Kleisthenes (19, 2—20). obwohl der anschluſs
an Herodot V 62—65. 69—70 ein enger und oft wörtlicher ist, so daſs
sich die texte gegenseitig verbessern5), ist das verhältnis doch dasselbe
wie vorher: es finden sich einige wichtige und auch durch die form der
einlage bedeutsame zusätze.

Für Herodot ist die übernahme des delphischen tempelbaues lediglich
ein act der munificenz und der frömmigkeit, die wir an den Alkmeoniden,

sicht auf den verfassernamen liest, wird an die zeit um 360 spätestens denken. aber
der ursprung der rede kann auch nicht für sehr gut bezeugt gelten. als sie den
demosthenischen werken einverleibt wurde, waren die verschiedenen τόμοι, in
welche der nachlaſs des Demosthenes wie der des Isokrates noch jetzt gegliedert ist,
schon fest; sie ist ein nachtrag, so gut wie die rede Apollodors wider Neaira und
die auch unter Deinarchos werke eingereihte wider Theokrines. wer sich um die
überlieferung und die stellung dieser reden in den handschriften kümmert, kann das
nicht verkennen. nun war es ja möglich, daſs eine ächte rede des Demosthenes
bisher übersehen war, und es kann sein, daſs die damals irgendwo entdeckte hand-
schrift wie den namen des sprechers Euxitheos (der wie andere für uns durch
Libanius erhalten ist), so den des verfassers trug. aber die verfassernamen der
gerichtsreden haben ein geringes gewicht, und daſs die rede hübsch ist, reicht nicht
aus, sie dem Demosthenes zuzuschreiben. ich verzichte auf ein stilistisches urteil,
da das meine hier nur auf subjectivem eindruck beruht. die mangelhafte bezeugung
würde ich auch nicht für ausreichend halten: aber die chronologie scheint mir jetzt
wie früher durchschlagend. ich habe die rede stets als pseudodemosthenisch citirt,
obwol ich mir die gründe von Schaefers verwerfung durchaus nicht aneignen kann.
5) Bei Aristoteles zeigt es unsere ausgabe: namentlich die lücke 20, 2, die wir
erst in der zweiten auflage erkannt nnd gefüllt haben, hat für andere ähnliche
stellen bedeutung. es ist nicht erfreulich, daſs diese durch subjectwechsel und ein
jetzt sinnloses satzglied (μετ᾽ ὀλίγων) offenkundige und sicher ergänzte lücke noch,
gleich als ob alles gut und heil wäre, conservirt wird, ja sogar mit überlegner
miene für die arbeitsmethode des Aristoteles verwertet wird. bei Herodot wird der
name Ἀγχίμολος hergestellt, den ich auf grund von schol. Lysistr. 1153 gefordert
hatte (bei Stein schol. Ar. Lysistr. p. 43), und auſserdem die richtige form Πελαϱ-
γικῷ mit demselben scholion und einem verachteten codex Urbinus 68: R fehlt für
das fünfte buch. ein neuer beleg dafür, daſs es noch keine genügende recensio des
Herodotos gibt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="32"/><fw place="top" type="header">2. Herodotos.</fw><lb/>
des Herodotos und der der Atthis entsprechend, da&#x017F;s der erste als einen<lb/>
persönlichen gewaltact mit religiöser färbung hinstellt, was in dieser als<lb/>
eine correcte verwaltungsma&#x017F;sregel erscheint. uns macht es darum keine<lb/>
beschwerde beides zu identificiren, und wir verstehn die revolution von<lb/>
510&#x2014;7 damit ein gut teil besser: aber Aristoteles hat sich offenbar die<lb/>
sache gar nicht klar gemacht.</p><lb/>
          <p><note place="left">Die ge-<lb/>
schichte des<lb/>
Kleisthenes.</note>Damit sind wir schon in das zweite stück hineingekommen, das<lb/>
Aristoteles aus Herodot genommen hat, die vertreibung der Peisistratiden<lb/>
