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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
an statt POLIS. Es ist hier kein anderer, als der bekannte König in
Assyrien, zu verstehen, welchen aber diese Statue nicht vorstellen kann, und
dieses aus mehr, als aus einem Grunde: es wird hier genug seyn, zu sagen,
daß derselbe, nach dem Herodotus, ohne Bart und beständig geschoren war,
da die Statue einen langen Bart hat. Es zeuget dieselbe von guten Zei-
ten der Kunst, und allem Ansehen nach ist sie nicht unter den Römischen
Kaisern gemacht 1). Die vier Caryatiden, welche von mehrern übrig
geblieben, haben vermuthlich ein Gesimms eines Zimmers getragen: denn
auf ihren Köpfen ist eine erhöhete Rundung, in welchem Rande ein Ca-
pitäl oder Korb wird gestanden haben.

E.
Von den
Kennzeichen
des Stils in
der Abnahme
der Kunst.

Daß der Stil der Kunst in den letzten Zeiten von dem alten sehr ver-
schieden gewesen, deutet unter andern Pausanias an, wenn er sagt 2), daß
eine Priesterinn der Leucippiden, das ist, der Phoebe, und der Hilaira,
von einer von beyden Statuen, weil sie gemeynet, dieselbe schöner zu
machen, den alten Kopf abnehmen, und ihr einen neuen Kopf an dessen

Stelle
1) Ueber die Form der Buchstaben finden sich einige Anmerkungen zu machen. Die Buch-
staben, welche oben einen Winkel machen, haben die eine Linie hervorspringen; und
so gezogen kommen sie vor auf Inschriften, auch auf irrdenen Lampen a). Der her-
vorspringende Stab an denselben aber ist bisher für ein Kennzeichen späterer Zeiten,
etwa von den Antoninern, gehalten worden: folglich könnte die Statue nicht so alt
seyn, als sie es nach der Kunst scheinet. Es finden sich aber in den Herculanischen
Papiren, und auf einem Stücke Mauerwerk daselbst c), die Buchstaben auf eben die
Art geformet; und unter andern in der Abhandlung des Philodemus von der Rede-
kunst, welcher mit dem Cicero zu gleicher Zeit lebete: und diese seine Schrift scheinet
aus den vielen Verbesserungen und Aenderungen die eigene Handschrift dieses Epicuri-
schen Philosophen zu seyn. Es waren also Griechische Buchstaben mit hervorsprin-
genden Stäben schon zur Zeit der Römischen Republic üblich. Von den Herculani-
schen Buchstaben kann man sich einen Begriff machen aus drey Stücken von eben
dergleichen Papir in der Kaiserl. Bibliothec zu Wien d); diese sind jenen völlig ähnlich,
mit dem Unterschiede, daß die Wienerischen etwa um eine Linie größer sind.
a)Passeri Lucern. T. 1. tab. 24.
b)Bandelot Vtilite des voy. T. 2. p. 127.
c)Pitt. Ercul. T. 2. p. 221.
d)Lambec. Comment. Bibl. Vindob. T. 8. p. 411.
2) L. 3. p. 247. Dem letzten Französischen Uebersetzer des Pausanias sind hier seine Moden
eingefallen, und er hat einen Kopf verstanden "nach der heutigen Mode.".

I Theil. Viertes Capitel.
an ſtatt ΠΟΛΙΣ. Es iſt hier kein anderer, als der bekannte Koͤnig in
Aſſyrien, zu verſtehen, welchen aber dieſe Statue nicht vorſtellen kann, und
dieſes aus mehr, als aus einem Grunde: es wird hier genug ſeyn, zu ſagen,
daß derſelbe, nach dem Herodotus, ohne Bart und beſtaͤndig geſchoren war,
da die Statue einen langen Bart hat. Es zeuget dieſelbe von guten Zei-
ten der Kunſt, und allem Anſehen nach iſt ſie nicht unter den Roͤmiſchen
Kaiſern gemacht 1). Die vier Caryatiden, welche von mehrern uͤbrig
geblieben, haben vermuthlich ein Geſimms eines Zimmers getragen: denn
auf ihren Koͤpfen iſt eine erhoͤhete Rundung, in welchem Rande ein Ca-
pitaͤl oder Korb wird geſtanden haben.

E.
Von den
Kennzeichen
des Stils in
der Abnahme
der Kunſt.

Daß der Stil der Kunſt in den letzten Zeiten von dem alten ſehr ver-
ſchieden geweſen, deutet unter andern Pauſanias an, wenn er ſagt 2), daß
eine Prieſterinn der Leucippiden, das iſt, der Phoebe, und der Hilaira,
von einer von beyden Statuen, weil ſie gemeynet, dieſelbe ſchoͤner zu
machen, den alten Kopf abnehmen, und ihr einen neuen Kopf an deſſen

