Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Viertes Capitel.
ten von Kork, (das Korkholz hat daher den Namen Pantoffelholz bekom-
men) und war unten und oben mit einer Sohle von Leder beleget, welche
über das Holz in einem Rand hervor tritt, wie es sich an einer kleinen Pal-
las von Erzt, in der Villa Albani, zeiget; in Italien tragen noch itzo einige
Nonnen dergleichen Sohlen. Es finden sich indessen auch Schuhe aus einer
einzigen Sohle, welche die Griechen aplas und monopelma upodemata
nenneten 1), und solche Sohlen haben die Statuen der beyden gefangenen
Könige im Campidoglio, und bestehen aus einem Stücke Leder, welches um
den Fuß obenher geschnüret oder gebunden wird, wie dergleichen noch unter
den Landleuten zwischen Rom und Neapel gebräuchlich sind. Es trugen
auch die Alten, so wohl Männlichen als Weiblichen Geschlechts, Sohlen aus
Stricken zusammengelegt, wie dieselben noch itzo unter den Licanern üblich
sind; diese Stricke gehen in länglichen Kreisen um einander herum, und es
war auch das Stück, welches die Ferse bedeckte, aus Stricken, an der Sohle
befestiget: verschiedene solcher Sohlen, auch von Personen vom zarten Alter,
haben sich im Herculano gefunden. Der Cothurnus war eine Sohle von
verschiedener Dicke oder Höhe 2), mehrentheils aber eine Handbreit hoch,
welcher insgemein der Tragischen Muse auf erhabenen Werken gegeben ist,
und diese Muse stehet in Lebensgröße unerkannt in der Villa Borghese, wo
sich die eigentliche Form des Cothurnus zeiget, welcher fünf Zolle eines Rö-
mischen Palms hoch ist. Diesem wahrhaften Augenschein gemäß, müssen
die Stellen der Alten, die wider alle Wahrscheinlichkeit von einer ungewöhn-
lichen Erhöhung der Person auf dem Theater zu reden scheinen, verstanden
werden. Von dem Tragischen Cothurno aber ist eine Art Stiefeln, welche
eben so hieß, zu unterscheiden; diese gieng bis auf die Hälfte der Wade, und
war bey Jägern, wie noch itzo in Italien, gebräuchlich: Diana und Bacchus
pflegen dieselben zuweilen zu tragen 3). Die Art des Bindens der Sohlen

ist
1) Casaub. Not. in Aen. Tact. c. 21. p. 84.
2) Cic. de Fin. L. 3. c. 14.
3) Spanh. ad Callim. in Dian. p. 134.

I Theil. Viertes Capitel.
ten von Kork, (das Korkholz hat daher den Namen Pantoffelholz bekom-
men) und war unten und oben mit einer Sohle von Leder beleget, welche
uͤber das Holz in einem Rand hervor tritt, wie es ſich an einer kleinen Pal-
las von Erzt, in der Villa Albani, zeiget; in Italien tragen noch itzo einige
Nonnen dergleichen Sohlen. Es finden ſich indeſſen auch Schuhe aus einer
einzigen Sohle, welche die Griechen ἁπλᾶς und μονόπελμα ὑποδήματα
nenneten 1), und ſolche Sohlen haben die Statuen der beyden gefangenen
Koͤnige im Campidoglio, und beſtehen aus einem Stuͤcke Leder, welches um
den Fuß obenher geſchnuͤret oder gebunden wird, wie dergleichen noch unter
den Landleuten zwiſchen Rom und Neapel gebraͤuchlich ſind. Es trugen
auch die Alten, ſo wohl Maͤnnlichen als Weiblichen Geſchlechts, Sohlen aus
Stricken zuſammengelegt, wie dieſelben noch itzo unter den Licanern uͤblich
ſind; dieſe Stricke gehen in laͤnglichen Kreiſen um einander herum, und es
war auch das Stuͤck, welches die Ferſe bedeckte, aus Stricken, an der Sohle
befeſtiget: verſchiedene ſolcher Sohlen, auch von Perſonen vom zarten Alter,
haben ſich im Herculano gefunden. Der Cothurnus war eine Sohle von
verſchiedener Dicke oder Hoͤhe 2), mehrentheils aber eine Handbreit hoch,
welcher insgemein der Tragiſchen Muſe auf erhabenen Werken gegeben iſt,
und dieſe Muſe ſtehet in Lebensgroͤße unerkannt in der Villa Borgheſe, wo
ſich die eigentliche Form des Cothurnus zeiget, welcher fuͤnf Zolle eines Roͤ-
miſchen Palms hoch iſt. Dieſem wahrhaften Augenſchein gemaͤß, muͤſſen
die Stellen der Alten, die wider alle Wahrſcheinlichkeit von einer ungewoͤhn-
lichen Erhoͤhung der Perſon auf dem Theater zu reden ſcheinen, verſtanden
werden. Von dem Tragiſchen Cothurno aber iſt eine Art Stiefeln, welche
eben ſo hieß, zu unterſcheiden; dieſe gieng bis auf die Haͤlfte der Wade, und
war bey Jaͤgern, wie noch itzo in Italien, gebraͤuchlich: Diana und Bacchus
pflegen dieſelben zuweilen zu tragen 3). Die Art des Bindens der Sohlen

iſt
1) Caſaub. Not. in Aen. Tact. c. 21. p. 84.
