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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
Menophantus nach der, welche zu Troas stand, copiret 1), haben eben
den Stand; diese mit dem Unterschiede, daß die rechte Hand dem Busen
näher ist, von welcher der mittlere Finger das Mittel der Brüste berührete,
und die linke Hand hält ein Gewand. Diese aber sind schon in einem rei-
feren Alter gebildet, auch größer, als die Mediceische. Ein Gewächs in
schönen Jahren hat die Thetis in Lebensgröße, in der Villa Albani, die
hier in dem Alter, da sie mit dem Peleus vermählet wurde, erscheinet.
Pallas hingegen ist allezeit Jungfrau, von vollendetem Wachsthume, und
in reifem Alter; und Juno zeiget sich als Frau und Göttinn über andere
erhaben, im Gewächse so wohl, als königlichem Stolze. Die Schönheit in
dem Blicke der großen rundgewölbten Augen der Juno ist gebieterisch, wie
in einer Königinn, die herrschen will, verehrt seyn, und Liebe erwecken
muß: der schönste Kopf derselben ist Colossalisch, in der Villa Ludovisi.
Pallas, ein Bild jungfräulicher Züchtigkeit, welche alle Weibliche Schwä-
che ausgezogen, ja die Liebe selbst besieget, hat die Augen mäßiger gewöl-
bet, und weniger offen; ihr Haupt erhebet sich nicht stolz, und ihr Blick
ist etwas gesenkt, wie in stiller Betrachtung: die schönste Figur derselben

ist
1) Dieses saget folgende Inschrift auf einem Würfel zu den Füßen der Venus, auf wel-
chem das Gewand, welches sie vor dem Unterleib hält, herunter fällt.
[A]OTE
ENTRo[A]DI
[A]PhRODITE
MENOPh[A]NTO
EPOIEI

Von diesem Künstler aber haben wir so wenig, als von seinem Originale, Nachrich
Troas lag in der Trojanischen Landschaft, sonst auch Alexandria und Antigone ge-
nannt, und wir finden einen Sieger angeführet, welcher in den großen Spielen in
Griechenland den ersten Preis erhalten. Ueber die Form der Buchstaben sehe man,
was ich im folgenden Stücke dieses Capitels bey der ohnlängst gefundenen Statue mit
dem Namen Sardanapalus erinnert habe.
*) conf. Scalig. Poet. L. 1. c. 24. p. 40.
X 3

Von der Kunſt unter den Griechen.
Menophantus nach der, welche zu Troas ſtand, copiret 1), haben eben
den Stand; dieſe mit dem Unterſchiede, daß die rechte Hand dem Buſen
naͤher iſt, von welcher der mittlere Finger das Mittel der Bruͤſte beruͤhrete,
und die linke Hand haͤlt ein Gewand. Dieſe aber ſind ſchon in einem rei-
feren Alter gebildet, auch groͤßer, als die Mediceiſche. Ein Gewaͤchs in
ſchoͤnen Jahren hat die Thetis in Lebensgroͤße, in der Villa Albani, die
hier in dem Alter, da ſie mit dem Peleus vermaͤhlet wurde, erſcheinet.
Pallas hingegen iſt allezeit Jungfrau, von vollendetem Wachsthume, und
in reifem Alter; und Juno zeiget ſich als Frau und Goͤttinn uͤber andere
erhaben, im Gewaͤchſe ſo wohl, als koͤniglichem Stolze. Die Schoͤnheit in
dem Blicke der großen rundgewoͤlbten Augen der Juno iſt gebieteriſch, wie
in einer Koͤniginn, die herrſchen will, verehrt ſeyn, und Liebe erwecken
muß: der ſchoͤnſte Kopf derſelben iſt Coloſſaliſch, in der Villa Ludoviſi.
Pallas, ein Bild jungfraͤulicher Zuͤchtigkeit, welche alle Weibliche Schwaͤ-
che ausgezogen, ja die Liebe ſelbſt beſieget, hat die Augen maͤßiger gewoͤl-
bet, und weniger offen; ihr Haupt erhebet ſich nicht ſtolz, und ihr Blick
iſt etwas geſenkt, wie in ſtiller Betrachtung: die ſchoͤnſte Figur derſelben

iſt
1) Dieſes ſaget folgende Inſchrift auf einem Wuͤrfel zu den Fuͤßen der Venus, auf wel-
chem das Gewand, welches ſie vor dem Unterleib haͤlt, herunter faͤllt.
[Α]ΟΤΗϹ
ΕΝΤΡω[Α]ΔΙ
[Α]ΦΡΟΔΙΤΗϹ
ΜΗΝΟΦ[Α]ΝΤΟϹ
ΕΠΟΙΕΙ

