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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst der Samniter, Volsker und Campaner.
beit, findet in dieser Art Malerey den größten Beweis von der allgemeinen
Richtigkeit und Fertigkeit auch dieser Künstler in der Zeichnung. / Denn
diese Gefäße sind nicht anders, als unsere Töpferarbeit, gemalet, oder wie
das gemeine Porcellan, wenn, nachdem es geröstet ist, wie man spricht,
die blaue Farbe aufgetragen wird. Dieses Gemalte will fertig und ge-
schwinde gemacht seyn: denn aller gebrannter Thon ziehet, wie ein dürres
lechzendes Erdreich den Thau, unverzüglich die Feuchtigkeit aus den Farben
und aus dem Pinsel, daß also, wenn die Umrisse nicht schnell mit einem ein-
zigen Striche gezogen werden, im Pinsel nichts, als die Erde, zurück bleibet.
Folglich da man insgemein keine Absätze, oder angehängte und von neuem
angesetzte Linien findet, so muß eine jede Linie des Umrisses einer Figur
unabgesetzt gezogen seyn, welches in der Eigenschaft dieser Figuren beynahe
wunderbar scheinen muß. Man muß auch bedenken, daß in dieser Arbeit
keine Aenderung oder Verbesserung statt findet, sondern wie die Umrisse ge-
zogen sind, müssen sie bleiben. / Diese Gefäße sind, wie die kleinesten gering-
sten Insecten die Wunder in der Natur, das Wunderbare in der Kunst der
Alten, und so wie in Raphaels ersten Entwürfen seiner Gedanken der Umriß
eines Kopfs, ja ganze Figuren, mit einem einzigen unabgesetzten Federstri-
che gezogen, dem Kenner hier den Meister nicht weniger, als in des-
sen ausgeführten Zeichnungen, zeigen, eben so erscheinet in den Gefäßen mehr
die große Fertigkeit und Zuversicht der alten Künstler, als in andern Werken.
Eine Sammlung derselben ist ein Schatz von Zeichnungen 1).

Hier
1) Es war einem Betrüger, Namens Pietro Fondi, gelungen, diese Gefäße nachzumachen.
Es hat sich derselbe sonderlich zu Venedig und zu Corfu aufgehalten, und von seiner Arbeit
ist manches Stück in Italien geblieben, die mehresten aber sind auswerts gegangen. Es
ist eben derselbe, von welchem Apostolo Zeno in einem seiner Briefe redet. Diese Be-
trügerey aber ist auch von denen, die von der Zeichnung keine große Kenntniß haben, leicht zu
entdecken: denn die Erde zu denselben ist grob, und die Gefäße sind also schwer; da hingegen
die alten Gefäße aus einer ungemein verfeinerten Erde gemacht sind, und die Glätte ist
wie über dieselben geblasen, welches an jenen das Gegentheil ist.
(*) Lettere, Vol. 3. p. 197.
Q 2

Von der Kunſt der Samniter, Volsker und Campaner.
beit, findet in dieſer Art Malerey den groͤßten Beweis von der allgemeinen
Richtigkeit und Fertigkeit auch dieſer Kuͤnſtler in der Zeichnung. / Denn
dieſe Gefaͤße ſind nicht anders, als unſere Toͤpferarbeit, gemalet, oder wie
das gemeine Porcellan, wenn, nachdem es geroͤſtet iſt, wie man ſpricht,
die blaue Farbe aufgetragen wird. Dieſes Gemalte will fertig und ge-
ſchwinde gemacht ſeyn: denn aller gebrannter Thon ziehet, wie ein duͤrres
lechzendes Erdreich den Thau, unverzuͤglich die Feuchtigkeit aus den Farben
und aus dem Pinſel, daß alſo, wenn die Umriſſe nicht ſchnell mit einem ein-
zigen Striche gezogen werden, im Pinſel nichts, als die Erde, zuruͤck bleibet.
Folglich da man insgemein keine Abſaͤtze, oder angehaͤngte und von neuem
angeſetzte Linien findet, ſo muß eine jede Linie des Umriſſes einer Figur
unabgeſetzt gezogen ſeyn, welches in der Eigenſchaft dieſer Figuren beynahe
wunderbar ſcheinen muß. Man muß auch bedenken, daß in dieſer Arbeit
keine Aenderung oder Verbeſſerung ſtatt findet, ſondern wie die Umriſſe ge-
zogen ſind, muͤſſen ſie bleiben. / Dieſe Gefaͤße ſind, wie die kleineſten gering-
ſten Inſecten die Wunder in der Natur, das Wunderbare in der Kunſt der
Alten, und ſo wie in Raphaels erſten Entwuͤrfen ſeiner Gedanken der Umriß
eines Kopfs, ja ganze Figuren, mit einem einzigen unabgeſetzten Federſtri-
che gezogen, dem Kenner hier den Meiſter nicht weniger, als in deſ-
ſen ausgefuͤhrten Zeichnungen, zeigen, eben ſo erſcheinet in den Gefaͤßen mehr
die große Fertigkeit und Zuverſicht der alten Kuͤnſtler, als in andern Werken.
Eine Sammlung derſelben iſt ein Schatz von Zeichnungen 1).

