Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I Theil. Viertes Capitel.
eine dunkle Anzeige des Petronius 1), welche auf die Kunst zu seiner Zeit
gehet, und über deren Erklärung man sich noch nicht hat vergleichen kön-
nen. Da dieser Scribent von den Ursachen des Verfalls der Beredsam-
keit redet, beklaget er zugleich das Schicksal der Kunst, die sich durch einen
Aegyptischen Stil verdorben, welcher, nach dem eigentlichen Ausdrucke
der Worte zu übersetzen, ins enge zusammen bringet oder ziehet. Ich
glaube hier eine von den Eigenschaften und Kennzeichen des Aegyptischen
Stils zu finden; und wenn diese Erklärung statt fände, so wären die
Künstler um die Zeit des Petronius und vorher auf eine trockene, magere
und kleinliche Art im Zeichnen und Ausführen gefallen. Diesem zu folge
könnte man voraus setzen, daß, da nach dem natürlichen Lauf der Dinge,
auf ein äußerstes das ihm entgegen gesetzte zu folgen pflegt, der magere
und dem Aegyptischen ähnliche Stil die Verbesserung eines übertriebenen
Schwulstes seyn sollen. Man könnte hier den Farnesischen Hercules an-
führen, an welchem alle Muskeln schwülstiger sind, als es die gesunde
Zeichnung lehret.

Einen diesem entgegen gesetzten Stil könnte man in einigen erhobenen
Arbeiten finden, welche wegen einiger Härte und Steife der Figuren für
Hetrurisch, oder für alt Griechisch, zu halten wären, wenn es andere Anzei-
gen erlaubeten. Ich will zum Beyspiel eins von denselben in der Villa
Albani anführen, welches über der Vorrede dieser Schrift in Kupfer ge-
stochen stehet. Dieses Werk stellet vier Weibliche bekleidete Göttinnen
gleichsam in Proceßion vor, unter welchen die letztere einen langen Zepter
trägt, die mittlere, welches Diana ist, hat den Bogen und den Köcher
auf der Schulter hängen, und trägt eine Fackel; sie fasset an den Mantel
der ersten, welches eine Muse ist, und auf dem Psalter spielet, und mit
der einen Hand eine Schaale hält, in welche eine Victoria, neben einen
Altar stehend, eine Libation ausgießt. Dem ersten Anblicke nach könnte

es
1) Satyr. c. 2. p. 13. ed. Burm.

I Theil. Viertes Capitel.
eine dunkle Anzeige des Petronius 1), welche auf die Kunſt zu ſeiner Zeit
gehet, und uͤber deren Erklaͤrung man ſich noch nicht hat vergleichen koͤn-
nen. Da dieſer Scribent von den Urſachen des Verfalls der Beredſam-
keit redet, beklaget er zugleich das Schickſal der Kunſt, die ſich durch einen
Aegyptiſchen Stil verdorben, welcher, nach dem eigentlichen Ausdrucke
der Worte zu uͤberſetzen, ins enge zuſammen bringet oder ziehet. Ich
glaube hier eine von den Eigenſchaften und Kennzeichen des Aegyptiſchen
Stils zu finden; und wenn dieſe Erklaͤrung ſtatt faͤnde, ſo waͤren die
Kuͤnſtler um die Zeit des Petronius und vorher auf eine trockene, magere
und kleinliche Art im Zeichnen und Ausfuͤhren gefallen. Dieſem zu folge
koͤnnte man voraus ſetzen, daß, da nach dem natuͤrlichen Lauf der Dinge,
auf ein aͤußerſtes das ihm entgegen geſetzte zu folgen pflegt, der magere
und dem Aegyptiſchen aͤhnliche Stil die Verbeſſerung eines uͤbertriebenen
Schwulſtes ſeyn ſollen. Man koͤnnte hier den Farneſiſchen Hercules an-
fuͤhren, an welchem alle Muskeln ſchwuͤlſtiger ſind, als es die geſunde
Zeichnung lehret.

