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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Hetruriern.
sind die Haare über der Stirne, welche an diesem klein geringelt sind, an
dem andern freyer gearbeitet. Der Apollo im Pallaste Conti wurde vor
etwa vierzig Jahren, unter dem Pabste dieses Hauses, auf dem Vorgebürge
Circeo, itzo Monte Circello genannt, zwischen Rettuno und Terracina
gelegen, entdecket 1). Dieses Vorgebürge besaßen die Römer bereits un-
ter den Königen: denn Tarquinius Superbus schickte eine Colonie 2) da-
hin: und in dem ersten Bündnisse zwischen Rom und Carthago, welches
unter den ersten Consuls, L. Junius Brutus, und Marcus Horatius, ge-
schloßen wurde, sind die Circejer 3) unter den vier Städten der Römer am
Meere benennet, welche sie von den Carthaginensern nicht beunruhiget ha-
ben wollten: dieses ist 4) mit eben denselben Worten in einem nächstfol-
genden Bündnisse zwischen beyden Theilen wiederholet. Cluverius, Cel-
larius, und andere haben dieses unberührt gelassen. Das erste Bündniß
wurde acht und zwanzig Jahre vor dem Feldzuge des Xerxes wider die
Griechen geschlossen, und besagte Statue müßte, wenn sie Griechisch seyn
könnte, vermöge der Kenntniß der Griechischen Kunst, vor dieser Zeit ge-
macht seyn. Das Vorgebürge Circeum aber, welches die Volsker 5) be-
wohneten, hatte mit den Griechen, sonderlich zu derselben Zeit, keine Ge-
meinschaft, noch Verkehr, wohl aber mit den Hetruriern, ihren Nachbarn;
so daß auch in Absicht der Zeit und des Orts dieser Apollo für ein Hetru-

risches
1) Diese Statue wurde in einem kleinen Tempel, an dem Ufer eines Sees, Lago di Soressa
genannt, gefunden. Dieser See, welcher dem Hause der Prinzen Gaetani gehörete,
war ehemals ins Meer abgeflossen, durch einen Canal, welcher sich verstopfet hatte, wo-
durch das Wasser in dem See seit langer Zeit sehr hoch angewachsen war. Um denselben
zur Fischerey bequem zu machen, war es nöthig, das Wasser ablaufen zu lassen. Der
alte Canal wurde geräumet. In demselben fanden sich einige verschlemmete Schiffgen
der Alten, die mit Nägeln von Metall zusammen geschlagen waren, und da das Wasser
in dem See selbst gesunken war, kam gedachter Tempel zum Vorschein, worinn sich der
Apollo fand. Man sieht noch itzo die Nische von Marmor, mit sehr fein gearbeiteten
Zierrathen, in welcher die Statue ehemals gestanden.
2) Liv. L. 1. c. 56.
3) Polyb. L. 3. p. 177. D.
4) Polyb. L. 3. p. 180. B.
5) Conf. Liv. L. 2. c. 39.

Von der Kunſt unter den Hetruriern.
ſind die Haare uͤber der Stirne, welche an dieſem klein geringelt ſind, an
dem andern freyer gearbeitet. Der Apollo im Pallaſte Conti wurde vor
etwa vierzig Jahren, unter dem Pabſte dieſes Hauſes, auf dem Vorgebuͤrge
Circeo, itzo Monte Circello genannt, zwiſchen Rettuno und Terracina
gelegen, entdecket 1). Dieſes Vorgebuͤrge beſaßen die Roͤmer bereits un-
ter den Koͤnigen: denn Tarquinius Superbus ſchickte eine Colonie 2) da-
hin: und in dem erſten Buͤndniſſe zwiſchen Rom und Carthago, welches
unter den erſten Conſuls, L. Junius Brutus, und Marcus Horatius, ge-
ſchloßen wurde, ſind die Circejer 3) unter den vier Staͤdten der Roͤmer am
Meere benennet, welche ſie von den Carthaginenſern nicht beunruhiget ha-
ben wollten: dieſes iſt 4) mit eben denſelben Worten in einem naͤchſtfol-
genden Buͤndniſſe zwiſchen beyden Theilen wiederholet. Cluverius, Cel-
larius, und andere haben dieſes unberuͤhrt gelaſſen. Das erſte Buͤndniß
wurde acht und zwanzig Jahre vor dem Feldzuge des Xerxes wider die
Griechen geſchloſſen, und beſagte Statue muͤßte, wenn ſie Griechiſch ſeyn
koͤnnte, vermoͤge der Kenntniß der Griechiſchen Kunſt, vor dieſer Zeit ge-
macht ſeyn. Das Vorgebuͤrge Circeum aber, welches die Volsker 5) be-
wohneten, hatte mit den Griechen, ſonderlich zu derſelben Zeit, keine Ge-
meinſchaft, noch Verkehr, wohl aber mit den Hetruriern, ihren Nachbarn;
ſo daß auch in Abſicht der Zeit und des Orts dieſer Apollo fuͤr ein Hetru-