Hier
1) Es war einem Betruͤger, Namens Pietro Fondi, gelungen, dieſe Gefaͤße nachzumachen.
Es hat ſich derſelbe ſonderlich zu Venedig und zu Corfu aufgehalten, und von ſeiner Arbeit
iſt manches Stuͤck in Italien geblieben, die mehreſten aber ſind auswerts gegangen. Es
iſt eben derſelbe, von welchem Apoſtolo Zeno in einem ſeiner Briefe redet. Dieſe Be-
truͤgerey aber iſt auch von denen, die von der Zeichnung keine große Kenntniß haben, leicht zu
entdecken: denn die Erde zu denſelben iſt grob, und die Gefaͤße ſind alſo ſchwer; da hingegen
die alten Gefaͤße aus einer ungemein verfeinerten Erde gemacht ſind, und die Glaͤtte iſt
wie uͤber dieſelben geblaſen, welches an jenen das Gegentheil iſt.
(*) Lettere, Vol. 3. p. 197.
Q 2
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[123/0173] Von der Kunſt der Samniter, Volsker und Campaner. beit, findet in dieſer Art Malerey den groͤßten Beweis von der allgemeinen Richtigkeit und Fertigkeit auch dieſer Kuͤnſtler in der Zeichnung. / Denn dieſe Gefaͤße ſind nicht anders, als unſere Toͤpferarbeit, gemalet, oder wie das gemeine Porcellan, wenn, nachdem es geroͤſtet iſt, wie man ſpricht, die blaue Farbe aufgetragen wird. Dieſes Gemalte will fertig und ge- ſchwinde gemacht ſeyn: denn aller gebrannter Thon ziehet, wie ein duͤrres lechzendes Erdreich den Thau, unverzuͤglich die Feuchtigkeit aus den Farben und aus dem Pinſel, daß alſo, wenn die Umriſſe nicht ſchnell mit einem ein- zigen Striche gezogen werden, im Pinſel nichts, als die Erde, zuruͤck bleibet. Folglich da man insgemein keine Abſaͤtze, oder angehaͤngte und von neuem angeſetzte Linien findet, ſo muß eine jede Linie des Umriſſes einer Figur unabgeſetzt gezogen ſeyn, welches in der Eigenſchaft dieſer Figuren beynahe wunderbar ſcheinen muß. Man muß auch bedenken, daß in dieſer Arbeit keine Aenderung oder Verbeſſerung ſtatt findet, ſondern wie die Umriſſe ge- zogen ſind, muͤſſen ſie bleiben. / Dieſe Gefaͤße ſind, wie die kleineſten gering- ſten Inſecten die Wunder in der Natur, das Wunderbare in der Kunſt der Alten, und ſo wie in Raphaels erſten Entwuͤrfen ſeiner Gedanken der Umriß eines Kopfs, ja ganze Figuren, mit einem einzigen unabgeſetzten Federſtri- che gezogen, dem Kenner hier den Meiſter nicht weniger, als in deſ- ſen ausgefuͤhrten Zeichnungen, zeigen, eben ſo erſcheinet in den Gefaͤßen mehr die große Fertigkeit und Zuverſicht der alten Kuͤnſtler, als in andern Werken. Eine Sammlung derſelben iſt ein Schatz von Zeichnungen 1). Hier 1) Es war einem Betruͤger, Namens Pietro Fondi, gelungen, dieſe Gefaͤße nachzumachen. Es hat ſich derſelbe ſonderlich zu Venedig und zu Corfu aufgehalten, und von ſeiner Arbeit iſt manches Stuͤck in Italien geblieben, die mehreſten aber ſind auswerts gegangen. Es iſt eben derſelbe, von welchem Apoſtolo Zeno in einem ſeiner Briefe redet. Dieſe Be- truͤgerey aber iſt auch von denen, die von der Zeichnung keine große Kenntniß haben, leicht zu entdecken: denn die Erde zu denſelben iſt grob, und die Gefaͤße ſind alſo ſchwer; da hingegen die alten Gefaͤße aus einer ungemein verfeinerten Erde gemacht ſind, und die Glaͤtte iſt wie uͤber dieſelben geblaſen, welches an jenen das Gegentheil iſt. ⁽*⁾ Lettere, Vol. 3. p. 197. Q 2

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/173>, abgerufen am 16.04.2024.