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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von dem Ursprunge und Anfange der Kunst.
Schönheit auch unter den Griechen selten, und Cotta beym Cicero 1) sagt,
daß unter der Menge von jungen Leuten zu Athen nur einzelne zu seiner
Zeit wahrhaftig schön gewesen. Wie viel ein glückliches Clima zu Bildung
der Schönheit beytrage, zeiget auch das weibliche Geschlecht zu Malta von
besonderer Schönheit: denn auf dieser Insel ist kein Winter.

Das schönste Geblüt der Griechen aber, sonderlich in Absicht der Far-F.
Vorzügliche
Schönheiten
der Griechen.

be, muß unter dem Jonischen Himmel in Klein-Asien, unter dem Himmel,
welcher den Homerus erzeuget und begeistert hat, gewesen seyn. Dieses
bezeuget 2) Hippocrates und 3) Lucianus; und ein aufmerksamer 4) Rei-
sender des sechszehenden Jahrhunderts kann die Schönheit des weiblichen
Geschlechts daselbst, die sanfte und milchweiße Haut, und die frische und
gesunde Röthe desselben, nicht genugsam erheben. Denn der Himmel ist
in diesem Lande und in den Inseln des Archipelagi, wegen dessen Lage,
viel heiterer, und die Witterung, welche zwischen Wärme und Kälte abge-
wogen ist, beständiger und gleicher, als selbst in Griechenland, sonderlich
in den Gegenden am Meere, welche dem schwülen Winde aus Africa, so
wie die ganze mittägige Küste von Italien, und andere Länder, welche dem
heißen Striche von Africa gegen über liegen, sehr ausgesetzet sind. Dieser
Wind, welcher bey den Griechen lips, bey den Römern Africus, und
itzo Scirocco heißt, verdunkelt und verfinstert die Luft durch brennende
schwere Dünste, machet dieselbe ungesund, und entkräftet die ganze Natur
in Menschen, Thieren und Pflanzen. Die Verdauung wird gehemmet,
wenn derselbe regieret, und der Geist sowol, als der Körper, wird verdrossen
und unkräftig zu wirken; daher es sehr begreiflich ist, wie viel Einfluß die-
ser Wind in die Schönheit der Haut und der Farbe habe. An den näch-
sten Einwohnern der See-Küste verursachet derselbe eine trübe und gelbliche
Farbe, welche den Neapolitanern, sonderlich in der Hauptstadt, wegen

der
1) De nat. deor. L. 1. c. 28.
2) Peri topon, p. 288.
3) Immag. p. 472.
4) Belon Observat. L. 2. ch. 34. p. 350. b.

Von dem Urſprunge und Anfange der Kunſt.
Schoͤnheit auch unter den Griechen ſelten, und Cotta beym Cicero 1) ſagt,
daß unter der Menge von jungen Leuten zu Athen nur einzelne zu ſeiner
Zeit wahrhaftig ſchoͤn geweſen. Wie viel ein gluͤckliches Clima zu Bildung
der Schoͤnheit beytrage, zeiget auch das weibliche Geſchlecht zu Malta von
beſonderer Schoͤnheit: denn auf dieſer Inſel iſt kein Winter.

Das ſchoͤnſte Gebluͤt der Griechen aber, ſonderlich in Abſicht der Far-F.
Vorzuͤgliche
Schoͤnheiten
der Griechen.

