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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
de sind nicht schön gezeichnet; die sogenannten Extremitäten aber geben
den Künstler zu erkennen. Diese Monochromata, oder Gemälde von
einer Farbe, sind mit Cinnober gemalet, welcher im Feuer schwarz gewor-
den ist, wie es pfleget zu geschehen: die Alten nahmen diese Farbe zu sol-
chen Gemälden 1).

Das allerschönste unter diesen Gemälden sind die Tänzerinnen, Bac-
chanten, sonderlich aber die Centauren, nicht völlig eine Spanne hoch,
auf schwarzem Grunde gemalet, in welchen man die Hand eines gelehrten
und zuversichtlichen Künstlers erkennet. Bey dem allen wünschte man
mehr ausgeführte Stücke zu finden: denn jene sind mit großer Fertigkeit,
wie mit einem Pinselstriche, hingesetzet, und dieser Wunsch wurde zu Ende
des Jahres 1761. erfüllet.

In einem Zimmer der alten verschütteten Stadt Stabia, etwa achtC.
Beschreibung
der zu letzt ge-
fundenen Ge-
mälde daselbst.

Italienische Meilen von Portici, welches bey nahe ganz ausgeräumet war,
fühleten die Arbeiter unten an der Mauer noch festes Erdreich, und da man
mit der Hacke hineinschlug, entdeckten sich vier Stücke Mauerwerk, aber
zwey waren durch die Hiebe zerbrochen. Dieses waren vier anderwerts
mit sammt der Mauer ausgeschnittene Gemälde, welche ich genau beschrei-
ben werde: sie waren an der Mauer angelehnt, und zwey und zwey mit
der Rückseite an einander gelegt, so daß die gemalte Seite auswerts blieb.
Vermuthlich waren dieselben aus Griechenland, oder aus Groß-Griechen-
land, geholet, und man wird im Begriffe gestanden seyn, dieselben an ihren
Ort zu setzen, und sie in die Mauer einzufügen. Diese vier Gemälde ha-
ben ihre gemalte Einfassung mit Leisten von verschiedener Farbe. Der
äußere ist weiß, der mittlere violet, und der dritte grün, und dieser Leisten
ist mit braunen Linien umzogen; alle drey Leisten zusammen sind in der
Breite der Spitze des kleinen Fingers; an diesen gehet ein fingerbreiter

weißer
1) Plin. L. 33. c. 39.
L l 3

Von der Kunſt unter den Griechen.
de ſind nicht ſchoͤn gezeichnet; die ſogenannten Extremitaͤten aber geben
den Kuͤnſtler zu erkennen. Dieſe Monochromata, oder Gemaͤlde von
einer Farbe, ſind mit Cinnober gemalet, welcher im Feuer ſchwarz gewor-
den iſt, wie es pfleget zu geſchehen: die Alten nahmen dieſe Farbe zu ſol-
chen Gemaͤlden 1).

Das allerſchoͤnſte unter dieſen Gemaͤlden ſind die Taͤnzerinnen, Bac-
chanten, ſonderlich aber die Centauren, nicht voͤllig eine Spanne hoch,
auf ſchwarzem Grunde gemalet, in welchen man die Hand eines gelehrten
und zuverſichtlichen Kuͤnſtlers erkennet. Bey dem allen wuͤnſchte man
mehr ausgefuͤhrte Stuͤcke zu finden: denn jene ſind mit großer Fertigkeit,
wie mit einem Pinſelſtriche, hingeſetzet, und dieſer Wunſch wurde zu Ende
des Jahres 1761. erfuͤllet.

In einem Zimmer der alten verſchuͤtteten Stadt Stabia, etwa achtC.
Beſchreibung
der zu letzt ge-
fundenen Ge-
maͤlde daſelbſt.

