Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Viertes Capitel.
auch Anaboladion und Ampechonion genennet wurde 1). Als etwas
besonderes ist ein längerer Mantel ebenfalls aus zwey Stücken, einem Vor-
ter- und Hintertheile, an der Flora im Campidoglio zu merken: es ist
derselbe an beyden Seiten von unten herauf zugenähet, und oberwerts ge-
knöpfet, so daß eine Oeffnung gelassen ist, die Arme durchzustecken, wie
der linke Arm thut; der rechte Arm aber hat das Gewand übergeworfen,
man sieht aber die Oeffnung.

e Von dem
Zusammenle-
gen der Weib-
lichen Kleider.

Die Kleidung der Alten wurde zusammengelegt und gepresset, wel-
ches sonderlich muß geschehen seyn, wenn dieselbe gewaschen wurde:
denn mit den weißen Gewändern der ältesten Tracht des Weiblichen Ge-
schlechts mußte dieses öfter geschehen 2); es geschieht auch der Kleiderpressen
Meldung 3). Man sieht dieses an den theils erhobenen, theils vertief-
ten Reifen, welche über die Gewänder hinlaufen, und Brüche des zusam-
mengelegten Tuches vorstellen. Diese haben die alten Bildhauer vielmals
nachgeahmet, und ich bin der Meynung, daß, was die Römer Runzeln
(Rugas) an den Kleidern hießen, dergleichen Brüche, nicht geplattete
Falten waren, wie Salmasius meynet 4), welcher von dem, was er nicht
gesehen, nicht Rechenschaft geben konnte.

C.
Von der Zier-
lichkeit des
Weiblichen
Anzuges.

In der Zierlichkeit, als dem zweyten Puncte der Betrachtung über
die Zeichnung bekleideter Figuren, liegt viel zur Kenntniß des Stils und
der Zeiten. Die Zierlichkeit in der Kleidung, welche bey den Alten vor-
a An der
Kleidung all-
gemein.
nehmlich nur den Weiblichen Kleidern zukömmt, bestehet in der Kunst son-
derlich in den Falten. Diese giengen in den ältesten Zeiten mehrentheils
gerade, oder in einem sehr wenig gezogenen Bogen: ein in diesen Sachen
sehr wenig erleuchteter Scribent saget dieses von allem Faltenschlage der

Alten.
1) Aelian. Var. hist. L. 7. c. 9.
2) Hom. Il. g v. 419. Hesiod. Op. v. 195. Anthol. L. 6. ep. 4.
3) Turneb. Advers. L. 23. c. 19. p. 768.
4) in Tertul. de Pal. p. 334.

I Theil. Viertes Capitel.
auch Anaboladion und Ampechonion genennet wurde 1). Als etwas
beſonderes iſt ein laͤngerer Mantel ebenfalls aus zwey Stuͤcken, einem Vor-
ter- und Hintertheile, an der Flora im Campidoglio zu merken: es iſt
derſelbe an beyden Seiten von unten herauf zugenaͤhet, und oberwerts ge-
knoͤpfet, ſo daß eine Oeffnung gelaſſen iſt, die Arme durchzuſtecken, wie
der linke Arm thut; der rechte Arm aber hat das Gewand uͤbergeworfen,
man ſieht aber die Oeffnung.

e Von dem
Zuſammenle-
gen der Weib-
lichen Kleider.

Die Kleidung der Alten wurde zuſammengelegt und gepreſſet, wel-
ches ſonderlich muß geſchehen ſeyn, wenn dieſelbe gewaſchen wurde:
denn mit den weißen Gewaͤndern der aͤlteſten Tracht des Weiblichen Ge-
ſchlechts mußte dieſes oͤfter geſchehen 2); es geſchieht auch der Kleiderpreſſen
Meldung 3). Man ſieht dieſes an den theils erhobenen, theils vertief-
ten Reifen, welche uͤber die Gewaͤnder hinlaufen, und Bruͤche des zuſam-
mengelegten Tuches vorſtellen. Dieſe haben die alten Bildhauer vielmals
nachgeahmet, und ich bin der Meynung, daß, was die Roͤmer Runzeln
(Rugas) an den Kleidern hießen, dergleichen Bruͤche, nicht geplattete
Falten waren, wie Salmaſius meynet 4), welcher von dem, was er nicht
geſehen, nicht Rechenſchaft geben konnte.

