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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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unter den Römischen Kaisern.
gearbeitet. Dem ersten Anblicke giebt diese Statue einen Begriff, wel-
cher sich nicht mit ihrer Zeit zu reimen scheint: denn sie zeiget eine Großheit
und Pracht der Theile; in der Fülle ihrer Theile aber, entdecket sich nicht
das Wissen älterer Künstler; es sind die Hauptfarben da, aber die Mit-
teltinten fehlen, und die Figur erscheint dadurch schwer, und hat für ihre
Größe einen zu völligen Umfang. Es irret also Montfaucon, wenn er
vorgiebt 1), daß die Bildhauerkunst um diese Zeit gänzlich verlohren ge-
gangen. Die Base von einer Statue Kaisers Gordianus, welche im
Pallaste Farnese war 2), ist nicht mehr vorhanden.

Die eigentliche bestimmte Zeit, in welcher der gänzliche Fall derE.
Gänzlicher
Verfall der
Kunst unter
dem Gallie-
nus.

Kunst erfolgete, war vor dem Constantin, zur Zeit der großen Verwir-
rung durch die dreyßig Tyrannen, welche sich unter dem Gallienus auf-
warfen, das ist, zu Anfang der letzten Hälfte des dritten Jahrhunderts.
Die Münzverständigen bemerken, daß nach dem Gallienus in Griechen-
land nicht einmal mehr Münzen gepräget worden; je schlechter aber die
Münzen dieser Zeit an Gehalt und Gepräge sind, desto öfter findet sich
die Göttinn Moneta auf denselben; so wie die Ehre ein häufiges Wort
in dem Munde einer Person ist, an deren Ehre man zu zweifeln hat. Der
Kopf des Gallienus von Erzt mit einem Lorbeerkranze, in der Villa Mat-
tei, ist wegen der Seltenheit zu schätzen.

Es findet sich Nachricht von einer Statue der Calpurnia, der Gemah-
linn des Titus, welcher einer von gedachten Afterkaisern oder Tyran-
nen war; es wird dieselbe aber so schlecht gewesen seyn, daß ein dunke-
les Wort, dessen Erklärung den Gelehrten viel Mühe machet 3), kei-

nen
1) conf. Ficoroni Oss. sopra il Diar. Ital. di Montf. p. 14.
2) v. Lips. Ant. Lect. L. 5. c. 8.
3) Trebellius Pollio, (Vita Titi) welcher diese Nachricht giebt, saget: -- cuius Statuam
in templo Veneris adhuc videmus Argolicam, sed auratam.
Baudelot hat eine
weit-
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unter den Roͤmiſchen Kaiſern.
gearbeitet. Dem erſten Anblicke giebt dieſe Statue einen Begriff, wel-
cher ſich nicht mit ihrer Zeit zu reimen ſcheint: denn ſie zeiget eine Großheit
und Pracht der Theile; in der Fuͤlle ihrer Theile aber, entdecket ſich nicht
das Wiſſen aͤlterer Kuͤnſtler; es ſind die Hauptfarben da, aber die Mit-
teltinten fehlen, und die Figur erſcheint dadurch ſchwer, und hat fuͤr ihre
Groͤße einen zu voͤlligen Umfang. Es irret alſo Montfaucon, wenn er
vorgiebt 1), daß die Bildhauerkunſt um dieſe Zeit gaͤnzlich verlohren ge-
gangen. Die Baſe von einer Statue Kaiſers Gordianus, welche im
Pallaſte Farneſe war 2), iſt nicht mehr vorhanden.

Die eigentliche beſtimmte Zeit, in welcher der gaͤnzliche Fall derE.
Gaͤnzlicher
Verfall der
Kunſt unter
dem Gallie-
nus.

