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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
Einfalt trat allezeit die erste Weibliche Person in den Griechischen Trauer-
spielen auf 1). Zuweilen sind die Weiblichen Haare, wie an Hetrurischen
Figuren beyderley Geschlechts, hinten lang gebunden, und hängen unter
dem Bande in großen neben einander liegenden Locken herunter: also sind
dieselben an der vielmals angeführten Pallas in der Villa Albani, an einer
kleinern Pallas beym Belisario Amidei, an den Caryatiden in der Villa
Negroni, und an der Hetrurischen Diana zu Portici. Gori 2), welcher so
gebundene Haare für eine Eigenschaft Hetrurischer hält, ist also zu wider-
legen. Flechten um den Kopf gewickelt, wie Michael Angelo den zwo
Weiblichen Statuen an dem Grabmale Pabsts Julius II. gegeben, finden
sich an keiner alten Statue. Aufsätze von fremden Haaren sieht man an
Köpfen Römischer Frauen, und Lucilla, Gemahlinn Kaisers Lucius Ve-
rus, im Campidoglio, hat dieselben von schwarzem Marmor, so daß man
dieses Stück abnehmen kann.

Göttliche Figuren haben zuweilen ein doppeltes Band, oder Diadema,
wie die oft angeführte Juno Lucina in der Villa Albani, welche um die
Haare ein rundes Seil geleget hat, und dasselbe ist nicht gebunden, son-
dern hinten einigemal unter einander gestecket; das andere Band, als das
eigentliche Diadema, ist breit, und lieget über den Haarwachs auf der
Stirne. Den Haaren gab man vielmals eine Hyacinthen-Farbe 3); an
vielen Statuen sind dieselben roth gefärbet, wie an der angeführten He-
trurischen Diana zu Portici, und eben daselbst an einer kleinen Venus von
drey Palmen, welche sich ihre benetzten Haare mit beyden Händen aus-
drücket, und an einer bekleideten Weiblichen Statue mit einem Idealischen
Kopfe, in dem Hofe des Musei daselbst. An der Mediceischen Venus
waren die Haare vergoldet, wie an dem Kopfe eines Apollo im Campido-

glio;
1) Scalig. Poet. L. 1. c. 14. p. 23. D.
2) Mus. Etr. T. 1. p. 101.
3) conf. Huet. Lettr. p. 393. dans les Diss. recueillies par Tilladet. Pind. Nem. 7. iobo-
srukhoisi Moisais.

Von der Kunſt unter den Griechen.
Einfalt trat allezeit die erſte Weibliche Perſon in den Griechiſchen Trauer-
ſpielen auf 1). Zuweilen ſind die Weiblichen Haare, wie an Hetruriſchen
Figuren beyderley Geſchlechts, hinten lang gebunden, und haͤngen unter
dem Bande in großen neben einander liegenden Locken herunter: alſo ſind
dieſelben an der vielmals angefuͤhrten Pallas in der Villa Albani, an einer
kleinern Pallas beym Beliſario Amidei, an den Caryatiden in der Villa
Negroni, und an der Hetruriſchen Diana zu Portici. Gori 2), welcher ſo
gebundene Haare fuͤr eine Eigenſchaft Hetruriſcher haͤlt, iſt alſo zu wider-
legen. Flechten um den Kopf gewickelt, wie Michael Angelo den zwo
Weiblichen Statuen an dem Grabmale Pabſts Julius II. gegeben, finden
ſich an keiner alten Statue. Aufſaͤtze von fremden Haaren ſieht man an
Koͤpfen Roͤmiſcher Frauen, und Lucilla, Gemahlinn Kaiſers Lucius Ve-
rus, im Campidoglio, hat dieſelben von ſchwarzem Marmor, ſo daß man
dieſes Stuͤck abnehmen kann.

