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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 7. Der process der Eumeniden.
verkehrt, da Athena höchstens auf das publikum zeigen könnte. hier
muss geändert werden; der genetiv ist durch angleichung an die vor-
hergehenden worte entstanden, aus dem dativ. "die gottlosen kannst
du ruhig vertreiben, denn ich liebe es wie der viehzüchter, dass die
herde der gerechten nicht durch jene geschädigt werde." Athena wünscht
die räudigen schafe ausgerottet, damit die herde nicht angesteckt werde.
das ist gewiss nicht bedeutungslos.

Die andere stelle ist heil, 980. die Eumeniden singen mede piousa
polis melan aima politan di organ poinas antiphonous atas ar-
palisai poleos; kharmata d antididoien koinophilei dianoia kai
stugein mia phreni. "die erde, die bürgerblut getrunken hat, möge nicht
im streben nach rache sich für die stadt unheilvolle vergeltung durch blut
nehmen, sondern sie mögen handlungen über die man sich freuen kann
(kharmata, nur etwas stärker für kharitas) zum entgelt geben in der
gesinnung allgemeiner freundschaft und ebenso übereinstimmung im hass."
also blut ist vergossen und nicht gesühnt. aber die Eumeniden raten,
statt es durch neues blut zu rächen, die beleidigten durch guttaten zu
versöhnen, so dass die gemeinsamen gefühle in hass und liebe regieren
können. das ist keine allgemeine wendung, denn es setzt den con-
creten fall voraus, dass eine ungesühnte blutschuld da ist. setzt man
in rechnung, dass Ephialtes nicht lange vorher, wol erst 460/59, von
unbekannter mörderhand erschlagen war, dass die erbitterung seiner
anhänger wider die gegenpartei heftig entbrannt sein musste und diese
gegenpartei mit Sparta conspirirte, so wird man schwerlich ablehnen
können, dass der dichter seinem volke die mahnung gibt 'hadert nicht
um den toten, sondern steht zusammen wider die gemeinsamen feinde,
und beschwichtigt die erregung über den mord des Ephialtes durch zu-
geständnisse'. wieder konnten beide parteien ihn zu den ihren rech-
nen; die leute Kimons mochten Ephialtes für das räudige schaf ansehen,
die demokraten seine mörder. es ist des propheten recht, doppel-
sinnig zu reden. ganz verständlich ist nur das göttliche urteil über das
geschehene und die allgemeine mahnung für die zukunft. diese haben
die Athener beherzigt: sie haben der demokratie weiter nachgegeben
und in eintracht wider die äusseren feinde zusammengestanden, bei Ta-
nagra und Oinophyta.



III. 7. Der proceſs der Eumeniden.
verkehrt, da Athena höchstens auf das publikum zeigen könnte. hier
muſs geändert werden; der genetiv ist durch angleichung an die vor-
hergehenden worte entstanden, aus dem dativ. “die gottlosen kannst
du ruhig vertreiben, denn ich liebe es wie der viehzüchter, daſs die
herde der gerechten nicht durch jene geschädigt werde.” Athena wünscht
die räudigen schafe ausgerottet, damit die herde nicht angesteckt werde.
das ist gewiſs nicht bedeutungslos.