be, muß unter dem Joniſchen Himmel in Klein-Aſien, unter dem Himmel,
welcher den Homerus erzeuget und begeiſtert hat, geweſen ſeyn. Dieſes
bezeuget 2) Hippocrates und 3) Lucianus; und ein aufmerkſamer 4) Rei-
ſender des ſechszehenden Jahrhunderts kann die Schoͤnheit des weiblichen
Geſchlechts daſelbſt, die ſanfte und milchweiße Haut, und die friſche und
geſunde Roͤthe deſſelben, nicht genugſam erheben. Denn der Himmel iſt
in dieſem Lande und in den Inſeln des Archipelagi, wegen deſſen Lage,
viel heiterer, und die Witterung, welche zwiſchen Waͤrme und Kaͤlte abge-
wogen iſt, beſtaͤndiger und gleicher, als ſelbſt in Griechenland, ſonderlich
in den Gegenden am Meere, welche dem ſchwuͤlen Winde aus Africa, ſo
wie die ganze mittaͤgige Kuͤſte von Italien, und andere Laͤnder, welche dem
heißen Striche von Africa gegen uͤber liegen, ſehr ausgeſetzet ſind. Dieſer
Wind, welcher bey den Griechen λίψ, bey den Roͤmern Africus, und
itzo Scirocco heißt, verdunkelt und verfinſtert die Luft durch brennende
ſchwere Duͤnſte, machet dieſelbe ungeſund, und entkraͤftet die ganze Natur
in Menſchen, Thieren und Pflanzen. Die Verdauung wird gehemmet,
wenn derſelbe regieret, und der Geiſt ſowol, als der Koͤrper, wird verdroſſen
und unkraͤftig zu wirken; daher es ſehr begreiflich iſt, wie viel Einfluß die-
ſer Wind in die Schoͤnheit der Haut und der Farbe habe. An den naͤch-
ſten Einwohnern der See-Kuͤſte verurſachet derſelbe eine truͤbe und gelbliche
Farbe, welche den Neapolitanern, ſonderlich in der Hauptſtadt, wegen

der
1) De nat. deor. L. 1. c. 28.
2) Περὶ τόπων, p. 288.
3) Immag. p. 472.
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[23/0073] Von dem Urſprunge und Anfange der Kunſt. Schoͤnheit auch unter den Griechen ſelten, und Cotta beym Cicero 1) ſagt, daß unter der Menge von jungen Leuten zu Athen nur einzelne zu ſeiner Zeit wahrhaftig ſchoͤn geweſen. Wie viel ein gluͤckliches Clima zu Bildung der Schoͤnheit beytrage, zeiget auch das weibliche Geſchlecht zu Malta von beſonderer Schoͤnheit: denn auf dieſer Inſel iſt kein Winter. Das ſchoͤnſte Gebluͤt der Griechen aber, ſonderlich in Abſicht der Far- be, muß unter dem Joniſchen Himmel in Klein-Aſien, unter dem Himmel, welcher den Homerus erzeuget und begeiſtert hat, geweſen ſeyn. Dieſes bezeuget 2) Hippocrates und 3) Lucianus; und ein aufmerkſamer 4) Rei- ſender des ſechszehenden Jahrhunderts kann die Schoͤnheit des weiblichen Geſchlechts daſelbſt, die ſanfte und milchweiße Haut, und die friſche und geſunde Roͤthe deſſelben, nicht genugſam erheben. Denn der Himmel iſt in dieſem Lande und in den Inſeln des Archipelagi, wegen deſſen Lage, viel heiterer, und die Witterung, welche zwiſchen Waͤrme und Kaͤlte abge- wogen iſt, beſtaͤndiger und gleicher, als ſelbſt in Griechenland, ſonderlich in den Gegenden am Meere, welche dem ſchwuͤlen Winde aus Africa, ſo wie die ganze mittaͤgige Kuͤſte von Italien, und andere Laͤnder, welche dem heißen Striche von Africa gegen uͤber liegen, ſehr ausgeſetzet ſind. Dieſer Wind, welcher bey den Griechen λίψ, bey den Roͤmern Africus, und itzo Scirocco heißt, verdunkelt und verfinſtert die Luft durch brennende ſchwere Duͤnſte, machet dieſelbe ungeſund, und entkraͤftet die ganze Natur in Menſchen, Thieren und Pflanzen. Die Verdauung wird gehemmet, wenn derſelbe regieret, und der Geiſt ſowol, als der Koͤrper, wird verdroſſen und unkraͤftig zu wirken; daher es ſehr begreiflich iſt, wie viel Einfluß die- ſer Wind in die Schoͤnheit der Haut und der Farbe habe. An den naͤch- ſten Einwohnern der See-Kuͤſte verurſachet derſelbe eine truͤbe und gelbliche Farbe, welche den Neapolitanern, ſonderlich in der Hauptſtadt, wegen der F. Vorzuͤgliche Schoͤnheiten der Griechen. 1) De nat. deor. L. 1. c. 28. 2) Περὶ τόπων, p. 288. 3) Immag. p. 472. 4) Belon Obſervat. L. 2. ch. 34. p. 350. b.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/73>, abgerufen am 19.04.2024.