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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
K.
Beschluß die-
ses dritten
Stücks von
einem außer-
ordentlichen
Denkmale
fremder und
ungestalter
Kunst, von
Grichischen
Künstlern ver-
fertiget.

Ich schließe das dritte Stück dieses Capitels mit einem ganz außer-
ordentlichen Denkmale im Campidoglio aus einer Art von Basalt. Es
stellet einen großen sitzenden Affen vor, dessen vordere Füße auf den Knien
der hinteren Füße ruhen, und wovon der Kopf verlohren gegangen ist.
Auf der Base dieser Figur stehet auf der rechten Seite in Griechischer
Schrift eingehauen: "Phidias und Ammonius, Söhne des Phi-
dias, haben es gemacht
1)." Diese Inschrift, welche von wenigen
bemerket worden, war in dem geschriebenen Verzeichnisse, aus welchem
Reinesius dieselbe genommen, leichthin angegeben, ohne das Werk an-
zuzeigen, woran sie stehet, und könnte ohne offenbare Kennzeichen ihres
Alterthums für untergeschoben angesehen werden. Dieses dem Scheine
nach verächtliche Werk, kann durch die Schrift auf demselben Aufmerk-
samkeit erwecken, und ich will meine Muthmaßung mittheilen.

Es hatte sich eine Colonie von Griechen in Africa niedergelassen,
die Pithecusä in ihrer Sprache hießen, von der Menge Affen in diesen
Gegenden. Diodorus sagt 2), daß dieses Thier heilig von ihnen gehal-
ten, und, wie die Hunde in Aegypten, verehret worden. Die Affen
liefen frey in ihre Wohnungen, und nahmen, was ihnen gefiel; ja diese
Griechen nenneten ihre Kinder nach denselben, weil sie den Thieren, wie
sonst den Göttern, gewisse Ehrenbenennungen werden beygeleget haben.
Ich bilde mir ein, daß der Affe im Campidoglio ein Vorwurf der Ver-
ehrung unter den Pithecusischen Griechen gewesen sey; wenigstens sehe
ich keinen andern Weg, ein solches Ungeheuer in der Kunst, mit Namen
Griechischer Bildhauer zu reimen: Phidias und Ammonius werden diese
Kunst unter diesen Barbarischen Griechen geübet haben. Da Agathocles,
König in Sicilien, die Carthaginenser in Africa heimsuchete, drang dessen

Feld-
1) Reines. Inser. Class. 2. n. 62. & ex co Cuper. Apotheos. Hom. p. 134.
2) Hist. L. 20. p. 793.
I Theil. Viertes Capitel.
K.
Beſchluß die-
ſes dritten
Stuͤcks von
einem außer-
ordentlichen
Denkmale
fremder und
ungeſtalter
Kunſt, von
Grichiſchen
Kuͤnſtlern ver-
fertiget.

Ich ſchließe das dritte Stuͤck dieſes Capitels mit einem ganz außer-
ordentlichen Denkmale im Campidoglio aus einer Art von Baſalt. Es
ſtellet einen großen ſitzenden Affen vor, deſſen vordere Fuͤße auf den Knien
der hinteren Fuͤße ruhen, und wovon der Kopf verlohren gegangen iſt.
Auf der Baſe dieſer Figur ſtehet auf der rechten Seite in Griechiſcher
Schrift eingehauen: „Phidias und Ammonius, Soͤhne des Phi-
dias, haben es gemacht
1).„ Dieſe Inſchrift, welche von wenigen
bemerket worden, war in dem geſchriebenen Verzeichniſſe, aus welchem
Reineſius dieſelbe genommen, leichthin angegeben, ohne das Werk an-
zuzeigen, woran ſie ſtehet, und koͤnnte ohne offenbare Kennzeichen ihres
Alterthums fuͤr untergeſchoben angeſehen werden. Dieſes dem Scheine
nach veraͤchtliche Werk, kann durch die Schrift auf demſelben Aufmerk-
ſamkeit erwecken, und ich will meine Muthmaßung mittheilen.

