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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Aegyptern etc.

In ihren Gebräuchen und Gottesdienste bestanden die Aegypter auf
eine strenge Befolgung der uralten Anordnung derselben, 1) noch unter den
Römischen Kaisern, und die Feindschaft einer Stadt gegen die andere über
ihre Götter 2) daurete noch damals. Was einige Neuere auf ein dem
Herodotus und Diodorus angedichtetes Zeugniß vorgeben, daß Camby-
ses den Götterdienst der Aepypter, und ihre Art die Todten zu balsamiren,
gänzlich aufgehoben, ist so falsch, daß so gar die Griechen nach dieser Zeit
ihre Todten auf Aegyptische Art zurichten lassen, wie 3) anderwerts ange-
zeiget habe, aus derjenigen Mumie mit dem Worte eU+UKhI 4) auf der
Brust, die ehemals in dem Hause Della Valle zu Rom war, und itzo
unter den Königlichen Alterthümern in Dreßden ist. Da sich die Aegypter
unter dem Darius, des Cambyses Nachfolger 5), empöreten, so würden sie
auch schon damals, wenn auch obiges Vorgeben Grund hätte, zu diesem
Gebrauche zurück gekehret seyn.

Daß die Aegypter noch unter den Kaisern über ihren alten Gottes-
dienst gehalten haben, kann auch 6) die Statue des Antinous im Campi-
doglio bezeugen, welche nach Art Aegyptischer Statuen gebildet ist, und
so, wie derselbe, in diesem Lande, sonderlich in der Stadt, die von demselben
den Namen 7) Antinoea führete, verehret worden. Eine ähnliche Figur
von Marmor, so wie jene, etwas über Lebensgröße, befindet sich in dem
Garten des Pallastes Barbarini, und eine dritte, etwa von drey Palmen

hoch,
1) Conf. Walton ad Polyglot. Proleg. 2. §. 18.
2) Plutarch. de Is. & Osir. p. 677. l. 1.
3) Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke, p. 90.
4) Das Griechische Tau hatte bey den Griechen in Aegypten die Form eines Kreuzes,
wie man in einer sehr schätzbaren alten Handschrift des Syrischen Neuen Testaments auf
Pergamen, in der Bibliothek der Augustiner zu Rom, sieht. Diese Handschrift in Folio
ist im Jahre 616. verfertiget, und hat Griechische Randglossen. Unter andern merke ich
hier das Wort [fremdsprachliches Material] an statt HTAIPE an.
5) Herodot. L. 6. p. 243. l. 2. & 5.
6) Mus. Capit. T. 3. tab. 75.
7) Pausan. L. 8. p. 617. l. 16. conf. Pococke's Descr. of the East, T. 1. p. 73.
E 2
Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc.

In ihren Gebraͤuchen und Gottesdienſte beſtanden die Aegypter auf
eine ſtrenge Befolgung der uralten Anordnung derſelben, 1) noch unter den
Roͤmiſchen Kaiſern, und die Feindſchaft einer Stadt gegen die andere uͤber
ihre Goͤtter 2) daurete noch damals. Was einige Neuere auf ein dem
Herodotus und Diodorus angedichtetes Zeugniß vorgeben, daß Camby-
ſes den Goͤtterdienſt der Aepypter, und ihre Art die Todten zu balſamiren,
gaͤnzlich aufgehoben, iſt ſo falſch, daß ſo gar die Griechen nach dieſer Zeit
ihre Todten auf Aegyptiſche Art zurichten laſſen, wie 3) anderwerts ange-
zeiget habe, aus derjenigen Mumie mit dem Worte εΥ+ΥΧΙ 4) auf der
Bruſt, die ehemals in dem Hauſe Della Valle zu Rom war, und itzo
unter den Koͤniglichen Alterthuͤmern in Dreßden iſt. Da ſich die Aegypter
unter dem Darius, des Cambyſes Nachfolger 5), empoͤreten, ſo wuͤrden ſie
auch ſchon damals, wenn auch obiges Vorgeben Grund haͤtte, zu dieſem
Gebrauche zuruͤck gekehret ſeyn.

