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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Zweytes Capitel.
zogen, welche insgemein nicht tief, wie an Griechischen Statuen, sondern
mit der Stirne gleich liegen; daher auch der Augenknochen, auf welchem
die Augenbranen mit einer erhobenen Schärfe angedeutet sind, platt ist.
Die Augenbranen, die Augenlieder, und der Rand der Lippen, sind meh-
rentheils durch eingegrabene Linien angedeutet. An einem der ältesten
Weiblichen Köpfe über Lebensgröße, von grünlichem Basalt, in der Villa
Albani, welcher hohle Augen hat, sind die Augenbranen durch einen erho-
benen platten Streif, in der Breite des Nagels am kleinen Finger, ge-
zogen, und dieser erstrecket sich bis in die Schläfe, wo derselbe eckigt ab-
geschnitten ist; von dem untern Augenknochen gehet eben so ein Streif bis
dahin, und endiget sich eben so abgeschnitten. Von dem sanften Profil an
Griechischen Köpfen hatten die Aegypter keine Kenntniß, sondern es ist
der Einbug der Nase, wie in der gemeinen Natur; der Backen-Knochen
ist stark angedeutet und erhoben; das Kinn ist allezeit kleinlich, und das
Oval des Gesichts ist dadurch unvollkommen. Der Schnitt des Mundes,
oder der Schluß der Lippen, welcher sich in der Natur, wenigstens der
Griechen und Europäer, gegen die Winkel des Mundes mehr unterwerts
ziehet, ist an Aegyptischen Köpfen hingegen aufwerts gezogen. Von al-
len Männlichen Figuren in Stein, hat nur eine einzige einen Bart. Die-
ses ist ein Kopf über Lebensgröße, mit der Brust von Basalt, in der Villa
Ludovisi; es ist derselbe ziegelförmig und ganz platt gearbeitet, und die
Locken desselben sind durch verschiedene gleichlaufende Bogen angedeutet.

b die Hände.

Die Hände haben eine Form, wie sie an Menschen sind, welche nicht
übelgebildete Hände verdorben oder vernachläßiget haben. Die Füße un-
terscheiden sich von Füßen Griechischer Figuren dadurch, daß jene platter
und ausgebreiteter sind, und daß die Zehen, welche völlig platt liegen,
einen geringen Abfall in ihrer Länge haben, und, wie die Finger, ohne An-
deutung der Glieder sind. Es ist auch die kleine Zehe nicht gekrümmet,

noch

I Theil. Zweytes Capitel.
zogen, welche insgemein nicht tief, wie an Griechiſchen Statuen, ſondern
mit der Stirne gleich liegen; daher auch der Augenknochen, auf welchem
die Augenbranen mit einer erhobenen Schaͤrfe angedeutet ſind, platt iſt.
Die Augenbranen, die Augenlieder, und der Rand der Lippen, ſind meh-
rentheils durch eingegrabene Linien angedeutet. An einem der aͤlteſten
Weiblichen Koͤpfe uͤber Lebensgroͤße, von gruͤnlichem Baſalt, in der Villa
Albani, welcher hohle Augen hat, ſind die Augenbranen durch einen erho-
benen platten Streif, in der Breite des Nagels am kleinen Finger, ge-
zogen, und dieſer erſtrecket ſich bis in die Schlaͤfe, wo derſelbe eckigt ab-
geſchnitten iſt; von dem untern Augenknochen gehet eben ſo ein Streif bis
dahin, und endiget ſich eben ſo abgeſchnitten. Von dem ſanften Profil an
Griechiſchen Koͤpfen hatten die Aegypter keine Kenntniß, ſondern es iſt
der Einbug der Naſe, wie in der gemeinen Natur; der Backen-Knochen
iſt ſtark angedeutet und erhoben; das Kinn iſt allezeit kleinlich, und das
Oval des Geſichts iſt dadurch unvollkommen. Der Schnitt des Mundes,
oder der Schluß der Lippen, welcher ſich in der Natur, wenigſtens der
Griechen und Europaͤer, gegen die Winkel des Mundes mehr unterwerts
ziehet, iſt an Aegyptiſchen Koͤpfen hingegen aufwerts gezogen. Von al-
len Maͤnnlichen Figuren in Stein, hat nur eine einzige einen Bart. Die-
ſes iſt ein Kopf uͤber Lebensgroͤße, mit der Bruſt von Baſalt, in der Villa
Ludoviſi; es iſt derſelbe ziegelfoͤrmig und ganz platt gearbeitet, und die
Locken deſſelben ſind durch verſchiedene gleichlaufende Bogen angedeutet.

