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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
Schooß, das ist, um und unter den Unterleib 1), wo dieser Gürtel an besagten
Figuren lieget: die Syrer gaben vermuthlich auch daher den Statuen der
Juno diesen Gürtel. Gori glaubet 2), daß zwo von den drey Gratien
an einer Begräbnißurne diesen Gürtel in der Hand halten, welches nicht
zu beweisen ist.

Einige Figuren im bloßen Unterkleide, welches von der einen Achselgg Von Fi-
guren ohne
Gürtel.

abgelöset niederfällt, haben keinen Gürtel: an der Farnesischen Flora ist
derselbe auf den Unterleib schlaff herunter gesunken; Antiope, die Mutter
des Amphion und Zethus, in eben diesem Pallaste, und eine Statue an dem
Pallaste der Villa Medicis, haben den Gürtel um die Hüften liegen.
Ohne Gürtel sind einige Bacchanten auf Gemälden 3), in Marmor, und
auf geschnittenen Steinen 4), ihre wollüstige Weichlichkeit, so wie Bacchus
ohne Gürtel ist, anzudeuten; daher auch die bloße Stellung einiger ver-
stümmelten Weiblichen Figuren ohne Gürtel, uns dieselben für Bacchanten
anzeiget; eine von solchen ist in der Villa Albani. Unter den Hercula-

nischen
1) Man'sehe gegen diese Erläuterung an, was andere über den Gürtel der Venus vorge-
bracht haben, so wird sich zeigen, daß ihre Meynung nicht bestehen kann. Es haben
selbst die alten Erklärer des Homerus denselben an diesem Orte nicht verstanden, und
egkattheo kolpo, lege ihn (den Gürtel) in den Schooß, kann nicht, wie der
Scholiast sagt, eben so viel seyn, als katakrupson idio kolpo, verbirg ihn in dem
Schooße. Eustathius
gelanget durch seine Herleitung des Worts kesos eben so
wenig zu der wahren Bedeutung desselben. Herr Martorelli, Prof. der Griechischen
Sprache zu Neapel, merket sehr wohl an , daß dieses Wort kein Substantivum, son-
dern ein adjectivum sey, welches im erstern Falle von späteren Griechischen Dichtern
gebraucht worden. Es scheinet auch der Dichter einer Griechischen Sinnschrift
auf die Venus, nicht verstanden zu haben, was kesos für ein Gürtel sey, da er den
gewöhnlichen unter der Brust (amphi mazois kesos elix) dafür angenommen.
*) Rigalt. Not. in Onosaudri Stratagem. p. 37. seq. Prideaux Not. ad Marm.
Arundel. p.
24. welche beyde es von einem Rocke verstehen.
**) Comment. de Regia Theca Calamar. p. 153.
***) Anthol. Epigr. graec. L. 5. p. 231. a.
2) Mus. Etr. T. 1. p. 217.
3) Pitt. Erc. T. 1. tav. 31.
4) Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 55. n. 1577.

Von der Kunſt unter den Griechen.
Schooß, das iſt, um und unter den Unterleib 1), wo dieſer Guͤrtel an beſagten
Figuren lieget: die Syrer gaben vermuthlich auch daher den Statuen der
Juno dieſen Guͤrtel. Gori glaubet 2), daß zwo von den drey Gratien
an einer Begraͤbnißurne dieſen Guͤrtel in der Hand halten, welches nicht
zu beweiſen iſt.

Einige Figuren im bloßen Unterkleide, welches von der einen Achſelgg Von Fi-
guren ohne
Guͤrtel.

abgeloͤſet niederfaͤllt, haben keinen Guͤrtel: an der Farneſiſchen Flora iſt
derſelbe auf den Unterleib ſchlaff herunter geſunken; Antiope, die Mutter
des Amphion und Zethus, in eben dieſem Pallaſte, und eine Statue an dem
Pallaſte der Villa Medicis, haben den Guͤrtel um die Huͤften liegen.
Ohne Guͤrtel ſind einige Bacchanten auf Gemaͤlden 3), in Marmor, und
auf geſchnittenen Steinen 4), ihre wolluͤſtige Weichlichkeit, ſo wie Bacchus
ohne Guͤrtel iſt, anzudeuten; daher auch die bloße Stellung einiger ver-
ſtuͤmmelten Weiblichen Figuren ohne Guͤrtel, uns dieſelben fuͤr Bacchanten
anzeiget; eine von ſolchen iſt in der Villa Albani. Unter den Hercula-

