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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 5. Die attische skoliensammlung.
unwürdig des Alkaios. man muss nur das erhaltene nicht weiter zer-
stören, sondern sich überlegen, dann findet man die notwendig geforderte
ergänzung der vorn verlornen drei sylben "den graden oder den besten
curs soll man sich vom lande aus aussuchen, wenn man dazu in der
lage ist und sich genug darauf versteht: ist man aber erst in see, so
heisst es den curs halten". inter nitentes Cyclades wird einem das klar.
wer von Troia nach Hellas will, der mag sich überlegen, ob es besser ist
zwischen Euboia und Andros oder zwischen Andros und Tenos oder Tenos
und Mykonos durchzufahren, oder gar erst an der asiatischen küste längs;
aber auf der fahrt den curs wechseln ist verwerflich. so die metapher.
was der dichter für das leben lehrt, heisst "es ist sehr schön, 'erst wägen
dann wagen'; nur kann man's nicht immer, und nicht jeder verstehts;
aber für alle gilt 'was du einmal begonnen hast, das tue ganz'." der
spruch klingt weder sympotisch noch attisch. -- das ist auch der fol-
gende nicht. "ein freund soll gerade sein und keine krummen gedanken
haben, sagte der krebs und nahm die schlange zwischen die scheeren."
es sagt sich jeder, dass die lebendige schlange sich ringelt, die tote in starrer
geradheit liegt; man bedarf also der aesopischen fabel 81 zum verständnis
nicht, die aber mit recht citirt wird, weil ja Aesop ein schulbuch war, und
der dichter an sie erinnert, indem er die freunde an aufrichtigkeit mahnt.
die stollen der kleinen strophe sind von einer auch in Athen geläufigen
volkstümlichen form, umen umenai umen. überliefert ist im ersten zwei-
sylbiger anlaut o de karkinos. dann könnte das gedicht nicht ächt
aeolisch sein, wofür doch emmen spricht; aber die partikel am anfange
des liedes ist ohne analogie in diesen sprüchen, und ihre einfügung
im Athenaeustext, wo die gedichte ohne intervall stehn, ungleich wahr-
scheinlicher. den abgesang bilden zwei durch synaphie gebundene gly-
koneen.

Nun kommen vier strophen auf die tyrannenmörder. eigentlich sind
es nur zwei, denn die dritte gibt nur zur ersten einen eben so guten
abgesang (10 und 12). die demokraten mochten an der tat der befreier
die herstellung der isonomia hervorheben, während den leuten wie
Isagoras nur die beseitigung des Hipparchos von wert war. beide sprüche
sind schwerlich viel jünger als die tat; das zeigt an dem einen die
isonomia, wofür schon Aristophanes demokratia gesagt haben würde,
an dem andern die form Athenaa, die das versmass fordert, aber die
vornehme dichtersprache nicht beliebt hat. der vierte (13) ist schlecht
zusammengestoppelt; den abgesang borgt es vom ersten, das erste wort
vom zweiten, und verdirbt im fortgang den vers; seine erste zeile aiei

III. 5. Die attische skoliensammlung.
unwürdig des Alkaios. man muſs nur das erhaltene nicht weiter zer-
stören, sondern sich überlegen, dann findet man die notwendig geforderte
ergänzung der vorn verlornen drei sylben “〈den graden〉 oder 〈den besten〉
curs soll man sich vom lande aus aussuchen, wenn man dazu in der
lage ist und sich genug darauf versteht: ist man aber erst in see, so
heiſst es den curs halten”. inter nitentes Cyclades wird einem das klar.
wer von Troia nach Hellas will, der mag sich überlegen, ob es besser ist
zwischen Euboia und Andros oder zwischen Andros und Tenos oder Tenos
und Mykonos durchzufahren, oder gar erst an der asiatischen küste längs;
aber auf der fahrt den curs wechseln ist verwerflich. so die metapher.
was der dichter für das leben lehrt, heiſst “es ist sehr schön, ‘erst wägen
dann wagen’; nur kann man’s nicht immer, und nicht jeder verstehts;
aber für alle gilt ‘was du einmal begonnen hast, das tue ganz’.” der
spruch klingt weder sympotisch noch attisch. — das ist auch der fol-
gende nicht. “ein freund soll gerade sein und keine krummen gedanken
haben, sagte der krebs und nahm die schlange zwischen die scheeren.”
es sagt sich jeder, daſs die lebendige schlange sich ringelt, die tote in starrer
geradheit liegt; man bedarf also der aesopischen fabel 81 zum verständnis
nicht, die aber mit recht citirt wird, weil ja Aesop ein schulbuch war, und
der dichter an sie erinnert, indem er die freunde an aufrichtigkeit mahnt.
die stollen der kleinen strophe sind von einer auch in Athen geläufigen
volkstümlichen form, ὑμὴν ὑμέναι̕ ὑμήν. überliefert ist im ersten zwei-
sylbiger anlaut ὁ δὲ καϱκίνος. dann könnte das gedicht nicht ächt
aeolisch sein, wofür doch ἔμμεν spricht; aber die partikel am anfange
des liedes ist ohne analogie in diesen sprüchen, und ihre einfügung
im Athenaeustext, wo die gedichte ohne intervall stehn, ungleich wahr-
scheinlicher. den abgesang bilden zwei durch synaphie gebundene gly-
koneen.

