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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Das überlieferte datum. persönliche anspielungen.
in Athen haben tatsächlich probulen und rat neben einander fungirt;
dass der dichter schon um zu wechseln in zwei fast gleichzeitigen stücken
zwei verschiedene beamte einführt, würde man ihm nicht verargen dürfen,
auch wenn er mit einem und demselben ausgekommen wäre. aber so
steht es nicht. in den Thesmophoriazusen hat ein mensch groben un-
fug getrieben; davon wird der polizei, also dem permanenten ratsaus-
schusse, anzeige gemacht (654). die prytanen erwirken einen ratsbeschluss,
der auf die verhaftung des schuldigen geht (943), und diesen führt ein
prytan (einer, aus dramaturgischen rücksichten) mit einem polizisten aus.
lediglich aus dramaturgischen rücksichten kommt der block zum arrestan-
ten, statt der arrestant ins gefängnis. wie in aller welt könnte man
hier die probulen bemühen? war das eine aufgabe für Sophokles den
neunzigjährigen oder sonst einen der höchstgestellten und geachtetsten
bürger? dagegen in der Lysistrate wird das auftreten des probulen
damit motivirt, dass er sich gerade geld von der burg holen will (421).
in der streitscene mit Lysistrate handelt es sich um krieg und frieden,
um die soteria tes poleos, also gerade um das, wofür das volk die
probulen eingesetzt hatte. deshalb brauchte Aristophanes hier diesen be-
amten, und dann erheischte wieder die dramaturgische überlegung, dass
er demselben auch das commando in dem treffen mit den weibern über-
trug, das an sich eben so gut und vielleicht besser der rat gehabt haben
würde. auch in der verhandlung mit den spartanischen gesandten war
der probule allein am platze; übrigens bezeichnet er seine competenz
sehr genau, indem er erklärt, einen antrag im rate, und zwar mit auto-
ritativer gewalt, auf die erwählung von generalbevollmächtigten gesandten
einbringen zu wollen (1011).2) der rat fungirt also genau so normal und
genau so machtlos wie es die geschichte von 411 zeigt. Aristophanes
konnte 411 in beiden fällen gar keine andere behörde einführen, als er
eingeführt hat. die Lysistrate kann um des probulen willen nur 411
gespielt sein; der prytan der Thesmophoriazusen beweist überhaupt gar
nichts für die zeit des stückes.

Politische personen werden sehr wenige erwähnt: niemand von denPersön-
liche an-
spielungen.

411 so schwer compromittirten, niemand auch von den tüchtigen männern,
die durch die hellespontischen erfolge Athen unerwartete rettung aus

2) Die wahl von gesandten steht natürlich beim volke allein. das volk ist
an die tagesordnung des rates gebunden. die probulen aber sind offenbar com-
petent, den rat anzuweisen, den gegenstand auf die tagesordnung zu setzen und
eine versammlung des volkes zu berufen. so behandelt das volk selber im vierten
jahrhundert den rat.

Das überlieferte datum. persönliche anspielungen.
in Athen haben tatsächlich probulen und rat neben einander fungirt;
daſs der dichter schon um zu wechseln in zwei fast gleichzeitigen stücken
zwei verschiedene beamte einführt, würde man ihm nicht verargen dürfen,
auch wenn er mit einem und demselben ausgekommen wäre. aber so
steht es nicht. in den Thesmophoriazusen hat ein mensch groben un-
fug getrieben; davon wird der polizei, also dem permanenten ratsaus-
schusse, anzeige gemacht (654). die prytanen erwirken einen ratsbeschluſs,
der auf die verhaftung des schuldigen geht (943), und diesen führt ein
prytan (einer, aus dramaturgischen rücksichten) mit einem polizisten aus.
lediglich aus dramaturgischen rücksichten kommt der block zum arrestan-
ten, statt der arrestant ins gefängnis. wie in aller welt könnte man
hier die probulen bemühen? war das eine aufgabe für Sophokles den
neunzigjährigen oder sonst einen der höchstgestellten und geachtetsten
bürger? dagegen in der Lysistrate wird das auftreten des probulen
damit motivirt, daſs er sich gerade geld von der burg holen will (421).
in der streitscene mit Lysistrate handelt es sich um krieg und frieden,
um die σωτηϱία τῆς πόλεως, also gerade um das, wofür das volk die
probulen eingesetzt hatte. deshalb brauchte Aristophanes hier diesen be-
amten, und dann erheischte wieder die dramaturgische überlegung, daſs
er demselben auch das commando in dem treffen mit den weibern über-
trug, das an sich eben so gut und vielleicht besser der rat gehabt haben
würde. auch in der verhandlung mit den spartanischen gesandten war
der probule allein am platze; übrigens bezeichnet er seine competenz
sehr genau, indem er erklärt, einen antrag im rate, und zwar mit auto-
ritativer gewalt, auf die erwählung von generalbevollmächtigten gesandten
einbringen zu wollen (1011).2) der rat fungirt also genau so normal und
genau so machtlos wie es die geschichte von 411 zeigt. Aristophanes
konnte 411 in beiden fällen gar keine andere behörde einführen, als er
eingeführt hat. die Lysistrate kann um des probulen willen nur 411
gespielt sein; der prytan der Thesmophoriazusen beweist überhaupt gar
nichts für die zeit des stückes.