Die andere stelle ist heil, 980. die Eumeniden singen μηδὲ πιοῦσα
πόλις μέλαν αἷμα πολιτᾶν δι̕ ὀϱγὰν ποινᾶς ἀντιφόνους ἄτας ἁϱ-
παλίσαι πόλεως· χάϱματα δ̕ ἀντιδιδοῖεν κοινοφιλεῖ διανοίᾳ καὶ
στυγεῖν μιᾷ φϱενί. “die erde, die bürgerblut getrunken hat, möge nicht
im streben nach rache sich für die stadt unheilvolle vergeltung durch blut
nehmen, sondern sie mögen handlungen über die man sich freuen kann
(χάϱματα, nur etwas stärker für χάϱιτας) zum entgelt geben in der
gesinnung allgemeiner freundschaft und ebenso übereinstimmung im haſs.”
also blut ist vergossen und nicht gesühnt. aber die Eumeniden raten,
statt es durch neues blut zu rächen, die beleidigten durch guttaten zu
versöhnen, so daſs die gemeinsamen gefühle in haſs und liebe regieren
können. das ist keine allgemeine wendung, denn es setzt den con-
creten fall voraus, daſs eine ungesühnte blutschuld da ist. setzt man
in rechnung, daſs Ephialtes nicht lange vorher, wol erst 460/59, von
unbekannter mörderhand erschlagen war, daſs die erbitterung seiner
anhänger wider die gegenpartei heftig entbrannt sein muſste und diese
gegenpartei mit Sparta conspirirte, so wird man schwerlich ablehnen
können, daſs der dichter seinem volke die mahnung gibt ‘hadert nicht
um den toten, sondern steht zusammen wider die gemeinsamen feinde,
und beschwichtigt die erregung über den mord des Ephialtes durch zu-
geständnisse’. wieder konnten beide parteien ihn zu den ihren rech-
nen; die leute Kimons mochten Ephialtes für das räudige schaf ansehen,
die demokraten seine mörder. es ist des propheten recht, doppel-
sinnig zu reden. ganz verständlich ist nur das göttliche urteil über das
geschehene und die allgemeine mahnung für die zukunft. diese haben
die Athener beherzigt: sie haben der demokratie weiter nachgegeben
und in eintracht wider die äuſseren feinde zusammengestanden, bei Ta-
nagra und Oinophyta.



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[342/0352] III. 7. Der proceſs der Eumeniden. verkehrt, da Athena höchstens auf das publikum zeigen könnte. hier muſs geändert werden; der genetiv ist durch angleichung an die vor- hergehenden worte entstanden, aus dem dativ. “die gottlosen kannst du ruhig vertreiben, denn ich liebe es wie der viehzüchter, daſs die herde der gerechten nicht durch jene geschädigt werde.” Athena wünscht die räudigen schafe ausgerottet, damit die herde nicht angesteckt werde. das ist gewiſs nicht bedeutungslos. Die andere stelle ist heil, 980. die Eumeniden singen μηδὲ πιοῦσα πόλις μέλαν αἷμα πολιτᾶν δι̕ ὀϱγὰν ποινᾶς ἀντιφόνους ἄτας ἁϱ- παλίσαι πόλεως· χάϱματα δ̕ ἀντιδιδοῖεν κοινοφιλεῖ διανοίᾳ καὶ στυγεῖν μιᾷ φϱενί. “die erde, die bürgerblut getrunken hat, möge nicht im streben nach rache sich für die stadt unheilvolle vergeltung durch blut nehmen, sondern sie mögen handlungen über die man sich freuen kann (χάϱματα, nur etwas stärker für χάϱιτας) zum entgelt geben in der gesinnung allgemeiner freundschaft und ebenso übereinstimmung im haſs.” also blut ist vergossen und nicht gesühnt. aber die Eumeniden raten, statt es durch neues blut zu rächen, die beleidigten durch guttaten zu versöhnen, so daſs die gemeinsamen gefühle in haſs und liebe regieren können. das ist keine allgemeine wendung, denn es setzt den con- creten fall voraus, daſs eine ungesühnte blutschuld da ist. setzt man in rechnung, daſs Ephialtes nicht lange vorher, wol erst 460/59, von unbekannter mörderhand erschlagen war, daſs die erbitterung seiner anhänger wider die gegenpartei heftig entbrannt sein muſste und diese gegenpartei mit Sparta conspirirte, so wird man schwerlich ablehnen können, daſs der dichter seinem volke die mahnung gibt ‘hadert nicht um den toten, sondern steht zusammen wider die gemeinsamen feinde, und beschwichtigt die erregung über den mord des Ephialtes durch zu- geständnisse’. wieder konnten beide parteien ihn zu den ihren rech- nen; die leute Kimons mochten Ephialtes für das räudige schaf ansehen, die demokraten seine mörder. es ist des propheten recht, doppel- sinnig zu reden. ganz verständlich ist nur das göttliche urteil über das geschehene und die allgemeine mahnung für die zukunft. diese haben die Athener beherzigt: sie haben der demokratie weiter nachgegeben und in eintracht wider die äuſseren feinde zusammengestanden, bei Ta- nagra und Oinophyta.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/352>, abgerufen am 16.04.2024.