β die Haͤnde.

Die Haͤnde haben eine Form, wie ſie an Menſchen ſind, welche nicht
uͤbelgebildete Haͤnde verdorben oder vernachlaͤßiget haben. Die Fuͤße un-
terſcheiden ſich von Fuͤßen Griechiſcher Figuren dadurch, daß jene platter
und ausgebreiteter ſind, und daß die Zehen, welche voͤllig platt liegen,
einen geringen Abfall in ihrer Laͤnge haben, und, wie die Finger, ohne An-
deutung der Glieder ſind. Es iſt auch die kleine Zehe nicht gekruͤmmet,

noch
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[42/0092] I Theil. Zweytes Capitel. zogen, welche insgemein nicht tief, wie an Griechiſchen Statuen, ſondern mit der Stirne gleich liegen; daher auch der Augenknochen, auf welchem die Augenbranen mit einer erhobenen Schaͤrfe angedeutet ſind, platt iſt. Die Augenbranen, die Augenlieder, und der Rand der Lippen, ſind meh- rentheils durch eingegrabene Linien angedeutet. An einem der aͤlteſten Weiblichen Koͤpfe uͤber Lebensgroͤße, von gruͤnlichem Baſalt, in der Villa Albani, welcher hohle Augen hat, ſind die Augenbranen durch einen erho- benen platten Streif, in der Breite des Nagels am kleinen Finger, ge- zogen, und dieſer erſtrecket ſich bis in die Schlaͤfe, wo derſelbe eckigt ab- geſchnitten iſt; von dem untern Augenknochen gehet eben ſo ein Streif bis dahin, und endiget ſich eben ſo abgeſchnitten. Von dem ſanften Profil an Griechiſchen Koͤpfen hatten die Aegypter keine Kenntniß, ſondern es iſt der Einbug der Naſe, wie in der gemeinen Natur; der Backen-Knochen iſt ſtark angedeutet und erhoben; das Kinn iſt allezeit kleinlich, und das Oval des Geſichts iſt dadurch unvollkommen. Der Schnitt des Mundes, oder der Schluß der Lippen, welcher ſich in der Natur, wenigſtens der Griechen und Europaͤer, gegen die Winkel des Mundes mehr unterwerts ziehet, iſt an Aegyptiſchen Koͤpfen hingegen aufwerts gezogen. Von al- len Maͤnnlichen Figuren in Stein, hat nur eine einzige einen Bart. Die- ſes iſt ein Kopf uͤber Lebensgroͤße, mit der Bruſt von Baſalt, in der Villa Ludoviſi; es iſt derſelbe ziegelfoͤrmig und ganz platt gearbeitet, und die Locken deſſelben ſind durch verſchiedene gleichlaufende Bogen angedeutet. Die Haͤnde haben eine Form, wie ſie an Menſchen ſind, welche nicht uͤbelgebildete Haͤnde verdorben oder vernachlaͤßiget haben. Die Fuͤße un- terſcheiden ſich von Fuͤßen Griechiſcher Figuren dadurch, daß jene platter und ausgebreiteter ſind, und daß die Zehen, welche voͤllig platt liegen, einen geringen Abfall in ihrer Laͤnge haben, und, wie die Finger, ohne An- deutung der Glieder ſind. Es iſt auch die kleine Zehe nicht gekruͤmmet, noch

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/92>, abgerufen am 20.04.2024.