und die revolution des Kleisthenes (19, 2&#x2014;20). obwohl der anschlu&#x017F;s<lb/>
an Herodot V 62&#x2014;65. 69&#x2014;70 ein enger und oft wörtlicher ist, so da&#x017F;s<lb/>
sich die texte gegenseitig verbessern<note place="foot" n="5)">Bei Aristoteles zeigt es unsere ausgabe: namentlich die lücke 20, 2, die wir<lb/>
erst in der zweiten auflage erkannt nnd gefüllt haben, hat für andere ähnliche<lb/>
stellen bedeutung. es ist nicht erfreulich, da&#x017F;s diese durch subjectwechsel und ein<lb/>
jetzt sinnloses satzglied (&#x03BC;&#x03B5;&#x03C4;&#x1FBD; &#x1F40;&#x03BB;&#x03AF;&#x03B3;&#x03C9;&#x03BD;) offenkundige und sicher ergänzte lücke noch,<lb/>
gleich als ob alles gut und heil wäre, conservirt wird, ja sogar mit überlegner<lb/>
miene für die arbeitsmethode des Aristoteles verwertet wird. bei Herodot wird der<lb/>
name &#x1F08;&#x03B3;&#x03C7;&#x03AF;&#x03BC;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2; hergestellt, den ich auf grund von schol. Lysistr. 1153 gefordert<lb/>
hatte (bei Stein <hi rendition="#i">schol. Ar. Lysistr</hi>. p. 43), und au&#x017F;serdem die richtige form &#x03A0;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B1;&#x03F1;-<lb/>
&#x03B3;&#x03B9;&#x03BA;&#x1FF7; mit demselben scholion und einem verachteten codex Urbinus 68: R fehlt für<lb/>
das fünfte buch. ein neuer beleg dafür, da&#x017F;s es noch keine genügende recensio des<lb/>
Herodotos gibt.</note>, ist das verhältnis doch dasselbe<lb/>
wie vorher: es finden sich einige wichtige und auch durch die form der<lb/>
einlage bedeutsame zusätze.</p><lb/>
          <p>Für Herodot ist die übernahme des delphischen tempelbaues lediglich<lb/>
ein act der munificenz und der frömmigkeit, die wir an den Alkmeoniden,<lb/><note xml:id="note-0046" prev="#note-0045" place="foot" n="4)">sicht auf den verfassernamen liest, wird an die zeit um 360 spätestens denken. aber<lb/>
der ursprung der rede kann auch nicht für sehr gut bezeugt gelten. als sie den<lb/>
demosthenischen werken einverleibt wurde, waren die verschiedenen &#x03C4;&#x03CC;&#x03BC;&#x03BF;&#x03B9;, in<lb/>
welche der nachla&#x017F;s des Demosthenes wie der des Isokrates noch jetzt gegliedert ist,<lb/>
schon fest; sie ist ein nachtrag, so gut wie die rede Apollodors wider Neaira und<lb/>
die auch unter Deinarchos werke eingereihte wider Theokrines. wer sich um die<lb/>
überlieferung und die stellung dieser reden in den handschriften kümmert, kann das<lb/>
nicht verkennen. nun war es ja möglich, da&#x017F;s eine ächte rede des Demosthenes<lb/>
bisher übersehen war, und es kann sein, da&#x017F;s die damals irgendwo entdeckte hand-<lb/>
schrift wie den namen des sprechers Euxitheos (der wie andere für uns durch<lb/>
Libanius erhalten ist), so den des verfassers trug. aber die verfassernamen der<lb/>
gerichtsreden haben ein geringes gewicht, und da&#x017F;s die rede hübsch ist, reicht nicht<lb/>
aus, sie dem Demosthenes zuzuschreiben. ich verzichte auf ein stilistisches urteil,<lb/>
da das meine hier nur auf subjectivem eindruck beruht. die mangelhafte bezeugung<lb/>
würde ich auch nicht für ausreichend halten: aber die chronologie scheint mir jetzt<lb/>
wie früher durchschlagend. ich habe die rede stets als pseudodemosthenisch citirt,<lb/>
