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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die einsetzungsrede.
barbaren noch die Hellenen sonst besitzen (für die Hellenen setzt er
um des krieges willen die Peloponnesier, wie Sophokles OK 695, die
eunomoumenoi Spartiatai sind gedacht, und für die barbaren nicht
die verachteten knechte Asiens, bei denen nur reichtum ist, keine tugend,
sondern die glaktophagoi abioi dikaiotatoi anthropon). bis hierher
die vorbereitung: hier aufhören hiesse die säule ohne capitell lassen.
denn was wir gehört haben, war nur 'ein solcher richterrat wird in
Athen immer bestehn, auf dem Areopage, und so lange er besteht, wird
Athen einen unvergleichlichen hort besitzen'. was aber der richterrat
leisten wird, worin er sich als hort beweisen wird, das fehlt. und es
fehlt das schöpferwort der königin göttin, die einsetzung selbst. beides
liefern die verse die hier stehen. sie stehen asyndetisch; die göttin macht
eine pause; sie holt tief atem zu dem feierlichsten schwerwiegendsten
worte, sie kann sich nicht genugtun mit attributiven beiwörtern: das
eine kurze entscheidende kathistamai macht den schluss. simpel pro-
saisch ist was sie sagt 'und so creire ich hiermit den Areopag'. poetisch
bedeutend sagt sie, für den gedanken durch das pronomen genügend
verbindend 'diesen rat, den eigennutz nicht berührt,14) den träger der
aidos, des grimm scharf ist, der wachsam die sorge für die schlum-
mernden in Athen übt, den stifte ich'. aber was stiftet sie damit? den
verwaltungsrat, der bis 462 Athen beherrscht hat, oder den blutgerichts-
hof, der seit Ephialtes nur noch besteht? bei den modernen kann man
erfahren, dass sie den Areopag zum nachtwächter einsetze, was aller-
dings eine neuerung gewesen wäre, da es erstens keine nachtwächter
gab, und zweitens der Areopag mit der sicherheitspolizei niemals etwas
zu tun gehabt hatte. gegen solche lopodutai der poesie sollte wahr-
lich die apagoge noch gelten. die unbestechlichkeit ist eine tugend,
die der richter so gut wie der verwaltungsbeamte besitzen soll; in der
finanzverwaltung hatten die Areopagiten sie noch jüngst nicht gerade
gezeigt. dies praedicat beweist nach keiner seite. wol aber ist die
aidos zu hause bei dem gerichte, das wo sie möglich ist die aidesis
zulässt, und nur wo die anaideia klagt und rächen will, seinen
oxus thumos beweist, strafend und tötend: das auge der staatlichen
rechtspflege wacht für die schlafenden, die toten, wie die antike erklärung
einfach und richtig lautet. die schlafenden, sagt der dichter dafür, wie
er sie die blinden (322) und die blödsichtigen (388) nennt, immer

14) kerdon athiktos sagt der dichter, khrematon kreisson Thukydides: asun-
dekastos würde dieser als niedrig verschmäht haben, Aischylos hat die Lukou dekas
schwerlich überhaupt kennen können.
v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 22

Die einsetzungsrede.
barbaren noch die Hellenen sonst besitzen (für die Hellenen setzt er
um des krieges willen die Peloponnesier, wie Sophokles OK 695, die
εὐνομούμενοι Σπαϱτιᾶται sind gedacht, und für die barbaren nicht
die verachteten knechte Asiens, bei denen nur reichtum ist, keine tugend,
sondern die γλακτοφάγοι ἄβιοι δικαιότατοι ἀνϑϱώπων). bis hierher
die vorbereitung: hier aufhören hieſse die säule ohne capitell lassen.
denn was wir gehört haben, war nur ‘ein solcher richterrat wird in
Athen immer bestehn, auf dem Areopage, und so lange er besteht, wird
Athen einen unvergleichlichen hort besitzen’. was aber der richterrat
leisten wird, worin er sich als hort beweisen wird, das fehlt. und es
fehlt das schöpferwort der königin göttin, die einsetzung selbst. beides
liefern die verse die hier stehen. sie stehen asyndetisch; die göttin macht
eine pause; sie holt tief atem zu dem feierlichsten schwerwiegendsten
worte, sie kann sich nicht genugtun mit attributiven beiwörtern: das
eine kurze entscheidende καϑίσταμαι macht den schluſs. simpel pro-
saisch ist was sie sagt ‘und so creire ich hiermit den Areopag’. poetisch
bedeutend sagt sie, für den gedanken durch das pronomen genügend
verbindend ‘diesen rat, den eigennutz nicht berührt,14) den träger der
αἰδώς, des grimm scharf ist, der wachsam die sorge für die schlum-
mernden in Athen übt, den stifte ich’. aber was stiftet sie damit? den
verwaltungsrat, der bis 462 Athen beherrscht hat, oder den blutgerichts-
hof, der seit Ephialtes nur noch besteht? bei den modernen kann man
erfahren, daſs sie den Areopag zum nachtwächter einsetze, was aller-
dings eine neuerung gewesen wäre, da es erstens keine nachtwächter
gab, und zweitens der Areopag mit der sicherheitspolizei niemals etwas
zu tun gehabt hatte. gegen solche λωποδύται der poesie sollte wahr-
lich die ἀπαγωγή noch gelten. die unbestechlichkeit ist eine tugend,
die der richter so gut wie der verwaltungsbeamte besitzen soll; in der
finanzverwaltung hatten die Areopagiten sie noch jüngst nicht gerade
gezeigt. dies praedicat beweist nach keiner seite. wol aber ist die
αἰδώς zu hause bei dem gerichte, das wo sie möglich ist die αἴδεσις
zuläſst, und nur wo die ἀναίδεια klagt und rächen will, seinen
ὀξὺς ϑυμός beweist, strafend und tötend: das auge der staatlichen
rechtspflege wacht für die schlafenden, die toten, wie die antike erklärung
einfach und richtig lautet. die schlafenden, sagt der dichter dafür, wie
er sie die blinden (322) und die blödsichtigen (388) nennt, immer