2) Cic. de Fin. L. 3. c. 14.
3) Spanh. ad Callim. in Dian. p. 134.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0260" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
ten von Kork, (das Korkholz hat daher den Namen <hi rendition="#fr">Pantoffelholz</hi> bekom-<lb/>
men) und war unten und oben mit einer Sohle von Leder beleget, welche<lb/>
u&#x0364;ber das Holz in einem Rand hervor tritt, wie es &#x017F;ich an einer kleinen Pal-<lb/>
las von Erzt, in der Villa Albani, zeiget; in Italien tragen noch itzo einige<lb/>
Nonnen dergleichen Sohlen. Es finden &#x017F;ich inde&#x017F;&#x017F;en auch Schuhe aus einer<lb/>
einzigen Sohle, welche die Griechen &#x1F01;&#x03C0;&#x03BB;&#x1FB6;&#x03C2; und &#x03BC;&#x03BF;&#x03BD;&#x03CC;&#x03C0;&#x03B5;&#x03BB;&#x03BC;&#x03B1; &#x1F51;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B4;&#x03AE;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1;<lb/>
nenneten <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Ca&#x017F;aub. Not. in Aen. Tact. c. 21. p.</hi> 84.</note>, und &#x017F;olche Sohlen haben die Statuen der beyden gefangenen<lb/>
Ko&#x0364;nige im Campidoglio, und be&#x017F;tehen aus einem Stu&#x0364;cke Leder, welches um<lb/>
den Fuß obenher ge&#x017F;chnu&#x0364;ret oder gebunden wird, wie dergleichen noch unter<lb/>
den Landleuten zwi&#x017F;chen Rom und Neapel gebra&#x0364;uchlich &#x017F;ind. Es trugen<lb/>
auch die Alten, &#x017F;o wohl Ma&#x0364;nnlichen als Weiblichen Ge&#x017F;chlechts, Sohlen aus<lb/>
Stricken zu&#x017F;ammengelegt, wie die&#x017F;elben noch itzo unter den Licanern u&#x0364;blich<lb/>
&#x017F;ind; die&#x017F;e Stricke gehen in la&#x0364;nglichen Krei&#x017F;en um einander herum, und es<lb/>
war auch das Stu&#x0364;ck, welches die Fer&#x017F;e bedeckte, aus Stricken, an der Sohle<lb/>
befe&#x017F;tiget: ver&#x017F;chiedene &#x017F;olcher Sohlen, auch von Per&#x017F;onen vom zarten Alter,<lb/>
haben &#x017F;ich im Herculano gefunden. Der <hi rendition="#fr">Cothurnus</hi> war eine Sohle von<lb/>
ver&#x017F;chiedener Dicke oder Ho&#x0364;he <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Cic. de Fin. L. 3. c.</hi> 14.</note>, mehrentheils aber eine Handbreit hoch,<lb/>
welcher insgemein der Tragi&#x017F;chen Mu&#x017F;e auf erhabenen Werken gegeben i&#x017F;t,<lb/>
und die&#x017F;e Mu&#x017F;e &#x017F;tehet in Lebensgro&#x0364;ße unerkannt in der Villa Borghe&#x017F;e, wo<lb/>
&#x017F;ich die eigentliche Form des Cothurnus zeiget, welcher fu&#x0364;nf Zolle eines Ro&#x0364;-<lb/>
mi&#x017F;chen Palms hoch i&#x017F;t. Die&#x017F;em wahrhaften Augen&#x017F;chein gema&#x0364;ß, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
die Stellen der Alten, die wider alle Wahr&#x017F;cheinlichkeit von einer ungewo&#x0364;hn-<lb/>
lichen Erho&#x0364;hung der Per&#x017F;on auf dem Theater zu reden &#x017F;cheinen, ver&#x017F;tanden<lb/>