C.
Von der Zier-
lichkeit des
Weiblichen
Anzuges.

In der Zierlichkeit, als dem zweyten Puncte der Betrachtung uͤber
die Zeichnung bekleideter Figuren, liegt viel zur Kenntniß des Stils und
der Zeiten. Die Zierlichkeit in der Kleidung, welche bey den Alten vor-
a An der
Kleidung all-
gemein.
nehmlich nur den Weiblichen Kleidern zukoͤmmt, beſtehet in der Kunſt ſon-
derlich in den Falten. Dieſe giengen in den aͤlteſten Zeiten mehrentheils
gerade, oder in einem ſehr wenig gezogenen Bogen: ein in dieſen Sachen
ſehr wenig erleuchteter Scribent ſaget dieſes von allem Faltenſchlage der

Alten.
1) Aelian. Var. hiſt. L. 7. c. 9.
2) Hom. Il. γ́ v. 419. Heſiod. Op. v. 195. Anthol. L. 6. ep. 4.
3) Turneb. Adverſ. L. 23. c. 19. p. 768.
4) in Tertul. de Pal. p. 334.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0254" n="204"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
auch <hi rendition="#fr">Anaboladion</hi> und <hi rendition="#fr">Ampechonion</hi> genennet wurde <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Aelian. Var. hi&#x017F;t. L. 7. c.</hi> 9.</note>. Als etwas<lb/>
be&#x017F;onderes i&#x017F;t ein la&#x0364;ngerer Mantel ebenfalls aus zwey Stu&#x0364;cken, einem Vor-<lb/>
ter- und Hintertheile, an der Flora im Campidoglio zu merken: es i&#x017F;t<lb/>
der&#x017F;elbe an beyden Seiten von unten herauf zugena&#x0364;het, und oberwerts ge-<lb/>
kno&#x0364;pfet, &#x017F;o daß eine Oeffnung gela&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, die Arme durchzu&#x017F;tecken, wie<lb/>
der linke Arm thut; der rechte Arm aber hat das Gewand u&#x0364;bergeworfen,<lb/>
man &#x017F;ieht aber die Oeffnung.</p><lb/>
              <note place="left"><hi rendition="#aq">e</hi> Von dem<lb/>
Zu&#x017F;ammenle-<lb/>
gen der Weib-<lb/>
lichen Kleider.</note>
              <p>Die Kleidung der Alten wurde zu&#x017F;ammengelegt und gepre&#x017F;&#x017F;et, wel-<lb/>
ches &#x017F;onderlich muß ge&#x017F;chehen &#x017F;eyn, wenn die&#x017F;elbe gewa&#x017F;chen wurde:<lb/>
denn mit den weißen Gewa&#x0364;ndern der a&#x0364;lte&#x017F;ten Tracht des Weiblichen Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts mußte die&#x017F;es o&#x0364;fter ge&#x017F;chehen <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Hom. Il.</hi> &#x03B3;&#x0301; <hi rendition="#aq">v. 419. He&#x017F;iod. Op. v. 195. Anthol. L. 6. ep.</hi> 4.</note>; es ge&#x017F;chieht auch der Kleiderpre&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Meldung <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Turneb. Adver&#x017F;. L. 23. c. 19. p.</hi> 768.</note>. Man &#x017F;ieht die&#x017F;es an den theils erhobenen, theils vertief-<lb/>
ten Reifen, welche u&#x0364;ber die Gewa&#x0364;nder hinlaufen, und Bru&#x0364;che des zu&#x017F;am-<lb/>
mengelegten Tuches vor&#x017F;tellen. Die&#x017F;e haben die alten Bildhauer vielmals<lb/>
nachgeahmet, und ich bin der Meynung, daß, was die Ro&#x0364;mer <hi rendition="#fr">Runzeln</hi><lb/>
(<hi rendition="#aq">Rugas</hi>) an den Kleidern hießen, dergleichen Bru&#x0364;che, nicht geplattete<lb/>
Falten waren, wie <hi rendition="#fr">Salma&#x017F;ius</hi> meynet <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">in Tertul. de Pal. p.</hi> 334.</note>, welcher von dem, was er nicht<lb/>