Nun kommen vier strophen auf die tyrannenmörder. eigentlich sind
es nur zwei, denn die dritte gibt nur zur ersten einen eben so guten
abgesang (10 und 12). die demokraten mochten an der tat der befreier
die herstellung der ἰσονομία hervorheben, während den leuten wie
Isagoras nur die beseitigung des Hipparchos von wert war. beide sprüche
sind schwerlich viel jünger als die tat; das zeigt an dem einen die
ἰσονομία, wofür schon Aristophanes δημοκϱατία gesagt haben würde,
an dem andern die form Ἀϑηνάα, die das versmaſs fordert, aber die
vornehme dichtersprache nicht beliebt hat. der vierte (13) ist schlecht
zusammengestoppelt; den abgesang borgt es vom ersten, das erste wort
vom zweiten, und verdirbt im fortgang den vers; seine erste zeile αἰεὶ

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[319/0329] III. 5. Die attische skoliensammlung. unwürdig des Alkaios. man muſs nur das erhaltene nicht weiter zer- stören, sondern sich überlegen, dann findet man die notwendig geforderte ergänzung der vorn verlornen drei sylben “〈den graden〉 oder 〈den besten〉 curs soll man sich vom lande aus aussuchen, wenn man dazu in der lage ist und sich genug darauf versteht: ist man aber erst in see, so heiſst es den curs halten”. inter nitentes Cyclades wird einem das klar. wer von Troia nach Hellas will, der mag sich überlegen, ob es besser ist zwischen Euboia und Andros oder zwischen Andros und Tenos oder Tenos und Mykonos durchzufahren, oder gar erst an der asiatischen küste längs; aber auf der fahrt den curs wechseln ist verwerflich. so die metapher. was der dichter für das leben lehrt, heiſst “es ist sehr schön, ‘erst wägen dann wagen’; nur kann man’s nicht immer, und nicht jeder verstehts; aber für alle gilt ‘was du einmal begonnen hast, das tue ganz’.” der spruch klingt weder sympotisch noch attisch. — das ist auch der fol- gende nicht. “ein freund soll gerade sein und keine krummen gedanken haben, sagte der krebs und nahm die schlange zwischen die scheeren.” es sagt sich jeder, daſs die lebendige schlange sich ringelt, die tote in starrer geradheit liegt; man bedarf also der aesopischen fabel 81 zum verständnis nicht, die aber mit recht citirt wird, weil ja Aesop ein schulbuch war, und der dichter an sie erinnert, indem er die freunde an aufrichtigkeit mahnt. die stollen der kleinen strophe sind von einer auch in Athen geläufigen volkstümlichen form, ὑμὴν ὑμέναι̕ ὑμήν. überliefert ist im ersten zwei- sylbiger anlaut ὁ δὲ καϱκίνος. dann könnte das gedicht nicht ächt aeolisch sein, wofür doch ἔμμεν spricht; aber die partikel am anfange des liedes ist ohne analogie in diesen sprüchen, und ihre einfügung im Athenaeustext, wo die gedichte ohne intervall stehn, ungleich wahr- scheinlicher. den abgesang bilden zwei durch synaphie gebundene gly- koneen. Nun kommen vier strophen auf die tyrannenmörder. eigentlich sind es nur zwei, denn die dritte gibt nur zur ersten einen eben so guten abgesang (10 und 12). die demokraten mochten an der tat der befreier die herstellung der ἰσονομία hervorheben, während den leuten wie Isagoras nur die beseitigung des Hipparchos von wert war. beide sprüche sind schwerlich viel jünger als die tat; das zeigt an dem einen die ἰσονομία, wofür schon Aristophanes δημοκϱατία gesagt haben würde, an dem andern die form Ἀϑηνάα, die das versmaſs fordert, aber die vornehme dichtersprache nicht beliebt hat. der vierte (13) ist schlecht zusammengestoppelt; den abgesang borgt es vom ersten, das erste wort vom zweiten, und verdirbt im fortgang den vers; seine erste zeile αἰεὶ

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/329>, abgerufen am 23.04.2024.