Einen dieſem entgegen geſetzten Stil koͤnnte man in einigen erhobenen
Arbeiten finden, welche wegen einiger Haͤrte und Steife der Figuren fuͤr
Hetruriſch, oder fuͤr alt Griechiſch, zu halten waͤren, wenn es andere Anzei-
gen erlaubeten. Ich will zum Beyſpiel eins von denſelben in der Villa
Albani anfuͤhren, welches uͤber der Vorrede dieſer Schrift in Kupfer ge-
ſtochen ſtehet. Dieſes Werk ſtellet vier Weibliche bekleidete Goͤttinnen
gleichſam in Proceßion vor, unter welchen die letztere einen langen Zepter
traͤgt, die mittlere, welches Diana iſt, hat den Bogen und den Koͤcher
auf der Schulter haͤngen, und traͤgt eine Fackel; ſie faſſet an den Mantel
der erſten, welches eine Muſe iſt, und auf dem Pſalter ſpielet, und mit
der einen Hand eine Schaale haͤlt, in welche eine Victoria, neben einen
Altar ſtehend, eine Libation ausgießt. Dem erſten Anblicke nach koͤnnte

es
1) Satyr. c. 2. p. 13. ed. Burm.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0288" n="238"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Theil. Viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
eine dunkle Anzeige des <hi rendition="#fr">Petronius</hi> <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Satyr. c. 2. p. 13. ed. Burm.</hi></note>, welche auf die Kun&#x017F;t zu &#x017F;einer Zeit<lb/>
gehet, und u&#x0364;ber deren Erkla&#x0364;rung man &#x017F;ich noch nicht hat vergleichen ko&#x0364;n-<lb/>
nen. Da die&#x017F;er Scribent von den Ur&#x017F;achen des Verfalls der Bered&#x017F;am-<lb/>
keit redet, beklaget er zugleich das Schick&#x017F;al der Kun&#x017F;t, die &#x017F;ich durch einen<lb/>
Aegypti&#x017F;chen Stil verdorben, <hi rendition="#fr">welcher,</hi> nach dem eigentlichen Ausdrucke<lb/>
der Worte zu u&#x0364;ber&#x017F;etzen, <hi rendition="#fr">ins enge zu&#x017F;ammen bringet oder ziehet.</hi> Ich<lb/>
glaube hier eine von den Eigen&#x017F;chaften und Kennzeichen des Aegypti&#x017F;chen<lb/>
Stils zu finden; und wenn die&#x017F;e Erkla&#x0364;rung &#x017F;tatt fa&#x0364;nde, &#x017F;o wa&#x0364;ren die<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler um die Zeit des Petronius und vorher auf eine trockene, magere<lb/>
und kleinliche Art im Zeichnen und Ausfu&#x0364;hren gefallen. Die&#x017F;em zu folge<lb/>
ko&#x0364;nnte man voraus &#x017F;etzen, daß, da nach dem natu&#x0364;rlichen Lauf der Dinge,<lb/>
auf ein a&#x0364;ußer&#x017F;tes das ihm entgegen ge&#x017F;etzte zu folgen pflegt, der magere<lb/>
und dem Aegypti&#x017F;chen a&#x0364;hnliche Stil die Verbe&#x017F;&#x017F;erung eines u&#x0364;bertriebenen<lb/>
Schwul&#x017F;tes &#x017F;eyn &#x017F;ollen. Man ko&#x0364;nnte hier den Farne&#x017F;i&#x017F;chen Hercules an-<lb/>
fu&#x0364;hren, an welchem alle Muskeln &#x017F;chwu&#x0364;l&#x017F;tiger &#x017F;ind, als es die ge&#x017F;unde<lb/>
Zeichnung lehret.</p><lb/>
              <p>Einen die&#x017F;em entgegen ge&#x017F;etzten Stil ko&#x0364;nnte man in einigen erhobenen<lb/>
Arbeiten finden, welche wegen einiger Ha&#x0364;rte und Steife der Figuren fu&#x0364;r<lb/>
Hetruri&#x017F;ch, oder fu&#x0364;r alt Griechi&#x017F;ch, zu halten wa&#x0364;ren, wenn es andere Anzei-<lb/>
