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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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unter den Römischen Kaisern.
Und da gedachte H. Väter die Beredsamkeit und die Schönheit der Spra-
che nach einem großen Verfall wiederum in die Höhe gebracht, so daß sie
dem Plato und dem Demosthenes zur Seite stehen können, und alle Heid-
nische Scribenten ihrer Zeit gegen sich verdunkeln, so wäre es nicht un-
möglich gewesen, daß in der Kunst ein gleiches geschehen können. Es
war aber mit der Kunst so weit gekommen, daß man aus Ungeschicklich-
keit und Mangel eigener Kräfte, wenn Statuen oder Köpfe verordnet
und bestellet wurden, Figuren alter Meister nahm, und dieselben nach
dem, was sie vorstellen sollten, zurichtete, so wie alte Römische Jnschrif-
ten auf Christlichen Gräbern gebraucht wurden 1), auf deren Rückseite die
Christliche Jnschrift steht. Flaminio Vacca redet 2) von sieben unbe-
kleideten Statuen, welche zu seiner Zeit gefunden wurden, und von einer
Barbarischen Hand waren überarbeitet worden. An einem im Jahre
1757. gefundenen Kopfe, unter den Trümmern alter Sachen in der Villa
Albani, von welchem nur die Hälfte übrig ist, sieht man zugleich die
Hand eines Alten und eines Barbarischen Meisters: diesem hat es
vielleicht nicht gelingen wollen, und er hat seine Arbeit nicht geen-
diget; das Ohr und der Hals zeugen von dem Stile des alten
Künstlers.

Von der Kunst findet sich nach Constantins Zeiten weiter nicht viel
Nachricht; es ist hingegen zu vermuthen, daß, da man bald nachher in
Constantinopel anfieng, die Statuen der Götter zu zerschlagen, die Wer-
ke der Kunst in Griechenland ein gleiches Schicksal werden gehabt ha-
ben. Jn Rom wurde, diesen Unfug zu verhindern, ein Aufseher über
die Statuen bestellet, welcher Centurio nitentium rerum hieß, und über
Soldaten gesetzet war, die des Nachts umher gehen und Achtung geben

müssen,
1) conf. Fabret. Inscr. p. 168.
2) Montfauc. Diar. Ital. p. 139.
Winckelm. Gesch. der Kunst. H h h

unter den Roͤmiſchen Kaiſern.
Und da gedachte H. Vaͤter die Beredſamkeit und die Schoͤnheit der Spra-
che nach einem großen Verfall wiederum in die Hoͤhe gebracht, ſo daß ſie
dem Plato und dem Demoſthenes zur Seite ſtehen koͤnnen, und alle Heid-
niſche Scribenten ihrer Zeit gegen ſich verdunkeln, ſo waͤre es nicht un-
moͤglich geweſen, daß in der Kunſt ein gleiches geſchehen koͤnnen. Es
war aber mit der Kunſt ſo weit gekommen, daß man aus Ungeſchicklich-
keit und Mangel eigener Kraͤfte, wenn Statuen oder Koͤpfe verordnet
und beſtellet wurden, Figuren alter Meiſter nahm, und dieſelben nach
dem, was ſie vorſtellen ſollten, zurichtete, ſo wie alte Roͤmiſche Jnſchrif-
ten auf Chriſtlichen Graͤbern gebraucht wurden 1), auf deren Ruͤckſeite die
Chriſtliche Jnſchrift ſteht. Flaminio Vacca redet 2) von ſieben unbe-
kleideten Statuen, welche zu ſeiner Zeit gefunden wurden, und von einer
Barbariſchen Hand waren uͤberarbeitet worden. An einem im Jahre
1757. gefundenen Kopfe, unter den Truͤmmern alter Sachen in der Villa
Albani, von welchem nur die Haͤlfte uͤbrig iſt, ſieht man zugleich die
Hand eines Alten und eines Barbariſchen Meiſters: dieſem hat es
vielleicht nicht gelingen wollen, und er hat ſeine Arbeit nicht geen-
diget; das Ohr und der Hals zeugen von dem Stile des alten
Kuͤnſtlers.

Von der Kunſt findet ſich nach Conſtantins Zeiten weiter nicht viel
Nachricht; es iſt hingegen zu vermuthen, daß, da man bald nachher in
Conſtantinopel anfieng, die Statuen der Goͤtter zu zerſchlagen, die Wer-
ke der Kunſt in Griechenland ein gleiches Schickſal werden gehabt ha-
ben. Jn Rom wurde, dieſen Unfug zu verhindern, ein Aufſeher uͤber
die Statuen beſtellet, welcher Centurio nitentium rerum hieß, und uͤber
Soldaten geſetzet war, die des Nachts umher gehen und Achtung geben

muͤſſen,
1) conf. Fabret. Inſcr. p. 168.
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[425/0113] unter den Roͤmiſchen Kaiſern. Und da gedachte H. Vaͤter die Beredſamkeit und die Schoͤnheit der Spra- che nach einem großen Verfall wiederum in die Hoͤhe gebracht, ſo daß ſie dem Plato und dem Demoſthenes zur Seite ſtehen koͤnnen, und alle Heid- niſche Scribenten ihrer Zeit gegen ſich verdunkeln, ſo waͤre es nicht un- moͤglich geweſen, daß in der Kunſt ein gleiches geſchehen koͤnnen. Es war aber mit der Kunſt ſo weit gekommen, daß man aus Ungeſchicklich- keit und Mangel eigener Kraͤfte, wenn Statuen oder Koͤpfe verordnet und beſtellet wurden, Figuren alter Meiſter nahm, und dieſelben nach dem, was ſie vorſtellen ſollten, zurichtete, ſo wie alte Roͤmiſche Jnſchrif- ten auf Chriſtlichen Graͤbern gebraucht wurden 1), auf deren Ruͤckſeite die Chriſtliche Jnſchrift ſteht. Flaminio Vacca redet 2) von ſieben unbe- kleideten Statuen, welche zu ſeiner Zeit gefunden wurden, und von einer Barbariſchen Hand waren uͤberarbeitet worden. An einem im Jahre 1757. gefundenen Kopfe, unter den Truͤmmern alter Sachen in der Villa Albani, von welchem nur die Haͤlfte uͤbrig iſt, ſieht man zugleich die Hand eines Alten und eines Barbariſchen Meiſters: dieſem hat es vielleicht nicht gelingen wollen, und er hat ſeine Arbeit nicht geen- diget; das Ohr und der Hals zeugen von dem Stile des alten Kuͤnſtlers. Von der Kunſt findet ſich nach Conſtantins Zeiten weiter nicht viel Nachricht; es iſt hingegen zu vermuthen, daß, da man bald nachher in Conſtantinopel anfieng, die Statuen der Goͤtter zu zerſchlagen, die Wer- ke der Kunſt in Griechenland ein gleiches Schickſal werden gehabt ha- ben. Jn Rom wurde, dieſen Unfug zu verhindern, ein Aufſeher uͤber die Statuen beſtellet, welcher Centurio nitentium rerum hieß, und uͤber Soldaten geſetzet war, die des Nachts umher gehen und Achtung geben muͤſſen, 1) conf. Fabret. Inſcr. p. 168. 2) Montfauc. Diar. Ital. p. 139. Winckelm. Geſch. der Kunſt. H h h

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/113>, abgerufen am 29.03.2024.