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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
trifft, daß es wirklich dieser Marmor wäre, so ist es Zufall ohne Kennt-
niß. Woher Belon wissen wollen, daß die Pyramide, oder das Grab-
mal des Cestius, aus Marmor von Thasus sey 1), ist mir unbekannt.

Die vorzüglichsten Arten des Griechischen weißen Marmors sind der Pa-
rische, von den Griechen auch lugdinos (von dem Gebürge Lygdos in der
Insel Paros 2) genannt, und der Penthelische, dessen Plinius 3) keine
Meldung thut, welcher bey Athen gebrochen wurde; und aus diesem wa-
ren zehen Figuren gegen eine aus jenem gearbeitet, wie die Anzeigen des
Pausanias darthun können. Den Unterscheid dieser beyden Arten aber
wissen wir nicht eigentlich.

Es giebt weißen Marmor von kleinen und großen Körnern, das ist,
aus feinen und gröbern Theilen zusammengesetzet: je feiner das Korn ist,
desto vollkommener ist der Marmor; ja es finden sich Statuen, deren Mar-
mor aus einer milchigten Masse oder Teige gegossen scheinet, ohne Schein
von Körnern, und dieser ist ohne Zweifel der schönste. Da nun der Pa-
rische der seltenste war, so wird derselbe diese Eigenschaft gehabt haben.
Dieser Marmor hat außer dem zwo Eigenschaften, welche dem schönsten
Carrarischen nicht eigen sind: die eine ist dessen Mildigkeit, das ist, er
läßt sich arbeiten wie Wachs, und ist der feinsten Arbeit in Haaren, Federn
und dergleichen fähig, da hingegen der Carrarische spröde ist, und aus-
springt, wenn man zu viel in demselben künsteln will; die andere Eigen-
schaft ist dessen Farbe, welche sich dem Fleische nähert, da der Carrarische
ein blendend weiß hat. Aus dem schönsten Marmor ist das erhobene
Brustbild des Antinous, etwas über Lebensgröße, in der Villa Albani.

Es ist also irrig, wenn Isidorus vorgiebt 4), der Parische Marmor
werde nur in Stücken gebrochen, von der Größe, welche zu Gefäßen dienen

können.
1) de Oper. antiq. praest. L. 1. c. 7. p. 2551.
2) Palmer. Exerc. in auct. graec. ad Diodor. p. 98.
3) conf. Caryoph. de Marm. p. 32.
4) Orig. L. 16. c. 5. p. 1214.

I Theil. Viertes Capitel.
trifft, daß es wirklich dieſer Marmor waͤre, ſo iſt es Zufall ohne Kennt-
niß. Woher Belon wiſſen wollen, daß die Pyramide, oder das Grab-
mal des Ceſtius, aus Marmor von Thaſus ſey 1), iſt mir unbekannt.

Die vorzuͤglichſten Arten des Griechiſchen weißen Marmors ſind der Pa-
riſche, von den Griechen auch λύγδινος (von dem Gebuͤrge Lygdos in der
Inſel Paros 2) genannt, und der Pentheliſche, deſſen Plinius 3) keine
Meldung thut, welcher bey Athen gebrochen wurde; und aus dieſem wa-
ren zehen Figuren gegen eine aus jenem gearbeitet, wie die Anzeigen des
Pauſanias darthun koͤnnen. Den Unterſcheid dieſer beyden Arten aber
wiſſen wir nicht eigentlich.