Italieniſche Meilen von Portici, welches bey nahe ganz ausgeraͤumet war,
fuͤhleten die Arbeiter unten an der Mauer noch feſtes Erdreich, und da man
mit der Hacke hineinſchlug, entdeckten ſich vier Stuͤcke Mauerwerk, aber
zwey waren durch die Hiebe zerbrochen. Dieſes waren vier anderwerts
mit ſammt der Mauer ausgeſchnittene Gemaͤlde, welche ich genau beſchrei-
ben werde: ſie waren an der Mauer angelehnt, und zwey und zwey mit
der Ruͤckſeite an einander gelegt, ſo daß die gemalte Seite auswerts blieb.
Vermuthlich waren dieſelben aus Griechenland, oder aus Groß-Griechen-
land, geholet, und man wird im Begriffe geſtanden ſeyn, dieſelben an ihren
Ort zu ſetzen, und ſie in die Mauer einzufuͤgen. Dieſe vier Gemaͤlde ha-
ben ihre gemalte Einfaſſung mit Leiſten von verſchiedener Farbe. Der
aͤußere iſt weiß, der mittlere violet, und der dritte gruͤn, und dieſer Leiſten
iſt mit braunen Linien umzogen; alle drey Leiſten zuſammen ſind in der
Breite der Spitze des kleinen Fingers; an dieſen gehet ein fingerbreiter

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1) Plin. L. 33. c. 39.
L l 3
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[269/0319] Von der Kunſt unter den Griechen. de ſind nicht ſchoͤn gezeichnet; die ſogenannten Extremitaͤten aber geben den Kuͤnſtler zu erkennen. Dieſe Monochromata, oder Gemaͤlde von einer Farbe, ſind mit Cinnober gemalet, welcher im Feuer ſchwarz gewor- den iſt, wie es pfleget zu geſchehen: die Alten nahmen dieſe Farbe zu ſol- chen Gemaͤlden 1). Das allerſchoͤnſte unter dieſen Gemaͤlden ſind die Taͤnzerinnen, Bac- chanten, ſonderlich aber die Centauren, nicht voͤllig eine Spanne hoch, auf ſchwarzem Grunde gemalet, in welchen man die Hand eines gelehrten und zuverſichtlichen Kuͤnſtlers erkennet. Bey dem allen wuͤnſchte man mehr ausgefuͤhrte Stuͤcke zu finden: denn jene ſind mit großer Fertigkeit, wie mit einem Pinſelſtriche, hingeſetzet, und dieſer Wunſch wurde zu Ende des Jahres 1761. erfuͤllet. In einem Zimmer der alten verſchuͤtteten Stadt Stabia, etwa acht Italieniſche Meilen von Portici, welches bey nahe ganz ausgeraͤumet war, fuͤhleten die Arbeiter unten an der Mauer noch feſtes Erdreich, und da man mit der Hacke hineinſchlug, entdeckten ſich vier Stuͤcke Mauerwerk, aber zwey waren durch die Hiebe zerbrochen. Dieſes waren vier anderwerts mit ſammt der Mauer ausgeſchnittene Gemaͤlde, welche ich genau beſchrei- ben werde: ſie waren an der Mauer angelehnt, und zwey und zwey mit der Ruͤckſeite an einander gelegt, ſo daß die gemalte Seite auswerts blieb. Vermuthlich waren dieſelben aus Griechenland, oder aus Groß-Griechen- land, geholet, und man wird im Begriffe geſtanden ſeyn, dieſelben an ihren Ort zu ſetzen, und ſie in die Mauer einzufuͤgen. Dieſe vier Gemaͤlde ha- ben ihre gemalte Einfaſſung mit Leiſten von verſchiedener Farbe. Der aͤußere iſt weiß, der mittlere violet, und der dritte gruͤn, und dieſer Leiſten iſt mit braunen Linien umzogen; alle drey Leiſten zuſammen ſind in der Breite der Spitze des kleinen Fingers; an dieſen gehet ein fingerbreiter weißer C. Beſchreibung der zu letzt ge- fundenen Ge- maͤlde daſelbſt. 1) Plin. L. 33. c. 39. L l 3

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/319>, abgerufen am 25.04.2024.