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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Zweytes Capitel.
schaffen schien. Denn die Music, durch welche die ältesten Griechen 1) die
Gesetze selbst annehmlicher zu machen suchten, und in welcher schon vor den
Zeiten des Homerus 2) Wettspiele angeordnet waren, wurde in Aegypten
nicht geübet; ja es wird vorgegeben, es sey dieselbe verbothen gewesen,
wie man es auch 3) von der Dichtkunst versichert. Weder in ihren Tempeln,
noch bey ihren Opfern wurde, nach dem 4) Strabo, ein Instrument ge-
rühret. Dieses aber schließet die Music überhaupt, bey den Aegyptern,
nicht aus, oder müßte nur von ihren ältesten Zeiten verstanden werden:
denn wir wissen, daß die Weiber den Apis mit Music auf den Nil führe-
ten, und es sind Aegypter auf Instrumenten spielend vorgestellet, so wohl
auf dem Musaico des Tempels des Glücks zu Palestrina, als 5) auf zwey
Herculanischen Gemälden.

Diese Gemüthsart verursachete, daß sie sich 6) durch heftige Mittel
die Einbildung zu erhitzen, und den Geist zu ermuntern sucheten. Die Me-
lancholie dieser Nation brachte daher die ersten Eremiten hervor, und 7)
ein neuerer Scribent will irgendwo gefunden haben, daß zu Ende des
dierten Jahrhunderts in Unter-Aegypten allein über siebenzig tausend
Mönche gewesen.

Die Aegypter wollten unter strengen Gesetzen gehalten seyn, und 8)
konnten gar nicht ohne König leben, welches vielleicht Ursach ist, warum
Aegypten vom Homerus 9) das bittere Aegypten genennet wird. Ihr
Denken gieng das Natürliche vorbey, und beschäfftigte sich mit dem Ge-
heimnißvollen.

In
1) Plutarch. Lycurg. p. 75. & Pericl. p. 280.
2) Thucyd. L. 3. c. 104. conf. Taylor. ad Marm. Sandv. p. 13.
3) Dio Chrysost. p. 162.
4) L. 17. p. 814. C.
5) Pitt. Erc. T. 2. tav. 59. 60.
6) Bont. de Medic. Aegypt. p. 6
7) Fleury Hist. Ecel. T. 5. l. 20. p. 29.
8) Herodot. L. 2. p. 93. l. 15.
9) Od. P. 448. conf. Blackwall's Enquiry of the Life of Homer, p. 245.

I Theil. Zweytes Capitel.
ſchaffen ſchien. Denn die Muſic, durch welche die aͤlteſten Griechen 1) die
Geſetze ſelbſt annehmlicher zu machen ſuchten, und in welcher ſchon vor den
Zeiten des Homerus 2) Wettſpiele angeordnet waren, wurde in Aegypten
nicht geuͤbet; ja es wird vorgegeben, es ſey dieſelbe verbothen geweſen,
wie man es auch 3) von der Dichtkunſt verſichert. Weder in ihren Tempeln,
noch bey ihren Opfern wurde, nach dem 4) Strabo, ein Inſtrument ge-
ruͤhret. Dieſes aber ſchließet die Muſic uͤberhaupt, bey den Aegyptern,
nicht aus, oder muͤßte nur von ihren aͤlteſten Zeiten verſtanden werden:
denn wir wiſſen, daß die Weiber den Apis mit Muſic auf den Nil fuͤhre-
ten, und es ſind Aegypter auf Inſtrumenten ſpielend vorgeſtellet, ſo wohl
auf dem Muſaico des Tempels des Gluͤcks zu Paleſtrina, als 5) auf zwey
Herculaniſchen Gemaͤlden.

Dieſe Gemuͤthsart verurſachete, daß ſie ſich 6) durch heftige Mittel
die Einbildung zu erhitzen, und den Geiſt zu ermuntern ſucheten. Die Me-
lancholie dieſer Nation brachte daher die erſten Eremiten hervor, und 7)
ein neuerer Scribent will irgendwo gefunden haben, daß zu Ende des
dierten Jahrhunderts in Unter-Aegypten allein uͤber ſiebenzig tauſend
Moͤnche geweſen.