riſches
1) Dieſe Statue wurde in einem kleinen Tempel, an dem Ufer eines Sees, Lago di Soreſſa
genannt, gefunden. Dieſer See, welcher dem Hauſe der Prinzen Gaetani gehoͤrete,
war ehemals ins Meer abgefloſſen, durch einen Canal, welcher ſich verſtopfet hatte, wo-
durch das Waſſer in dem See ſeit langer Zeit ſehr hoch angewachſen war. Um denſelben
zur Fiſcherey bequem zu machen, war es noͤthig, das Waſſer ablaufen zu laſſen. Der
alte Canal wurde geraͤumet. In demſelben fanden ſich einige verſchlemmete Schiffgen
der Alten, die mit Naͤgeln von Metall zuſammen geſchlagen waren, und da das Waſſer
in dem See ſelbſt geſunken war, kam gedachter Tempel zum Vorſchein, worinn ſich der
Apollo fand. Man ſieht noch itzo die Niſche von Marmor, mit ſehr fein gearbeiteten
Zierrathen, in welcher die Statue ehemals geſtanden.
2) Liv. L. 1. c. 56.
3) Polyb. L. 3. p. 177. D.
4) Polyb. L. 3. p. 180. B.
5) Conf. Liv. L. 2. c. 39.
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[95/0145] Von der Kunſt unter den Hetruriern. ſind die Haare uͤber der Stirne, welche an dieſem klein geringelt ſind, an dem andern freyer gearbeitet. Der Apollo im Pallaſte Conti wurde vor etwa vierzig Jahren, unter dem Pabſte dieſes Hauſes, auf dem Vorgebuͤrge Circeo, itzo Monte Circello genannt, zwiſchen Rettuno und Terracina gelegen, entdecket 1). Dieſes Vorgebuͤrge beſaßen die Roͤmer bereits un- ter den Koͤnigen: denn Tarquinius Superbus ſchickte eine Colonie 2) da- hin: und in dem erſten Buͤndniſſe zwiſchen Rom und Carthago, welches unter den erſten Conſuls, L. Junius Brutus, und Marcus Horatius, ge- ſchloßen wurde, ſind die Circejer 3) unter den vier Staͤdten der Roͤmer am Meere benennet, welche ſie von den Carthaginenſern nicht beunruhiget ha- ben wollten: dieſes iſt 4) mit eben denſelben Worten in einem naͤchſtfol- genden Buͤndniſſe zwiſchen beyden Theilen wiederholet. Cluverius, Cel- larius, und andere haben dieſes unberuͤhrt gelaſſen. Das erſte Buͤndniß wurde acht und zwanzig Jahre vor dem Feldzuge des Xerxes wider die Griechen geſchloſſen, und beſagte Statue muͤßte, wenn ſie Griechiſch ſeyn koͤnnte, vermoͤge der Kenntniß der Griechiſchen Kunſt, vor dieſer Zeit ge- macht ſeyn. Das Vorgebuͤrge Circeum aber, welches die Volsker 5) be- wohneten, hatte mit den Griechen, ſonderlich zu derſelben Zeit, keine Ge- meinſchaft, noch Verkehr, wohl aber mit den Hetruriern, ihren Nachbarn; ſo daß auch in Abſicht der Zeit und des Orts dieſer Apollo fuͤr ein Hetru- riſches 1) Dieſe Statue wurde in einem kleinen Tempel, an dem Ufer eines Sees, Lago di Soreſſa genannt, gefunden. Dieſer See, welcher dem Hauſe der Prinzen Gaetani gehoͤrete, war ehemals ins Meer abgefloſſen, durch einen Canal, welcher ſich verſtopfet hatte, wo- durch das Waſſer in dem See ſeit langer Zeit ſehr hoch angewachſen war. Um denſelben zur Fiſcherey bequem zu machen, war es noͤthig, das Waſſer ablaufen zu laſſen. Der alte Canal wurde geraͤumet. In demſelben fanden ſich einige verſchlemmete Schiffgen der Alten, die mit Naͤgeln von Metall zuſammen geſchlagen waren, und da das Waſſer in dem See ſelbſt geſunken war, kam gedachter Tempel zum Vorſchein, worinn ſich der Apollo fand. Man ſieht noch itzo die Niſche von Marmor, mit ſehr fein gearbeiteten Zierrathen, in welcher die Statue ehemals geſtanden. 2) Liv. L. 1. c. 56. 3) Polyb. L. 3. p. 177. D. 4) Polyb. L. 3. p. 180. B. 5) Conf. Liv. L. 2. c. 39.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/145>, abgerufen am 20.04.2024.