gen erlaubeten. Ich will zum Bey&#x017F;piel eins von den&#x017F;elben in der Villa<lb/>
Albani anfu&#x0364;hren, welches u&#x0364;ber der Vorrede die&#x017F;er Schrift in Kupfer ge-<lb/>
&#x017F;tochen &#x017F;tehet. Die&#x017F;es Werk &#x017F;tellet vier Weibliche bekleidete Go&#x0364;ttinnen<lb/>
gleich&#x017F;am in Proceßion vor, unter welchen die letztere einen langen Zepter<lb/>
tra&#x0364;gt, die mittlere, welches Diana i&#x017F;t, hat den Bogen und den Ko&#x0364;cher<lb/>
auf der Schulter ha&#x0364;ngen, und tra&#x0364;gt eine Fackel; &#x017F;ie fa&#x017F;&#x017F;et an den Mantel<lb/>
der er&#x017F;ten, welches eine Mu&#x017F;e i&#x017F;t, und auf dem P&#x017F;alter &#x017F;pielet, und mit<lb/>
der einen Hand eine Schaale ha&#x0364;lt, in welche eine Victoria, neben einen<lb/>
Altar &#x017F;tehend, eine <hi rendition="#fr">Libation</hi> ausgießt. Dem er&#x017F;ten Anblicke nach ko&#x0364;nnte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0288] I Theil. Viertes Capitel. eine dunkle Anzeige des Petronius 1), welche auf die Kunſt zu ſeiner Zeit gehet, und uͤber deren Erklaͤrung man ſich noch nicht hat vergleichen koͤn- nen. Da dieſer Scribent von den Urſachen des Verfalls der Beredſam- keit redet, beklaget er zugleich das Schickſal der Kunſt, die ſich durch einen Aegyptiſchen Stil verdorben, welcher, nach dem eigentlichen Ausdrucke der Worte zu uͤberſetzen, ins enge zuſammen bringet oder ziehet. Ich glaube hier eine von den Eigenſchaften und Kennzeichen des Aegyptiſchen Stils zu finden; und wenn dieſe Erklaͤrung ſtatt faͤnde, ſo waͤren die Kuͤnſtler um die Zeit des Petronius und vorher auf eine trockene, magere und kleinliche Art im Zeichnen und Ausfuͤhren gefallen. Dieſem zu folge koͤnnte man voraus ſetzen, daß, da nach dem natuͤrlichen Lauf der Dinge, auf ein aͤußerſtes das ihm entgegen geſetzte zu folgen pflegt, der magere und dem Aegyptiſchen aͤhnliche Stil die Verbeſſerung eines uͤbertriebenen Schwulſtes ſeyn ſollen. Man koͤnnte hier den Farneſiſchen Hercules an- fuͤhren, an welchem alle Muskeln ſchwuͤlſtiger ſind, als es die geſunde Zeichnung lehret. Einen dieſem entgegen geſetzten Stil koͤnnte man in einigen erhobenen Arbeiten finden, welche wegen einiger Haͤrte und Steife der Figuren fuͤr Hetruriſch, oder fuͤr alt Griechiſch, zu halten waͤren, wenn es andere Anzei- gen erlaubeten. Ich will zum Beyſpiel eins von denſelben in der Villa Albani anfuͤhren, welches uͤber der Vorrede dieſer Schrift in Kupfer ge- ſtochen ſtehet. Dieſes Werk ſtellet vier Weibliche bekleidete Goͤttinnen gleichſam in Proceßion vor, unter welchen die letztere einen langen Zepter traͤgt, die mittlere, welches Diana iſt, hat den Bogen und den Koͤcher auf der Schulter haͤngen, und traͤgt eine Fackel; ſie faſſet an den Mantel der erſten, welches eine Muſe iſt, und auf dem Pſalter ſpielet, und mit der einen Hand eine Schaale haͤlt, in welche eine Victoria, neben einen Altar ſtehend, eine Libation ausgießt. Dem erſten Anblicke nach koͤnnte es 1) Satyr. c. 2. p. 13. ed. Burm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/288
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/288>, abgerufen am 23.04.2024.