14) κεϱδῶν ἄϑικτος sagt der dichter, χϱημάτων κϱείσσων Thukydides: ἀσυν-
δέκαστος würde dieser als niedrig verschmäht haben, Aischylos hat die Λύκου δεκάς
schwerlich überhaupt kennen können.
v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 22
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[337/0347] Die einsetzungsrede. barbaren noch die Hellenen sonst besitzen (für die Hellenen setzt er um des krieges willen die Peloponnesier, wie Sophokles OK 695, die εὐνομούμενοι Σπαϱτιᾶται sind gedacht, und für die barbaren nicht die verachteten knechte Asiens, bei denen nur reichtum ist, keine tugend, sondern die γλακτοφάγοι ἄβιοι δικαιότατοι ἀνϑϱώπων). bis hierher die vorbereitung: hier aufhören hieſse die säule ohne capitell lassen. denn was wir gehört haben, war nur ‘ein solcher richterrat wird in Athen immer bestehn, auf dem Areopage, und so lange er besteht, wird Athen einen unvergleichlichen hort besitzen’. was aber der richterrat leisten wird, worin er sich als hort beweisen wird, das fehlt. und es fehlt das schöpferwort der königin göttin, die einsetzung selbst. beides liefern die verse die hier stehen. sie stehen asyndetisch; die göttin macht eine pause; sie holt tief atem zu dem feierlichsten schwerwiegendsten worte, sie kann sich nicht genugtun mit attributiven beiwörtern: das eine kurze entscheidende καϑίσταμαι macht den schluſs. simpel pro- saisch ist was sie sagt ‘und so creire ich hiermit den Areopag’. poetisch bedeutend sagt sie, für den gedanken durch das pronomen genügend verbindend ‘diesen rat, den eigennutz nicht berührt, 14) den träger der αἰδώς, des grimm scharf ist, der wachsam die sorge für die schlum- mernden in Athen übt, den stifte ich’. aber was stiftet sie damit? den verwaltungsrat, der bis 462 Athen beherrscht hat, oder den blutgerichts- hof, der seit Ephialtes nur noch besteht? bei den modernen kann man erfahren, daſs sie den Areopag zum nachtwächter einsetze, was aller- dings eine neuerung gewesen wäre, da es erstens keine nachtwächter gab, und zweitens der Areopag mit der sicherheitspolizei niemals etwas zu tun gehabt hatte. gegen solche λωποδύται der poesie sollte wahr- lich die ἀπαγωγή noch gelten. die unbestechlichkeit ist eine tugend, die der richter so gut wie der verwaltungsbeamte besitzen soll; in der finanzverwaltung hatten die Areopagiten sie noch jüngst nicht gerade gezeigt. dies praedicat beweist nach keiner seite. wol aber ist die αἰδώς zu hause bei dem gerichte, das wo sie möglich ist die αἴδεσις zuläſst, und nur wo die ἀναίδεια klagt und rächen will, seinen ὀξὺς ϑυμός beweist, strafend und tötend: das auge der staatlichen rechtspflege wacht für die schlafenden, die toten, wie die antike erklärung einfach und richtig lautet. die schlafenden, sagt der dichter dafür, wie er sie die blinden (322) und die blödsichtigen (388) nennt, immer 14) κεϱδῶν ἄϑικτος sagt der dichter, χϱημάτων κϱείσσων Thukydides: ἀσυν- δέκαστος würde dieser als niedrig verschmäht haben, Aischylos hat die Λύκου δεκάς schwerlich überhaupt kennen können. v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 22

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/347>, abgerufen am 24.04.2024.