Stelle
1) Ueber die Form der Buchſtaben finden ſich einige Anmerkungen zu machen. Die Buch-
ſtaben, welche oben einen Winkel machen, haben die eine Linie hervorſpringen; und
ſo gezogen kommen ſie vor auf Inſchriften, auch auf irrdenen Lampen a). Der her-
vorſpringende Stab an denſelben aber iſt bisher fuͤr ein Kennzeichen ſpaͤterer Zeiten,
etwa von den Antoninern, gehalten worden: folglich koͤnnte die Statue nicht ſo alt
ſeyn, als ſie es nach der Kunſt ſcheinet. Es finden ſich aber in den Herculaniſchen
Papiren, und auf einem Stuͤcke Mauerwerk daſelbſt c), die Buchſtaben auf eben die
Art geformet; und unter andern in der Abhandlung des Philodemus von der Rede-
kunſt, welcher mit dem Cicero zu gleicher Zeit lebete: und dieſe ſeine Schrift ſcheinet
aus den vielen Verbeſſerungen und Aenderungen die eigene Handſchrift dieſes Epicuri-
ſchen Philoſophen zu ſeyn. Es waren alſo Griechiſche Buchſtaben mit hervorſprin-
genden Staͤben ſchon zur Zeit der Roͤmiſchen Republic uͤblich. Von den Herculani-
ſchen Buchſtaben kann man ſich einen Begriff machen aus drey Stuͤcken von eben
dergleichen Papir in der Kaiſerl. Bibliothec zu Wien d); dieſe ſind jenen voͤllig aͤhnlich,
mit dem Unterſchiede, daß die Wieneriſchen etwa um eine Linie groͤßer ſind.
a)Paſſeri Lucern. T. 1. tab. 24.
b)Bandelot Vtilité des voy. T. 2. p. 127.
c)Pitt. Ercul. T. 2. p. 221.
d)Lambec. Comment. Bibl. Vindob. T. 8. p. 411.
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[242/0292] I Theil. Viertes Capitel. an ſtatt ΠΟΛΙΣ. Es iſt hier kein anderer, als der bekannte Koͤnig in Aſſyrien, zu verſtehen, welchen aber dieſe Statue nicht vorſtellen kann, und dieſes aus mehr, als aus einem Grunde: es wird hier genug ſeyn, zu ſagen, daß derſelbe, nach dem Herodotus, ohne Bart und beſtaͤndig geſchoren war, da die Statue einen langen Bart hat. Es zeuget dieſelbe von guten Zei- ten der Kunſt, und allem Anſehen nach iſt ſie nicht unter den Roͤmiſchen Kaiſern gemacht 1). Die vier Caryatiden, welche von mehrern uͤbrig geblieben, haben vermuthlich ein Geſimms eines Zimmers getragen: denn auf ihren Koͤpfen iſt eine erhoͤhete Rundung, in welchem Rande ein Ca- pitaͤl oder Korb wird geſtanden haben. Daß der Stil der Kunſt in den letzten Zeiten von dem alten ſehr ver- ſchieden geweſen, deutet unter andern Pauſanias an, wenn er ſagt 2), daß eine Prieſterinn der Leucippiden, das iſt, der Phoebe, und der Hilaira, von einer von beyden Statuen, weil ſie gemeynet, dieſelbe ſchoͤner zu machen, den alten Kopf abnehmen, und ihr einen neuen Kopf an deſſen Stelle 1) Ueber die Form der Buchſtaben finden ſich einige Anmerkungen zu machen. Die Buch- ſtaben, welche oben einen Winkel machen, haben die eine Linie hervorſpringen; und ſo gezogen kommen ſie vor auf Inſchriften, auch auf irrdenen Lampen a). Der her- vorſpringende Stab an denſelben aber iſt bisher fuͤr ein Kennzeichen ſpaͤterer Zeiten, etwa von den Antoninern, gehalten worden: folglich koͤnnte die Statue nicht ſo alt ſeyn, als ſie es nach der Kunſt ſcheinet. Es finden ſich aber in den Herculaniſchen Papiren, und auf einem Stuͤcke Mauerwerk daſelbſt c), die Buchſtaben auf eben die Art geformet; und unter andern in der Abhandlung des Philodemus von der Rede- kunſt, welcher mit dem Cicero zu gleicher Zeit lebete: und dieſe ſeine Schrift ſcheinet aus den vielen Verbeſſerungen und Aenderungen die eigene Handſchrift dieſes Epicuri- ſchen Philoſophen zu ſeyn. Es waren alſo Griechiſche Buchſtaben mit hervorſprin- genden Staͤben ſchon zur Zeit der Roͤmiſchen Republic uͤblich. Von den Herculani- ſchen Buchſtaben kann man ſich einen Begriff machen aus drey Stuͤcken von eben dergleichen Papir in der Kaiſerl. Bibliothec zu Wien d); dieſe ſind jenen voͤllig aͤhnlich, mit dem Unterſchiede, daß die Wieneriſchen etwa um eine Linie groͤßer ſind. a)Paſſeri Lucern. T. 1. tab. 24. b)Bandelot Vtilité des voy. T. 2. p. 127. c)Pitt. Ercul. T. 2. p. 221. d)Lambec. Comment. Bibl. Vindob. T. 8. p. 411. 2) L. 3. p. 247. Dem letzten Franzoͤſiſchen Ueberſetzer des Pauſanias ſind hier ſeine Moden eingefallen, und er hat einen Kopf verſtanden „nach der heutigen Mode.„.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/292>, abgerufen am 29.03.2024.