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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Zweytes Capitel.
hoch, ist in der Villa Borghese: diese haben den steifen Stand mit senkrecht
hängenden Armen, nach Art der ältesten Aegyptischen Figuren. Man
sieht also, Hadrian mußte dem Bilde des Antinous, sollte er den Aegyptern
ein Vorwurf der Verehrung werden, eine ihnen annehmliche und allein
beliebte Form geben; und so, wie dieser Antinous, welcher zu Tivoli ge-
standen, gebildet ist, werden es auch die Statuen desselben in Aegypten
gewesen seyn.

Hierzu kam der Abscheu dieses Volks gegen alle fremde, sonderlich
1) Griechische Gebräuche, vornehmlich ehe sie von den Griechen beherrschet
wurden, und dieser Abscheu mußte ihre Künstler sehr gleichgültig gegen die
Kunst unter andern Völkern machen; dieses hemmete den Lauf der Wis-
senschaft so wohl, als der Kunst. So wie ihre Aerzte keine andere Mittel,
als die in den heiligen Büchern verzeichnet waren, vorschreiben durften,
eben so war auch ihren Künstlern nicht erlaubt, von dem alten Stil abzu-
gehen: denn ihre Gesetze schränketen den Geist auf die bloße Nachfolge ih-
rer Vorfahren ein, und untersagten ihnen alle Neuerungen. Daher be-
richtet 2) Plato, daß Statuen, die zu seiner Zeit in Aegypten gemalet wor-
den, weder in der Gestalt, noch sonst, von denen, welche tausend und mehr
Jahre älter waren, verschieden gewesen 3). Dieses ist zu verstehen von
Werken, welche vor der Zeit der Griechischen Regierung in Aegypten von
ihren eingebohrnen Künstlern gearbeitet worden.

C.
In der Ach-
tung ihrer
Künstler.

Endlich lieget eine von den Ursachen der angezeigten Beschaffenheit
der Kunst in Aegypten in der Achtung und in der Wissenschaft ihrer Künst-
ler. Denn diese waren den Handwerkern gleich, und zu dem niedrigsten

Stande
1) Herodot. L. 2. c. 78. 91.
2) Leg. L. 2. p. 656. C. D. E.
3) Daß nur in einem Theile von Aegypten Menschliche Figuren gearbeitet worden, daher
die Einwohner desselben Menschenbilder [Anthropomorphoi] genennet worden, wie ein
Griechischer Seribent der mittlern Zeit [Codin. Orig. Constant. p. 48.] vorgiebt, hat
keinen Grund.

I Theil. Zweytes Capitel.
hoch, iſt in der Villa Borgheſe: dieſe haben den ſteifen Stand mit ſenkrecht
haͤngenden Armen, nach Art der aͤlteſten Aegyptiſchen Figuren. Man
ſieht alſo, Hadrian mußte dem Bilde des Antinous, ſollte er den Aegyptern
ein Vorwurf der Verehrung werden, eine ihnen annehmliche und allein
beliebte Form geben; und ſo, wie dieſer Antinous, welcher zu Tivoli ge-
ſtanden, gebildet iſt, werden es auch die Statuen deſſelben in Aegypten
geweſen ſeyn.

Hierzu kam der Abſcheu dieſes Volks gegen alle fremde, ſonderlich
1) Griechiſche Gebraͤuche, vornehmlich ehe ſie von den Griechen beherrſchet
wurden, und dieſer Abſcheu mußte ihre Kuͤnſtler ſehr gleichguͤltig gegen die
Kunſt unter andern Voͤlkern machen; dieſes hemmete den Lauf der Wiſ-
ſenſchaft ſo wohl, als der Kunſt. So wie ihre Aerzte keine andere Mittel,
als die in den heiligen Buͤchern verzeichnet waren, vorſchreiben durften,
eben ſo war auch ihren Kuͤnſtlern nicht erlaubt, von dem alten Stil abzu-
gehen: denn ihre Geſetze ſchraͤnketen den Geiſt auf die bloße Nachfolge ih-
rer Vorfahren ein, und unterſagten ihnen alle Neuerungen. Daher be-
richtet 2) Plato, daß Statuen, die zu ſeiner Zeit in Aegypten gemalet wor-
den, weder in der Geſtalt, noch ſonſt, von denen, welche tauſend und mehr
Jahre aͤlter waren, verſchieden geweſen 3). Dieſes iſt zu verſtehen von
Werken, welche vor der Zeit der Griechiſchen Regierung in Aegypten von
ihren eingebohrnen Kuͤnſtlern gearbeitet worden.

