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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
zig Locken, wie von einem starken Drathe, beynahe einer Schreibefeder dick,
eine lange und eine kurze neben und über einander hängen, jede von vier
bis fünf Ringeln: die hintern Haare gehen geflochten um den Kopf herum,
und machen gleichsam das Diadema. Ein anderer Männlicher Kopf da-
selbst mit einem langen Barte, welcher etwas von der Seite gewandt ist
und unterwerts sieht, hat die krausen Locken in den Schläfen ebenfalls an-
gelöthet. Dieser Idealische Kopf, welcher mit dem Namen des Plato
bezeichnet wird, ist für ein Wunderwerk der Kunst zu achten, und wer
denselben selbst nicht aufmerksam betrachtet, dem kann kein Begriff davon
gegeben werden. Das seltenste Stück aber in in dieser Art ist ein Männ-
licher jugendlicher Kopf, und eine Abbildung einer bestimmten Person,
welcher acht und sechzig angelöthete Locken um den Kopf herum hat, und
im Nacken unter jenen noch andere Locken, welche nicht frey hängen, und
mit dem Kopfe aus einem Gusse sind. Jene Locken gleichen einem schma-
len Streifen Papier, welches gerollet, und hernach aus einander gezogen
wird: diejenigen, welche auf der Stirne hängen, haben fünf und mehr Win-
dungen; die im Nacken haben bis an zwölf, und auf allen laufen zween
eingeschnittene Züge herum. Man könnte glauben, es sey ein Ptolemäus
Apion,
welchen man auf Münzen mit langen hängenden Locken sieht.

Die besten Statuen in Erzt sind unter andern drey in eben diesemc c Von den
besten Statuen
in Erzt.

Museo, und zwar in Lebensgröße: ein junger sitzender und schlafender Sa-
tyr, welcher den rechten Arm über den Kopf geleget, und den linken hängen
hat: ein alter trunkener Satyr auf einem Schlauche liegend, über welchen
eine Löwenhaut geworfen ist. Er stützet sich mit dem linken Arme, und
schlägt mit der erhobenen rechten Hand ein Knipgen, wie die Statue des
Sardanapalus zu Anchialus 1), zum Zeichen der Freude, wie noch itzo im
Tanzen gewöhnlich ist. Die vorzüglichste unter den dreyen ist ein sitzender
Mercurius, welcher das linke Bein zurück gesetzet hat, und sich mit der
rechten Hand stützet, mit vorwerts gekrümmetem Leibe. Unter den Fuß-
sohlen ist der Heft der Riemen von den angebundenen Flügeln, wie eine
Rose, gestaltet, anzudeuten, daß diese Gottheit nicht zu gehen, sondern zu
fliegen habe. Von dem Caduceo ist in der linken Hand nur ein Ende ge-

blieben;
1) Strab. L. 14. p. 672. l. 2.
K k 2

Von der Kunſt unter den Griechen.
zig Locken, wie von einem ſtarken Drathe, beynahe einer Schreibefeder dick,
eine lange und eine kurze neben und uͤber einander haͤngen, jede von vier
bis fuͤnf Ringeln: die hintern Haare gehen geflochten um den Kopf herum,
und machen gleichſam das Diadema. Ein anderer Maͤnnlicher Kopf da-
ſelbſt mit einem langen Barte, welcher etwas von der Seite gewandt iſt
und unterwerts ſieht, hat die krauſen Locken in den Schlaͤfen ebenfalls an-
geloͤthet. Dieſer Idealiſche Kopf, welcher mit dem Namen des Plato
bezeichnet wird, iſt fuͤr ein Wunderwerk der Kunſt zu achten, und wer
denſelben ſelbſt nicht aufmerkſam betrachtet, dem kann kein Begriff davon
gegeben werden. Das ſeltenſte Stuͤck aber in in dieſer Art iſt ein Maͤnn-
licher jugendlicher Kopf, und eine Abbildung einer beſtimmten Perſon,
welcher acht und ſechzig angeloͤthete Locken um den Kopf herum hat, und
im Nacken unter jenen noch andere Locken, welche nicht frey haͤngen, und
mit dem Kopfe aus einem Guſſe ſind. Jene Locken gleichen einem ſchma-
len Streifen Papier, welches gerollet, und hernach aus einander gezogen
wird: diejenigen, welche auf der Stirne haͤngen, haben fuͤnf und mehr Win-
dungen; die im Nacken haben bis an zwoͤlf, und auf allen laufen zween
eingeſchnittene Zuͤge herum. Man koͤnnte glauben, es ſey ein Ptolemaͤus
Apion,
welchen man auf Muͤnzen mit langen haͤngenden Locken ſieht.