Es hatte ſich eine Colonie von Griechen in Africa niedergelaſſen,
die Pithecuſaͤ in ihrer Sprache hießen, von der Menge Affen in dieſen
Gegenden. Diodorus ſagt 2), daß dieſes Thier heilig von ihnen gehal-
ten, und, wie die Hunde in Aegypten, verehret worden. Die Affen
liefen frey in ihre Wohnungen, und nahmen, was ihnen gefiel; ja dieſe
Griechen nenneten ihre Kinder nach denſelben, weil ſie den Thieren, wie
ſonſt den Goͤttern, gewiſſe Ehrenbenennungen werden beygeleget haben.
Ich bilde mir ein, daß der Affe im Campidoglio ein Vorwurf der Ver-
ehrung unter den Pithecuſiſchen Griechen geweſen ſey; wenigſtens ſehe
ich keinen andern Weg, ein ſolches Ungeheuer in der Kunſt, mit Namen
Griechiſcher Bildhauer zu reimen: Phidias und Ammonius werden dieſe
Kunſt unter dieſen Barbariſchen Griechen geuͤbet haben. Da Agathocles,
Koͤnig in Sicilien, die Carthaginenſer in Africa heimſuchete, drang deſſen

Feld-
1) Reineſ. Inſer. Claſſ. 2. n. 62. & ex co Cuper. Apotheoſ. Hom. p. 134.
2) Hiſt. L. 20. p. 793.
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[246/0296] I Theil. Viertes Capitel. Ich ſchließe das dritte Stuͤck dieſes Capitels mit einem ganz außer- ordentlichen Denkmale im Campidoglio aus einer Art von Baſalt. Es ſtellet einen großen ſitzenden Affen vor, deſſen vordere Fuͤße auf den Knien der hinteren Fuͤße ruhen, und wovon der Kopf verlohren gegangen iſt. Auf der Baſe dieſer Figur ſtehet auf der rechten Seite in Griechiſcher Schrift eingehauen: „Phidias und Ammonius, Soͤhne des Phi- dias, haben es gemacht 1).„ Dieſe Inſchrift, welche von wenigen bemerket worden, war in dem geſchriebenen Verzeichniſſe, aus welchem Reineſius dieſelbe genommen, leichthin angegeben, ohne das Werk an- zuzeigen, woran ſie ſtehet, und koͤnnte ohne offenbare Kennzeichen ihres Alterthums fuͤr untergeſchoben angeſehen werden. Dieſes dem Scheine nach veraͤchtliche Werk, kann durch die Schrift auf demſelben Aufmerk- ſamkeit erwecken, und ich will meine Muthmaßung mittheilen. Es hatte ſich eine Colonie von Griechen in Africa niedergelaſſen, die Pithecuſaͤ in ihrer Sprache hießen, von der Menge Affen in dieſen Gegenden. Diodorus ſagt 2), daß dieſes Thier heilig von ihnen gehal- ten, und, wie die Hunde in Aegypten, verehret worden. Die Affen liefen frey in ihre Wohnungen, und nahmen, was ihnen gefiel; ja dieſe Griechen nenneten ihre Kinder nach denſelben, weil ſie den Thieren, wie ſonſt den Goͤttern, gewiſſe Ehrenbenennungen werden beygeleget haben. Ich bilde mir ein, daß der Affe im Campidoglio ein Vorwurf der Ver- ehrung unter den Pithecuſiſchen Griechen geweſen ſey; wenigſtens ſehe ich keinen andern Weg, ein ſolches Ungeheuer in der Kunſt, mit Namen Griechiſcher Bildhauer zu reimen: Phidias und Ammonius werden dieſe Kunſt unter dieſen Barbariſchen Griechen geuͤbet haben. Da Agathocles, Koͤnig in Sicilien, die Carthaginenſer in Africa heimſuchete, drang deſſen Feld- 1) Reineſ. Inſer. Claſſ. 2. n. 62. & ex co Cuper. Apotheoſ. Hom. p. 134. 2) Hiſt. L. 20. p. 793.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/296>, abgerufen am 23.04.2024.