Die Aegypter wollten unter ſtrengen Geſetzen gehalten ſeyn, und 8)
konnten gar nicht ohne Koͤnig leben, welches vielleicht Urſach iſt, warum
Aegypten vom Homerus 9) das bittere Aegypten genennet wird. Ihr
Denken gieng das Natuͤrliche vorbey, und beſchaͤfftigte ſich mit dem Ge-
heimnißvollen.

In
1) Plutarch. Lycurg. p. 75. & Pericl. p. 280.
2) Thucyd. L. 3. c. 104. conf. Taylor. ad Marm. Sandv. p. 13.
3) Dio Chryſoſt. p. 162.
4) L. 17. p. 814. C.
5) Pitt. Erc. T. 2. tav. 59. 60.
6) Bont. de Medic. Aegypt. p. 6
7) Fleury Hiſt. Ecel. T. 5. l. 20. p. 29.
8) Herodot. L. 2. p. 93. l. 15.
9) Od. P. 448. conf. Blackwall’s Enquiry of the Life of Homer, p. 245.
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[34/0084] I Theil. Zweytes Capitel. ſchaffen ſchien. Denn die Muſic, durch welche die aͤlteſten Griechen 1) die Geſetze ſelbſt annehmlicher zu machen ſuchten, und in welcher ſchon vor den Zeiten des Homerus 2) Wettſpiele angeordnet waren, wurde in Aegypten nicht geuͤbet; ja es wird vorgegeben, es ſey dieſelbe verbothen geweſen, wie man es auch 3) von der Dichtkunſt verſichert. Weder in ihren Tempeln, noch bey ihren Opfern wurde, nach dem 4) Strabo, ein Inſtrument ge- ruͤhret. Dieſes aber ſchließet die Muſic uͤberhaupt, bey den Aegyptern, nicht aus, oder muͤßte nur von ihren aͤlteſten Zeiten verſtanden werden: denn wir wiſſen, daß die Weiber den Apis mit Muſic auf den Nil fuͤhre- ten, und es ſind Aegypter auf Inſtrumenten ſpielend vorgeſtellet, ſo wohl auf dem Muſaico des Tempels des Gluͤcks zu Paleſtrina, als 5) auf zwey Herculaniſchen Gemaͤlden. Dieſe Gemuͤthsart verurſachete, daß ſie ſich 6) durch heftige Mittel die Einbildung zu erhitzen, und den Geiſt zu ermuntern ſucheten. Die Me- lancholie dieſer Nation brachte daher die erſten Eremiten hervor, und 7) ein neuerer Scribent will irgendwo gefunden haben, daß zu Ende des dierten Jahrhunderts in Unter-Aegypten allein uͤber ſiebenzig tauſend Moͤnche geweſen. Die Aegypter wollten unter ſtrengen Geſetzen gehalten ſeyn, und 8) konnten gar nicht ohne Koͤnig leben, welches vielleicht Urſach iſt, warum Aegypten vom Homerus 9) das bittere Aegypten genennet wird. Ihr Denken gieng das Natuͤrliche vorbey, und beſchaͤfftigte ſich mit dem Ge- heimnißvollen. In 1) Plutarch. Lycurg. p. 75. & Pericl. p. 280. 2) Thucyd. L. 3. c. 104. conf. Taylor. ad Marm. Sandv. p. 13. 3) Dio Chryſoſt. p. 162. 4) L. 17. p. 814. C. 5) Pitt. Erc. T. 2. tav. 59. 60. 6) Bont. de Medic. Aegypt. p. 6 7) Fleury Hiſt. Ecel. T. 5. l. 20. p. 29. 8) Herodot. L. 2. p. 93. l. 15. 9) Od. P. 448. conf. Blackwall’s Enquiry of the Life of Homer, p. 245.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/84>, abgerufen am 29.03.2024.