niſchen
1) Man’ſehe gegen dieſe Erlaͤuterung an, was andere uͤber den Guͤrtel der Venus vorge-
bracht haben, ſo wird ſich zeigen, daß ihre Meynung nicht beſtehen kann. Es haben
ſelbſt die alten Erklaͤrer des Homerus denſelben an dieſem Orte nicht verſtanden, und
ἐγκάτϑεο κόλπῳ, lege ihn (den Guͤrtel) in den Schooß, kann nicht, wie der
Scholiaſt ſagt, eben ſo viel ſeyn, als κατάκρυψον ἰδίῳ κόλπῳ, verbirg ihn in dem
Schooße. Euſtathius
gelanget durch ſeine Herleitung des Worts κεςός eben ſo
wenig zu der wahren Bedeutung deſſelben. Herr Martorelli, Prof. der Griechiſchen
Sprache zu Neapel, merket ſehr wohl an , daß dieſes Wort kein Subſtantivum, ſon-
dern ein adjectivum ſey, welches im erſtern Falle von ſpaͤteren Griechiſchen Dichtern
gebraucht worden. Es ſcheinet auch der Dichter einer Griechiſchen Sinnſchrift
auf die Venus, nicht verſtanden zu haben, was κεςός fuͤr ein Guͤrtel ſey, da er den
gewoͤhnlichen unter der Bruſt (ἀμφἰ μαζοῖς κεςὸς ἕλιξ) dafuͤr angenommen.
*) Rigalt. Not. in Onoſaudri Stratagem. p. 37. ſeq. Prideaux Not. ad Marm.
Arundel. p.
24. welche beyde es von einem Rocke verſtehen.
**) Comment. de Regia Theca Calamar. p. 153.
***) Anthol. Epigr. græc. L. 5. p. 231. a.
2) Muſ. Etr. T. 1. p. 217.
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[199/0249] Von der Kunſt unter den Griechen. Schooß, das iſt, um und unter den Unterleib 1), wo dieſer Guͤrtel an beſagten Figuren lieget: die Syrer gaben vermuthlich auch daher den Statuen der Juno dieſen Guͤrtel. Gori glaubet 2), daß zwo von den drey Gratien an einer Begraͤbnißurne dieſen Guͤrtel in der Hand halten, welches nicht zu beweiſen iſt. Einige Figuren im bloßen Unterkleide, welches von der einen Achſel abgeloͤſet niederfaͤllt, haben keinen Guͤrtel: an der Farneſiſchen Flora iſt derſelbe auf den Unterleib ſchlaff herunter geſunken; Antiope, die Mutter des Amphion und Zethus, in eben dieſem Pallaſte, und eine Statue an dem Pallaſte der Villa Medicis, haben den Guͤrtel um die Huͤften liegen. Ohne Guͤrtel ſind einige Bacchanten auf Gemaͤlden 3), in Marmor, und auf geſchnittenen Steinen 4), ihre wolluͤſtige Weichlichkeit, ſo wie Bacchus ohne Guͤrtel iſt, anzudeuten; daher auch die bloße Stellung einiger ver- ſtuͤmmelten Weiblichen Figuren ohne Guͤrtel, uns dieſelben fuͤr Bacchanten anzeiget; eine von ſolchen iſt in der Villa Albani. Unter den Hercula- niſchen gg Von Fi- guren ohne Guͤrtel. 1) Man’ſehe gegen dieſe Erlaͤuterung an, was andere uͤber den Guͤrtel der Venus vorge- bracht haben, ſo wird ſich zeigen, daß ihre Meynung nicht beſtehen kann. Es haben ſelbſt die alten Erklaͤrer des Homerus denſelben an dieſem Orte nicht verſtanden, und ἐγκάτϑεο κόλπῳ, lege ihn (den Guͤrtel) in den Schooß, kann nicht, wie der Scholiaſt ſagt, eben ſo viel ſeyn, als κατάκρυψον ἰδίῳ κόλπῳ, verbirg ihn in dem Schooße. Euſtathius gelanget durch ſeine Herleitung des Worts κεςός eben ſo wenig zu der wahren Bedeutung deſſelben. Herr Martorelli, Prof. der Griechiſchen Sprache zu Neapel, merket ſehr wohl an , daß dieſes Wort kein Subſtantivum, ſon- dern ein adjectivum ſey, welches im erſtern Falle von ſpaͤteren Griechiſchen Dichtern gebraucht worden. Es ſcheinet auch der Dichter einer Griechiſchen Sinnſchrift auf die Venus, nicht verſtanden zu haben, was κεςός fuͤr ein Guͤrtel ſey, da er den gewoͤhnlichen unter der Bruſt (ἀμφἰ μαζοῖς κεςὸς ἕλιξ) dafuͤr angenommen. *⁾ Rigalt. Not. in Onoſaudri Stratagem. p. 37. ſeq. Prideaux Not. ad Marm. Arundel. p. 24. welche beyde es von einem Rocke verſtehen. **⁾ Comment. de Regia Theca Calamar. p. 153. ***⁾ Anthol. Epigr. græc. L. 5. p. 231. a. 2) Muſ. Etr. T. 1. p. 217. 3) Pitt. Erc. T. 1. tav. 31. 4) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 55. n. 1577.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/249>, abgerufen am 29.03.2024.