Die beſten Statuen in Erzt ſind unter andern drey in eben dieſemc c Von den
beſten Statuen
in Erzt.

Muſeo, und zwar in Lebensgroͤße: ein junger ſitzender und ſchlafender Sa-
tyr, welcher den rechten Arm uͤber den Kopf geleget, und den linken haͤngen
hat: ein alter trunkener Satyr auf einem Schlauche liegend, uͤber welchen
eine Loͤwenhaut geworfen iſt. Er ſtuͤtzet ſich mit dem linken Arme, und
ſchlaͤgt mit der erhobenen rechten Hand ein Knipgen, wie die Statue des
Sardanapalus zu Anchialus 1), zum Zeichen der Freude, wie noch itzo im
Tanzen gewoͤhnlich iſt. Die vorzuͤglichſte unter den dreyen iſt ein ſitzender
Mercurius, welcher das linke Bein zuruͤck geſetzet hat, und ſich mit der
rechten Hand ſtuͤtzet, mit vorwerts gekruͤmmetem Leibe. Unter den Fuß-
ſohlen iſt der Heft der Riemen von den angebundenen Fluͤgeln, wie eine
Roſe, geſtaltet, anzudeuten, daß dieſe Gottheit nicht zu gehen, ſondern zu
fliegen habe. Von dem Caduceo iſt in der linken Hand nur ein Ende ge-

blieben;
1) Strab. L. 14. p. 672. l. 2.
K k 2
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[259/0309] Von der Kunſt unter den Griechen. zig Locken, wie von einem ſtarken Drathe, beynahe einer Schreibefeder dick, eine lange und eine kurze neben und uͤber einander haͤngen, jede von vier bis fuͤnf Ringeln: die hintern Haare gehen geflochten um den Kopf herum, und machen gleichſam das Diadema. Ein anderer Maͤnnlicher Kopf da- ſelbſt mit einem langen Barte, welcher etwas von der Seite gewandt iſt und unterwerts ſieht, hat die krauſen Locken in den Schlaͤfen ebenfalls an- geloͤthet. Dieſer Idealiſche Kopf, welcher mit dem Namen des Plato bezeichnet wird, iſt fuͤr ein Wunderwerk der Kunſt zu achten, und wer denſelben ſelbſt nicht aufmerkſam betrachtet, dem kann kein Begriff davon gegeben werden. Das ſeltenſte Stuͤck aber in in dieſer Art iſt ein Maͤnn- licher jugendlicher Kopf, und eine Abbildung einer beſtimmten Perſon, welcher acht und ſechzig angeloͤthete Locken um den Kopf herum hat, und im Nacken unter jenen noch andere Locken, welche nicht frey haͤngen, und mit dem Kopfe aus einem Guſſe ſind. Jene Locken gleichen einem ſchma- len Streifen Papier, welches gerollet, und hernach aus einander gezogen wird: diejenigen, welche auf der Stirne haͤngen, haben fuͤnf und mehr Win- dungen; die im Nacken haben bis an zwoͤlf, und auf allen laufen zween eingeſchnittene Zuͤge herum. Man koͤnnte glauben, es ſey ein Ptolemaͤus Apion, welchen man auf Muͤnzen mit langen haͤngenden Locken ſieht. Die beſten Statuen in Erzt ſind unter andern drey in eben dieſem Muſeo, und zwar in Lebensgroͤße: ein junger ſitzender und ſchlafender Sa- tyr, welcher den rechten Arm uͤber den Kopf geleget, und den linken haͤngen hat: ein alter trunkener Satyr auf einem Schlauche liegend, uͤber welchen eine Loͤwenhaut geworfen iſt. Er ſtuͤtzet ſich mit dem linken Arme, und ſchlaͤgt mit der erhobenen rechten Hand ein Knipgen, wie die Statue des Sardanapalus zu Anchialus 1), zum Zeichen der Freude, wie noch itzo im Tanzen gewoͤhnlich iſt. Die vorzuͤglichſte unter den dreyen iſt ein ſitzender Mercurius, welcher das linke Bein zuruͤck geſetzet hat, und ſich mit der rechten Hand ſtuͤtzet, mit vorwerts gekruͤmmetem Leibe. Unter den Fuß- ſohlen iſt der Heft der Riemen von den angebundenen Fluͤgeln, wie eine Roſe, geſtaltet, anzudeuten, daß dieſe Gottheit nicht zu gehen, ſondern zu fliegen habe. Von dem Caduceo iſt in der linken Hand nur ein Ende ge- blieben; c c Von den beſten Statuen in Erzt. 1) Strab. L. 14. p. 672. l. 2. K k 2

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/309>, abgerufen am 25.04.2024.