Daß die Aegypter noch unter den Kaiſern uͤber ihren alten Gottes-
dienſt gehalten haben, kann auch 6) die Statue des Antinous im Campi-
doglio bezeugen, welche nach Art Aegyptiſcher Statuen gebildet iſt, und
ſo, wie derſelbe, in dieſem Lande, ſonderlich in der Stadt, die von demſelben
den Namen 7) Antinoea fuͤhrete, verehret worden. Eine aͤhnliche Figur
von Marmor, ſo wie jene, etwas uͤber Lebensgroͤße, befindet ſich in dem
Garten des Pallaſtes Barbarini, und eine dritte, etwa von drey Palmen

hoch,
1) Conf. Walton ad Polyglot. Proleg. 2. §. 18.
2) Plutarch. de Is. & Oſir. p. 677. l. 1.
3) Gedanken uͤber die Nachahmung der Griechiſchen Werke, p. 90.
4) Das Griechiſche Tau hatte bey den Griechen in Aegypten die Form eines Kreuzes,
wie man in einer ſehr ſchaͤtzbaren alten Handſchrift des Syriſchen Neuen Teſtaments auf
Pergamen, in der Bibliothek der Auguſtiner zu Rom, ſieht. Dieſe Handſchrift in Folio
iſt im Jahre 616. verfertiget, und hat Griechiſche Randgloſſen. Unter andern merke ich
hier das Wort [fremdsprachliches Material] an ſtatt HTAIPE an.
5) Herodot. L. 6. p. 243. l. 2. & 5.
6) Muſ. Capit. T. 3. tab. 75.
7) Pauſan. L. 8. p. 617. l. 16. conf. Pococke’s Deſcr. of the Eaſt, T. 1. p. 73.
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[35/0085] Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. In ihren Gebraͤuchen und Gottesdienſte beſtanden die Aegypter auf eine ſtrenge Befolgung der uralten Anordnung derſelben, 1) noch unter den Roͤmiſchen Kaiſern, und die Feindſchaft einer Stadt gegen die andere uͤber ihre Goͤtter 2) daurete noch damals. Was einige Neuere auf ein dem Herodotus und Diodorus angedichtetes Zeugniß vorgeben, daß Camby- ſes den Goͤtterdienſt der Aepypter, und ihre Art die Todten zu balſamiren, gaͤnzlich aufgehoben, iſt ſo falſch, daß ſo gar die Griechen nach dieſer Zeit ihre Todten auf Aegyptiſche Art zurichten laſſen, wie 3) anderwerts ange- zeiget habe, aus derjenigen Mumie mit dem Worte εΥ+ΥΧΙ 4) auf der Bruſt, die ehemals in dem Hauſe Della Valle zu Rom war, und itzo unter den Koͤniglichen Alterthuͤmern in Dreßden iſt. Da ſich die Aegypter unter dem Darius, des Cambyſes Nachfolger 5), empoͤreten, ſo wuͤrden ſie auch ſchon damals, wenn auch obiges Vorgeben Grund haͤtte, zu dieſem Gebrauche zuruͤck gekehret ſeyn. Daß die Aegypter noch unter den Kaiſern uͤber ihren alten Gottes- dienſt gehalten haben, kann auch 6) die Statue des Antinous im Campi- doglio bezeugen, welche nach Art Aegyptiſcher Statuen gebildet iſt, und ſo, wie derſelbe, in dieſem Lande, ſonderlich in der Stadt, die von demſelben den Namen 7) Antinoea fuͤhrete, verehret worden. Eine aͤhnliche Figur von Marmor, ſo wie jene, etwas uͤber Lebensgroͤße, befindet ſich in dem Garten des Pallaſtes Barbarini, und eine dritte, etwa von drey Palmen hoch, 1) Conf. Walton ad Polyglot. Proleg. 2. §. 18. 2) Plutarch. de Is. & Oſir. p. 677. l. 1. 3) Gedanken uͤber die Nachahmung der Griechiſchen Werke, p. 90. 4) Das Griechiſche Tau hatte bey den Griechen in Aegypten die Form eines Kreuzes, wie man in einer ſehr ſchaͤtzbaren alten Handſchrift des Syriſchen Neuen Teſtaments auf Pergamen, in der Bibliothek der Auguſtiner zu Rom, ſieht. Dieſe Handſchrift in Folio iſt im Jahre 616. verfertiget, und hat Griechiſche Randgloſſen. Unter andern merke ich hier das Wort _ an ſtatt HTAIPE an. 5) Herodot. L. 6. p. 243. l. 2. & 5. 6) Muſ. Capit. T. 3. tab. 75. 7) Pauſan. L. 8. p. 617. l. 16. conf. Pococke’s Deſcr. of the Eaſt, T. 1. p. 73. E 2

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/85>, abgerufen am 18.04.2024.