ge&#x017F;ehen, nicht Rechen&#x017F;chaft geben konnte.</p><lb/>
              <note place="left"><hi rendition="#aq">C.</hi><lb/>
Von der Zier-<lb/>
lichkeit des<lb/>
Weiblichen<lb/>
Anzuges.</note>
              <p>In der Zierlichkeit, als dem zweyten Puncte der Betrachtung u&#x0364;ber<lb/>
die Zeichnung bekleideter Figuren, liegt viel zur Kenntniß des Stils und<lb/>
der Zeiten. Die Zierlichkeit in der Kleidung, welche bey den Alten vor-<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">a</hi> An der<lb/>
Kleidung all-<lb/>
gemein.</note>nehmlich nur den Weiblichen Kleidern zuko&#x0364;mmt, be&#x017F;tehet in der Kun&#x017F;t &#x017F;on-<lb/>
derlich in den Falten. Die&#x017F;e giengen in den a&#x0364;lte&#x017F;ten Zeiten mehrentheils<lb/>
gerade, oder in einem &#x017F;ehr wenig gezogenen Bogen: ein in die&#x017F;en Sachen<lb/>
&#x017F;ehr wenig erleuchteter Scribent &#x017F;aget die&#x017F;es von allem Falten&#x017F;chlage der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Alten.</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0254] I Theil. Viertes Capitel. auch Anaboladion und Ampechonion genennet wurde 1). Als etwas beſonderes iſt ein laͤngerer Mantel ebenfalls aus zwey Stuͤcken, einem Vor- ter- und Hintertheile, an der Flora im Campidoglio zu merken: es iſt derſelbe an beyden Seiten von unten herauf zugenaͤhet, und oberwerts ge- knoͤpfet, ſo daß eine Oeffnung gelaſſen iſt, die Arme durchzuſtecken, wie der linke Arm thut; der rechte Arm aber hat das Gewand uͤbergeworfen, man ſieht aber die Oeffnung. Die Kleidung der Alten wurde zuſammengelegt und gepreſſet, wel- ches ſonderlich muß geſchehen ſeyn, wenn dieſelbe gewaſchen wurde: denn mit den weißen Gewaͤndern der aͤlteſten Tracht des Weiblichen Ge- ſchlechts mußte dieſes oͤfter geſchehen 2); es geſchieht auch der Kleiderpreſſen Meldung 3). Man ſieht dieſes an den theils erhobenen, theils vertief- ten Reifen, welche uͤber die Gewaͤnder hinlaufen, und Bruͤche des zuſam- mengelegten Tuches vorſtellen. Dieſe haben die alten Bildhauer vielmals nachgeahmet, und ich bin der Meynung, daß, was die Roͤmer Runzeln (Rugas) an den Kleidern hießen, dergleichen Bruͤche, nicht geplattete Falten waren, wie Salmaſius meynet 4), welcher von dem, was er nicht geſehen, nicht Rechenſchaft geben konnte. In der Zierlichkeit, als dem zweyten Puncte der Betrachtung uͤber die Zeichnung bekleideter Figuren, liegt viel zur Kenntniß des Stils und der Zeiten. Die Zierlichkeit in der Kleidung, welche bey den Alten vor- nehmlich nur den Weiblichen Kleidern zukoͤmmt, beſtehet in der Kunſt ſon- derlich in den Falten. Dieſe giengen in den aͤlteſten Zeiten mehrentheils gerade, oder in einem ſehr wenig gezogenen Bogen: ein in dieſen Sachen ſehr wenig erleuchteter Scribent ſaget dieſes von allem Faltenſchlage der Alten. a An der Kleidung all- gemein. 1) Aelian. Var. hiſt. L. 7. c. 9. 2) Hom. Il. γ́ v. 419. Heſiod. Op. v. 195. Anthol. L. 6. ep. 4. 3) Turneb. Adverſ. L. 23. c. 19. p. 768. 4) in Tertul. de Pal. p. 334.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/254
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/254>, abgerufen am 20.04.2024.