C.
In der Ach-
tung ihrer
Kuͤnſtler.

Endlich lieget eine von den Urſachen der angezeigten Beſchaffenheit
der Kunſt in Aegypten in der Achtung und in der Wiſſenſchaft ihrer Kuͤnſt-
ler. Denn dieſe waren den Handwerkern gleich, und zu dem niedrigſten

Stande
1) Herodot. L. 2. c. 78. 91.
2) Leg. L. 2. p. 656. C. D. E.
3) Daß nur in einem Theile von Aegypten Menſchliche Figuren gearbeitet worden, daher
die Einwohner deſſelben Menſchenbilder [Ἀνϑρωπόμορφοι] genennet worden, wie ein
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[36/0086] I Theil. Zweytes Capitel. hoch, iſt in der Villa Borgheſe: dieſe haben den ſteifen Stand mit ſenkrecht haͤngenden Armen, nach Art der aͤlteſten Aegyptiſchen Figuren. Man ſieht alſo, Hadrian mußte dem Bilde des Antinous, ſollte er den Aegyptern ein Vorwurf der Verehrung werden, eine ihnen annehmliche und allein beliebte Form geben; und ſo, wie dieſer Antinous, welcher zu Tivoli ge- ſtanden, gebildet iſt, werden es auch die Statuen deſſelben in Aegypten geweſen ſeyn. Hierzu kam der Abſcheu dieſes Volks gegen alle fremde, ſonderlich 1) Griechiſche Gebraͤuche, vornehmlich ehe ſie von den Griechen beherrſchet wurden, und dieſer Abſcheu mußte ihre Kuͤnſtler ſehr gleichguͤltig gegen die Kunſt unter andern Voͤlkern machen; dieſes hemmete den Lauf der Wiſ- ſenſchaft ſo wohl, als der Kunſt. So wie ihre Aerzte keine andere Mittel, als die in den heiligen Buͤchern verzeichnet waren, vorſchreiben durften, eben ſo war auch ihren Kuͤnſtlern nicht erlaubt, von dem alten Stil abzu- gehen: denn ihre Geſetze ſchraͤnketen den Geiſt auf die bloße Nachfolge ih- rer Vorfahren ein, und unterſagten ihnen alle Neuerungen. Daher be- richtet 2) Plato, daß Statuen, die zu ſeiner Zeit in Aegypten gemalet wor- den, weder in der Geſtalt, noch ſonſt, von denen, welche tauſend und mehr Jahre aͤlter waren, verſchieden geweſen 3). Dieſes iſt zu verſtehen von Werken, welche vor der Zeit der Griechiſchen Regierung in Aegypten von ihren eingebohrnen Kuͤnſtlern gearbeitet worden. Endlich lieget eine von den Urſachen der angezeigten Beſchaffenheit der Kunſt in Aegypten in der Achtung und in der Wiſſenſchaft ihrer Kuͤnſt- ler. Denn dieſe waren den Handwerkern gleich, und zu dem niedrigſten Stande 1) Herodot. L. 2. c. 78. 91. 2) Leg. L. 2. p. 656. C. D. E. 3) Daß nur in einem Theile von Aegypten Menſchliche Figuren gearbeitet worden, daher die Einwohner deſſelben Menſchenbilder [Ἀνϑρωπόμορφοι] genennet worden, wie ein Griechiſcher Seribent der mittlern Zeit [Codin. Orig. Conſtant. p. 48.] vorgiebt, hat keinen Grund.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/86>, abgerufen am 25.04.2024.