Politische personen werden sehr wenige erwähnt: niemand von denPersön-
liche an-
spielungen.

411 so schwer compromittirten, niemand auch von den tüchtigen männern,
die durch die hellespontischen erfolge Athen unerwartete rettung aus

2) Die wahl von gesandten steht natürlich beim volke allein. das volk ist
an die tagesordnung des rates gebunden. die probulen aber sind offenbar com-
petent, den rat anzuweisen, den gegenstand auf die tagesordnung zu setzen und
eine versammlung des volkes zu berufen. so behandelt das volk selber im vierten
jahrhundert den rat.
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[345/0355] Das überlieferte datum. persönliche anspielungen. in Athen haben tatsächlich probulen und rat neben einander fungirt; daſs der dichter schon um zu wechseln in zwei fast gleichzeitigen stücken zwei verschiedene beamte einführt, würde man ihm nicht verargen dürfen, auch wenn er mit einem und demselben ausgekommen wäre. aber so steht es nicht. in den Thesmophoriazusen hat ein mensch groben un- fug getrieben; davon wird der polizei, also dem permanenten ratsaus- schusse, anzeige gemacht (654). die prytanen erwirken einen ratsbeschluſs, der auf die verhaftung des schuldigen geht (943), und diesen führt ein prytan (einer, aus dramaturgischen rücksichten) mit einem polizisten aus. lediglich aus dramaturgischen rücksichten kommt der block zum arrestan- ten, statt der arrestant ins gefängnis. wie in aller welt könnte man hier die probulen bemühen? war das eine aufgabe für Sophokles den neunzigjährigen oder sonst einen der höchstgestellten und geachtetsten bürger? dagegen in der Lysistrate wird das auftreten des probulen damit motivirt, daſs er sich gerade geld von der burg holen will (421). in der streitscene mit Lysistrate handelt es sich um krieg und frieden, um die σωτηϱία τῆς πόλεως, also gerade um das, wofür das volk die probulen eingesetzt hatte. deshalb brauchte Aristophanes hier diesen be- amten, und dann erheischte wieder die dramaturgische überlegung, daſs er demselben auch das commando in dem treffen mit den weibern über- trug, das an sich eben so gut und vielleicht besser der rat gehabt haben würde. auch in der verhandlung mit den spartanischen gesandten war der probule allein am platze; übrigens bezeichnet er seine competenz sehr genau, indem er erklärt, einen antrag im rate, und zwar mit auto- ritativer gewalt, auf die erwählung von generalbevollmächtigten gesandten einbringen zu wollen (1011). 2) der rat fungirt also genau so normal und genau so machtlos wie es die geschichte von 411 zeigt. Aristophanes konnte 411 in beiden fällen gar keine andere behörde einführen, als er eingeführt hat. die Lysistrate kann um des probulen willen nur 411 gespielt sein; der prytan der Thesmophoriazusen beweist überhaupt gar nichts für die zeit des stückes. Politische personen werden sehr wenige erwähnt: niemand von den 411 so schwer compromittirten, niemand auch von den tüchtigen männern, die durch die hellespontischen erfolge Athen unerwartete rettung aus Persön- liche an- spielungen. 2) Die wahl von gesandten steht natürlich beim volke allein. das volk ist an die tagesordnung des rates gebunden. die probulen aber sind offenbar com- petent, den rat anzuweisen, den gegenstand auf die tagesordnung zu setzen und eine versammlung des volkes zu berufen. so behandelt das volk selber im vierten jahrhundert den rat.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/355>, abgerufen am 29.03.2024.