werden. Von dem Tragi&#x017F;chen Cothurno aber i&#x017F;t eine Art Stiefeln, welche<lb/>
eben &#x017F;o hieß, zu unter&#x017F;cheiden; die&#x017F;e gieng bis auf die Ha&#x0364;lfte der Wade, und<lb/>
war bey Ja&#x0364;gern, wie noch itzo in Italien, gebra&#x0364;uchlich: Diana und Bacchus<lb/>
pflegen die&#x017F;elben zuweilen zu tragen <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Spanh. ad Callim. in Dian. p.</hi> 134.</note>. Die Art des Bindens der Sohlen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0260] I Theil. Viertes Capitel. ten von Kork, (das Korkholz hat daher den Namen Pantoffelholz bekom- men) und war unten und oben mit einer Sohle von Leder beleget, welche uͤber das Holz in einem Rand hervor tritt, wie es ſich an einer kleinen Pal- las von Erzt, in der Villa Albani, zeiget; in Italien tragen noch itzo einige Nonnen dergleichen Sohlen. Es finden ſich indeſſen auch Schuhe aus einer einzigen Sohle, welche die Griechen ἁπλᾶς und μονόπελμα ὑποδήματα nenneten 1), und ſolche Sohlen haben die Statuen der beyden gefangenen Koͤnige im Campidoglio, und beſtehen aus einem Stuͤcke Leder, welches um den Fuß obenher geſchnuͤret oder gebunden wird, wie dergleichen noch unter den Landleuten zwiſchen Rom und Neapel gebraͤuchlich ſind. Es trugen auch die Alten, ſo wohl Maͤnnlichen als Weiblichen Geſchlechts, Sohlen aus Stricken zuſammengelegt, wie dieſelben noch itzo unter den Licanern uͤblich ſind; dieſe Stricke gehen in laͤnglichen Kreiſen um einander herum, und es war auch das Stuͤck, welches die Ferſe bedeckte, aus Stricken, an der Sohle befeſtiget: verſchiedene ſolcher Sohlen, auch von Perſonen vom zarten Alter, haben ſich im Herculano gefunden. Der Cothurnus war eine Sohle von verſchiedener Dicke oder Hoͤhe 2), mehrentheils aber eine Handbreit hoch, welcher insgemein der Tragiſchen Muſe auf erhabenen Werken gegeben iſt, und dieſe Muſe ſtehet in Lebensgroͤße unerkannt in der Villa Borgheſe, wo ſich die eigentliche Form des Cothurnus zeiget, welcher fuͤnf Zolle eines Roͤ- miſchen Palms hoch iſt. Dieſem wahrhaften Augenſchein gemaͤß, muͤſſen die Stellen der Alten, die wider alle Wahrſcheinlichkeit von einer ungewoͤhn- lichen Erhoͤhung der Perſon auf dem Theater zu reden ſcheinen, verſtanden werden. Von dem Tragiſchen Cothurno aber iſt eine Art Stiefeln, welche eben ſo hieß, zu unterſcheiden; dieſe gieng bis auf die Haͤlfte der Wade, und war bey Jaͤgern, wie noch itzo in Italien, gebraͤuchlich: Diana und Bacchus pflegen dieſelben zuweilen zu tragen 3). Die Art des Bindens der Sohlen iſt 1) Caſaub. Not. in Aen. Tact. c. 21. p. 84. 2) Cic. de Fin. L. 3. c. 14. 3) Spanh. ad Callim. in Dian. p. 134.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/260
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/260>, abgerufen am 24.04.2024.