Es giebt weißen Marmor von kleinen und großen Koͤrnern, das iſt,
aus feinen und groͤbern Theilen zuſammengeſetzet: je feiner das Korn iſt,
deſto vollkommener iſt der Marmor; ja es finden ſich Statuen, deren Mar-
mor aus einer milchigten Maſſe oder Teige gegoſſen ſcheinet, ohne Schein
von Koͤrnern, und dieſer iſt ohne Zweifel der ſchoͤnſte. Da nun der Pa-
riſche der ſeltenſte war, ſo wird derſelbe dieſe Eigenſchaft gehabt haben.
Dieſer Marmor hat außer dem zwo Eigenſchaften, welche dem ſchoͤnſten
Carrariſchen nicht eigen ſind: die eine iſt deſſen Mildigkeit, das iſt, er
laͤßt ſich arbeiten wie Wachs, und iſt der feinſten Arbeit in Haaren, Federn
und dergleichen faͤhig, da hingegen der Carrariſche ſproͤde iſt, und aus-
ſpringt, wenn man zu viel in demſelben kuͤnſteln will; die andere Eigen-
ſchaft iſt deſſen Farbe, welche ſich dem Fleiſche naͤhert, da der Carrariſche
ein blendend weiß hat. Aus dem ſchoͤnſten Marmor iſt das erhobene
Bruſtbild des Antinous, etwas uͤber Lebensgroͤße, in der Villa Albani.

Es iſt alſo irrig, wenn Iſidorus vorgiebt 4), der Pariſche Marmor
werde nur in Stuͤcken gebrochen, von der Groͤße, welche zu Gefaͤßen dienen

koͤnnen.
1) de Oper. antiq. præſt. L. 1. c. 7. p. 2551.
2) Palmer. Exerc. in auct. græc. ad Diodor. p. 98.
3) conf. Caryoph. de Marm. p. 32.
4) Orig. L. 16. c. 5. p. 1214.
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[250/0300] I Theil. Viertes Capitel. trifft, daß es wirklich dieſer Marmor waͤre, ſo iſt es Zufall ohne Kennt- niß. Woher Belon wiſſen wollen, daß die Pyramide, oder das Grab- mal des Ceſtius, aus Marmor von Thaſus ſey 1), iſt mir unbekannt. Die vorzuͤglichſten Arten des Griechiſchen weißen Marmors ſind der Pa- riſche, von den Griechen auch λύγδινος (von dem Gebuͤrge Lygdos in der Inſel Paros 2) genannt, und der Pentheliſche, deſſen Plinius 3) keine Meldung thut, welcher bey Athen gebrochen wurde; und aus dieſem wa- ren zehen Figuren gegen eine aus jenem gearbeitet, wie die Anzeigen des Pauſanias darthun koͤnnen. Den Unterſcheid dieſer beyden Arten aber wiſſen wir nicht eigentlich. Es giebt weißen Marmor von kleinen und großen Koͤrnern, das iſt, aus feinen und groͤbern Theilen zuſammengeſetzet: je feiner das Korn iſt, deſto vollkommener iſt der Marmor; ja es finden ſich Statuen, deren Mar- mor aus einer milchigten Maſſe oder Teige gegoſſen ſcheinet, ohne Schein von Koͤrnern, und dieſer iſt ohne Zweifel der ſchoͤnſte. Da nun der Pa- riſche der ſeltenſte war, ſo wird derſelbe dieſe Eigenſchaft gehabt haben. Dieſer Marmor hat außer dem zwo Eigenſchaften, welche dem ſchoͤnſten Carrariſchen nicht eigen ſind: die eine iſt deſſen Mildigkeit, das iſt, er laͤßt ſich arbeiten wie Wachs, und iſt der feinſten Arbeit in Haaren, Federn und dergleichen faͤhig, da hingegen der Carrariſche ſproͤde iſt, und aus- ſpringt, wenn man zu viel in demſelben kuͤnſteln will; die andere Eigen- ſchaft iſt deſſen Farbe, welche ſich dem Fleiſche naͤhert, da der Carrariſche ein blendend weiß hat. Aus dem ſchoͤnſten Marmor iſt das erhobene Bruſtbild des Antinous, etwas uͤber Lebensgroͤße, in der Villa Albani. Es iſt alſo irrig, wenn Iſidorus vorgiebt 4), der Pariſche Marmor werde nur in Stuͤcken gebrochen, von der Groͤße, welche zu Gefaͤßen dienen koͤnnen. 1) de Oper. antiq. præſt. L. 1. c. 7. p. 2551. 2) Palmer. Exerc. in auct. græc. ad Diodor. p. 98. 3) conf. Caryoph. de Marm. p. 32. 4) Orig. L. 16. c. 5. p. 1214.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/300>, abgerufen am 28.03.2024.