Kunſt erfolgete, war vor dem Conſtantin, zur Zeit der großen Verwir-
rung durch die dreyßig Tyrannen, welche ſich unter dem Gallienus auf-
warfen, das iſt, zu Anfang der letzten Haͤlfte des dritten Jahrhunderts.
Die Muͤnzverſtaͤndigen bemerken, daß nach dem Gallienus in Griechen-
land nicht einmal mehr Muͤnzen gepraͤget worden; je ſchlechter aber die
Muͤnzen dieſer Zeit an Gehalt und Gepraͤge ſind, deſto oͤfter findet ſich
die Goͤttinn Moneta auf denſelben; ſo wie die Ehre ein haͤufiges Wort
in dem Munde einer Perſon iſt, an deren Ehre man zu zweifeln hat. Der
Kopf des Gallienus von Erzt mit einem Lorbeerkranze, in der Villa Mat-
tei, iſt wegen der Seltenheit zu ſchaͤtzen.

Es findet ſich Nachricht von einer Statue der Calpurnia, der Gemah-
linn des Titus, welcher einer von gedachten Afterkaiſern oder Tyran-
nen war; es wird dieſelbe aber ſo ſchlecht geweſen ſeyn, daß ein dunke-
les Wort, deſſen Erklaͤrung den Gelehrten viel Muͤhe machet 3), kei-

nen
1) conf. Ficoroni Oſſ. ſopra il Diar. Ital. di Montf. p. 14.
2) v. Lipſ. Ant. Lect. L. 5. c. 8.
3) Trebellius Pollio, (Vita Titi) welcher dieſe Nachricht giebt, ſaget: — cuius Statuam
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[421/0109] unter den Roͤmiſchen Kaiſern. gearbeitet. Dem erſten Anblicke giebt dieſe Statue einen Begriff, wel- cher ſich nicht mit ihrer Zeit zu reimen ſcheint: denn ſie zeiget eine Großheit und Pracht der Theile; in der Fuͤlle ihrer Theile aber, entdecket ſich nicht das Wiſſen aͤlterer Kuͤnſtler; es ſind die Hauptfarben da, aber die Mit- teltinten fehlen, und die Figur erſcheint dadurch ſchwer, und hat fuͤr ihre Groͤße einen zu voͤlligen Umfang. Es irret alſo Montfaucon, wenn er vorgiebt 1), daß die Bildhauerkunſt um dieſe Zeit gaͤnzlich verlohren ge- gangen. Die Baſe von einer Statue Kaiſers Gordianus, welche im Pallaſte Farneſe war 2), iſt nicht mehr vorhanden. Die eigentliche beſtimmte Zeit, in welcher der gaͤnzliche Fall der Kunſt erfolgete, war vor dem Conſtantin, zur Zeit der großen Verwir- rung durch die dreyßig Tyrannen, welche ſich unter dem Gallienus auf- warfen, das iſt, zu Anfang der letzten Haͤlfte des dritten Jahrhunderts. Die Muͤnzverſtaͤndigen bemerken, daß nach dem Gallienus in Griechen- land nicht einmal mehr Muͤnzen gepraͤget worden; je ſchlechter aber die Muͤnzen dieſer Zeit an Gehalt und Gepraͤge ſind, deſto oͤfter findet ſich die Goͤttinn Moneta auf denſelben; ſo wie die Ehre ein haͤufiges Wort in dem Munde einer Perſon iſt, an deren Ehre man zu zweifeln hat. Der Kopf des Gallienus von Erzt mit einem Lorbeerkranze, in der Villa Mat- tei, iſt wegen der Seltenheit zu ſchaͤtzen. E. Gaͤnzlicher Verfall der Kunſt unter dem Gallie- nus. Es findet ſich Nachricht von einer Statue der Calpurnia, der Gemah- linn des Titus, welcher einer von gedachten Afterkaiſern oder Tyran- nen war; es wird dieſelbe aber ſo ſchlecht geweſen ſeyn, daß ein dunke- les Wort, deſſen Erklaͤrung den Gelehrten viel Muͤhe machet 3), kei- nen 1) conf. Ficoroni Oſſ. ſopra il Diar. Ital. di Montf. p. 14. 2) v. Lipſ. Ant. Lect. L. 5. c. 8. 3) Trebellius Pollio, (Vita Titi) welcher dieſe Nachricht giebt, ſaget: — cuius Statuam in templo Veneris adhuc videmus Argolicam, ſed auratam. Baudelot hat eine weit- G g g 3

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/109>, abgerufen am 28.03.2024.