Goͤttliche Figuren haben zuweilen ein doppeltes Band, oder Diadema,
wie die oft angefuͤhrte Juno Lucina in der Villa Albani, welche um die
Haare ein rundes Seil geleget hat, und daſſelbe iſt nicht gebunden, ſon-
dern hinten einigemal unter einander geſtecket; das andere Band, als das
eigentliche Diadema, iſt breit, und lieget uͤber den Haarwachs auf der
Stirne. Den Haaren gab man vielmals eine Hyacinthen-Farbe 3); an
vielen Statuen ſind dieſelben roth gefaͤrbet, wie an der angefuͤhrten He-
truriſchen Diana zu Portici, und eben daſelbſt an einer kleinen Venus von
drey Palmen, welche ſich ihre benetzten Haare mit beyden Haͤnden aus-
druͤcket, und an einer bekleideten Weiblichen Statue mit einem Idealiſchen
Kopfe, in dem Hofe des Muſei daſelbſt. An der Mediceiſchen Venus
waren die Haare vergoldet, wie an dem Kopfe eines Apollo im Campido-

glio;
1) Scalig. Poet. L. 1. c. 14. p. 23. D.
2) Muſ. Etr. T. 1. p. 101.
3) conf. Huet. Lettr. p. 393. dans les Diſſ. recueillies par Tilladet. Pind. Nem. 7. ἰοβο-
ςρύχοισι Μοἰσαις.
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[207/0257] Von der Kunſt unter den Griechen. Einfalt trat allezeit die erſte Weibliche Perſon in den Griechiſchen Trauer- ſpielen auf 1). Zuweilen ſind die Weiblichen Haare, wie an Hetruriſchen Figuren beyderley Geſchlechts, hinten lang gebunden, und haͤngen unter dem Bande in großen neben einander liegenden Locken herunter: alſo ſind dieſelben an der vielmals angefuͤhrten Pallas in der Villa Albani, an einer kleinern Pallas beym Beliſario Amidei, an den Caryatiden in der Villa Negroni, und an der Hetruriſchen Diana zu Portici. Gori 2), welcher ſo gebundene Haare fuͤr eine Eigenſchaft Hetruriſcher haͤlt, iſt alſo zu wider- legen. Flechten um den Kopf gewickelt, wie Michael Angelo den zwo Weiblichen Statuen an dem Grabmale Pabſts Julius II. gegeben, finden ſich an keiner alten Statue. Aufſaͤtze von fremden Haaren ſieht man an Koͤpfen Roͤmiſcher Frauen, und Lucilla, Gemahlinn Kaiſers Lucius Ve- rus, im Campidoglio, hat dieſelben von ſchwarzem Marmor, ſo daß man dieſes Stuͤck abnehmen kann. Goͤttliche Figuren haben zuweilen ein doppeltes Band, oder Diadema, wie die oft angefuͤhrte Juno Lucina in der Villa Albani, welche um die Haare ein rundes Seil geleget hat, und daſſelbe iſt nicht gebunden, ſon- dern hinten einigemal unter einander geſtecket; das andere Band, als das eigentliche Diadema, iſt breit, und lieget uͤber den Haarwachs auf der Stirne. Den Haaren gab man vielmals eine Hyacinthen-Farbe 3); an vielen Statuen ſind dieſelben roth gefaͤrbet, wie an der angefuͤhrten He- truriſchen Diana zu Portici, und eben daſelbſt an einer kleinen Venus von drey Palmen, welche ſich ihre benetzten Haare mit beyden Haͤnden aus- druͤcket, und an einer bekleideten Weiblichen Statue mit einem Idealiſchen Kopfe, in dem Hofe des Muſei daſelbſt. An der Mediceiſchen Venus waren die Haare vergoldet, wie an dem Kopfe eines Apollo im Campido- glio; 1) Scalig. Poet. L. 1. c. 14. p. 23. D. 2) Muſ. Etr. T. 1. p. 101. 3) conf. Huet. Lettr. p. 393. dans les Diſſ. recueillies par Tilladet. Pind. Nem. 7. ἰοβο- ςρύχοισι Μοἰσαις.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/257>, abgerufen am 25.04.2024.