Von dieſem Kuͤnſtler aber haben wir ſo wenig, als von ſeinem Originale, Nachrich
Troas lag in der Trojaniſchen Landſchaft, ſonſt auch Alexandria und Antigone ge-
nannt, und wir finden einen Sieger angefuͤhret, welcher in den großen Spielen in
Griechenland den erſten Preis erhalten. Ueber die Form der Buchſtaben ſehe man,
was ich im folgenden Stuͤcke dieſes Capitels bey der ohnlaͤngſt gefundenen Statue mit
dem Namen Sardanapalus erinnert habe.
*) conf. Scalig. Poet. L. 1. c. 24. p. 40.
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[165/0215] Von der Kunſt unter den Griechen. Menophantus nach der, welche zu Troas ſtand, copiret 1), haben eben den Stand; dieſe mit dem Unterſchiede, daß die rechte Hand dem Buſen naͤher iſt, von welcher der mittlere Finger das Mittel der Bruͤſte beruͤhrete, und die linke Hand haͤlt ein Gewand. Dieſe aber ſind ſchon in einem rei- feren Alter gebildet, auch groͤßer, als die Mediceiſche. Ein Gewaͤchs in ſchoͤnen Jahren hat die Thetis in Lebensgroͤße, in der Villa Albani, die hier in dem Alter, da ſie mit dem Peleus vermaͤhlet wurde, erſcheinet. Pallas hingegen iſt allezeit Jungfrau, von vollendetem Wachsthume, und in reifem Alter; und Juno zeiget ſich als Frau und Goͤttinn uͤber andere erhaben, im Gewaͤchſe ſo wohl, als koͤniglichem Stolze. Die Schoͤnheit in dem Blicke der großen rundgewoͤlbten Augen der Juno iſt gebieteriſch, wie in einer Koͤniginn, die herrſchen will, verehrt ſeyn, und Liebe erwecken muß: der ſchoͤnſte Kopf derſelben iſt Coloſſaliſch, in der Villa Ludoviſi. Pallas, ein Bild jungfraͤulicher Zuͤchtigkeit, welche alle Weibliche Schwaͤ- che ausgezogen, ja die Liebe ſelbſt beſieget, hat die Augen maͤßiger gewoͤl- bet, und weniger offen; ihr Haupt erhebet ſich nicht ſtolz, und ihr Blick iſt etwas geſenkt, wie in ſtiller Betrachtung: die ſchoͤnſte Figur derſelben iſt 1) Dieſes ſaget folgende Inſchrift auf einem Wuͤrfel zu den Fuͤßen der Venus, auf wel- chem das Gewand, welches ſie vor dem Unterleib haͤlt, herunter faͤllt. ΑΟΤΗϹ ΕΝΤΡωΑΔΙ ΑΦΡΟΔΙΤΗϹ ΜΗΝΟΦΑΝΤΟϹ ΕΠΟΙΕΙ Von dieſem Kuͤnſtler aber haben wir ſo wenig, als von ſeinem Originale, Nachrich Troas lag in der Trojaniſchen Landſchaft, ſonſt auch Alexandria und Antigone ge- nannt, und wir finden einen Sieger angefuͤhret, welcher in den großen Spielen in Griechenland den erſten Preis erhalten. Ueber die Form der Buchſtaben ſehe man, was ich im folgenden Stuͤcke dieſes Capitels bey der ohnlaͤngſt gefundenen Statue mit dem Namen Sardanapalus erinnert habe. *⁾ conf. Scalig. Poet. L. 1. c. 24. p. 40. X 3

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/215>, abgerufen am 29.03.2024.