obwol ich mir die gründe von Schaefers verwerfung durchaus nicht aneignen kann.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0046] 2. Herodotos. des Herodotos und der der Atthis entsprechend, daſs der erste als einen persönlichen gewaltact mit religiöser färbung hinstellt, was in dieser als eine correcte verwaltungsmaſsregel erscheint. uns macht es darum keine beschwerde beides zu identificiren, und wir verstehn die revolution von 510—7 damit ein gut teil besser: aber Aristoteles hat sich offenbar die sache gar nicht klar gemacht. Damit sind wir schon in das zweite stück hineingekommen, das Aristoteles aus Herodot genommen hat, die vertreibung der Peisistratiden und die revolution des Kleisthenes (19, 2—20). obwohl der anschluſs an Herodot V 62—65. 69—70 ein enger und oft wörtlicher ist, so daſs sich die texte gegenseitig verbessern 5), ist das verhältnis doch dasselbe wie vorher: es finden sich einige wichtige und auch durch die form der einlage bedeutsame zusätze. Die ge- schichte des Kleisthenes. Für Herodot ist die übernahme des delphischen tempelbaues lediglich ein act der munificenz und der frömmigkeit, die wir an den Alkmeoniden, 4) 5) Bei Aristoteles zeigt es unsere ausgabe: namentlich die lücke 20, 2, die wir erst in der zweiten auflage erkannt nnd gefüllt haben, hat für andere ähnliche stellen bedeutung. es ist nicht erfreulich, daſs diese durch subjectwechsel und ein jetzt sinnloses satzglied (μετ᾽ ὀλίγων) offenkundige und sicher ergänzte lücke noch, gleich als ob alles gut und heil wäre, conservirt wird, ja sogar mit überlegner miene für die arbeitsmethode des Aristoteles verwertet wird. bei Herodot wird der name Ἀγχίμολος hergestellt, den ich auf grund von schol. Lysistr. 1153 gefordert hatte (bei Stein schol. Ar. Lysistr. p. 43), und auſserdem die richtige form Πελαϱ- γικῷ mit demselben scholion und einem verachteten codex Urbinus 68: R fehlt für das fünfte buch. ein neuer beleg dafür, daſs es noch keine genügende recensio des Herodotos gibt. 4) sicht auf den verfassernamen liest, wird an die zeit um 360 spätestens denken. aber der ursprung der rede kann auch nicht für sehr gut bezeugt gelten. als sie den demosthenischen werken einverleibt wurde, waren die verschiedenen τόμοι, in welche der nachlaſs des Demosthenes wie der des Isokrates noch jetzt gegliedert ist, schon fest; sie ist ein nachtrag, so gut wie die rede Apollodors wider Neaira und die auch unter Deinarchos werke eingereihte wider Theokrines. wer sich um die überlieferung und die stellung dieser reden in den handschriften kümmert, kann das nicht verkennen. nun war es ja möglich, daſs eine ächte rede des Demosthenes bisher übersehen war, und es kann sein, daſs die damals irgendwo entdeckte hand- schrift wie den namen des sprechers Euxitheos (der wie andere für uns durch Libanius erhalten ist), so den des verfassers trug. aber die verfassernamen der gerichtsreden haben ein geringes gewicht, und daſs die rede hübsch ist, reicht nicht aus, sie dem Demosthenes zuzuschreiben. ich verzichte auf ein stilistisches urteil, da das meine hier nur auf subjectivem eindruck beruht. die mangelhafte bezeugung würde ich auch nicht für ausreichend halten: aber die chronologie scheint mir jetzt wie früher durchschlagend. ich habe die rede stets als pseudodemosthenisch citirt, obwol ich mir die gründe von Schaefers verwerfung durchaus nicht aneignen kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/46
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/46>, abgerufen am 28.03.2024.