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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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II Theil. Von der Kunst, nach den äußern Umständen
D.
Vorbereitung
und Veranlas-
sung zu dem
Flore der Kün-
ste und Wissen-
schaften durch
Athen.

Nachdem nun die Tyrannen in Griechenland bis auf diejenigen, wel-
che Sicyon gütig und nach ihren Gesetzen regiereten 1), vertilget, und die
Söhne des Pisistratus verjagt und ermordet waren, welches in der sieben
und sechzigsten Olympias, und also ohngefähr um eben die Zeit geschah,
da Brutus sein Vaterland befreyete, erhoben die Griechen ihr Haupt mehr,
a.
Befreyung
der Athenien-
ser von ihren
Tyrannen.
als jemals, und es kam ein neuer Geist in diese Nation. Die nachher so
berühmten Republiken, waren bisher unbeträchtliche kleine Staaten gewe-
sen, bis auf die Zeit, da die Perser die Griechen in Jonien beunruhigten,
Miletus zerstöreten, und die Einwohner wegführeten. Die Griechen, son-
derlich die Athenienser, wurden hierüber auf das empfindlichste gerühret;
ja noch einige Jahre nachher, da Phrynichus die Eroberung von Miletus
b.
Siege der
Athenienser
über die Per-
ser.
in einem Trauerspiele vorstellete, zerfloß das ganze Volk in Thränen. Die
Athenienser sammleten alle ihre Kräfte, und in Gesellschaft der Eretrier
kamen sie ihren Brüdern in dem Jonischen Asien zu Hülfe: sie fasseten so
gar den außerordentlichen Entschluß, den König in Persien in seinen Staa-
ten selbst anzugreifen. Sie drungen hinein bis nach Sardes, und erober-
ten und verbrannten diese Stadt, in welcher die Häuser theils von Rohr
waren 2), oder doch Dächer von Rohr hatten, in der neun und sechzigsten
Olympias, und erfochten in der zwey und siebenzigsten Olympias, das ist,
zwanzig Jahre nachher, da Hipparchus, der Tyrann von Athen, ermor-
det, und sein Bruder Hippias verjaget worden, den erstaunenden Sieg
bey Marathon, welcher wunderbar in allen Geschichten bleibet.

c.
Wachsthum
der Macht und
des Muths der
Athenienser
und anderer
Griechen.

Die Athenienser erhoben sich durch diesen Sieg über alle andere Städ-
te, und so wie sie unter den Griechen zuerst gesitteter wurden 3), und die
Waffen ablegten, ohne welche in den ältesten Zeiten kein Grieche auch im
Frieden öffentlich erschien, so machte das Ansehen und die zunehmende

Macht
1) Aristot. Polit. L. 5. c. 12. p. 164. Strab. L. 8. p. 587. l. 15. ed. rec.
2) Herod. L. 5. p. 206. l. 16.
3) Thucyd. L. 1. p. 12. l. 38.
II Theil. Von der Kunſt, nach den aͤußern Umſtaͤnden
D.
Vorbereitung
und Veranlaſ-
ſung zu dem
Flore der Kuͤn-
ſte und Wiſſen-
ſchaften durch
Athen.

Nachdem nun die Tyrannen in Griechenland bis auf diejenigen, wel-
che Sicyon guͤtig und nach ihren Geſetzen regiereten 1), vertilget, und die
Soͤhne des Piſiſtratus verjagt und ermordet waren, welches in der ſieben
und ſechzigſten Olympias, und alſo ohngefaͤhr um eben die Zeit geſchah,
da Brutus ſein Vaterland befreyete, erhoben die Griechen ihr Haupt mehr,
a.
Befreyung
der Athenien-
ſer von ihren
Tyrannen.
als jemals, und es kam ein neuer Geiſt in dieſe Nation. Die nachher ſo
beruͤhmten Republiken, waren bisher unbetraͤchtliche kleine Staaten gewe-
ſen, bis auf die Zeit, da die Perſer die Griechen in Jonien beunruhigten,
Miletus zerſtoͤreten, und die Einwohner wegfuͤhreten. Die Griechen, ſon-
derlich die Athenienſer, wurden hieruͤber auf das empfindlichſte geruͤhret;
ja noch einige Jahre nachher, da Phrynichus die Eroberung von Miletus
b.
Siege der
Athenienſer
uͤber die Per-
ſer.
in einem Trauerſpiele vorſtellete, zerfloß das ganze Volk in Thraͤnen. Die
Athenienſer ſammleten alle ihre Kraͤfte, und in Geſellſchaft der Eretrier
kamen ſie ihren Bruͤdern in dem Joniſchen Aſien zu Huͤlfe: ſie faſſeten ſo
gar den außerordentlichen Entſchluß, den Koͤnig in Perſien in ſeinen Staa-
ten ſelbſt anzugreifen. Sie drungen hinein bis nach Sardes, und erober-
ten und verbrannten dieſe Stadt, in welcher die Haͤuſer theils von Rohr
waren 2), oder doch Daͤcher von Rohr hatten, in der neun und ſechzigſten
Olympias, und erfochten in der zwey und ſiebenzigſten Olympias, das iſt,
zwanzig Jahre nachher, da Hipparchus, der Tyrann von Athen, ermor-
det, und ſein Bruder Hippias verjaget worden, den erſtaunenden Sieg
bey Marathon, welcher wunderbar in allen Geſchichten bleibet.

c.
Wachsthum
der Macht und
des Muths der
Athenienſer
und anderer
Griechen.

Die Athenienſer erhoben ſich durch dieſen Sieg uͤber alle andere Staͤd-
te, und ſo wie ſie unter den Griechen zuerſt geſitteter wurden 3), und die
Waffen ablegten, ohne welche in den aͤlteſten Zeiten kein Grieche auch im
Frieden oͤffentlich erſchien, ſo machte das Anſehen und die zunehmende

Macht
1) Ariſtot. Polit. L. 5. c. 12. p. 164. Strab. L. 8. p. 587. l. 15. ed. rec.
2) Herod. L. 5. p. 206. l. 16.
3) Thucyd. L. 1. p. 12. l. 38.
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[324/0012] II Theil. Von der Kunſt, nach den aͤußern Umſtaͤnden Nachdem nun die Tyrannen in Griechenland bis auf diejenigen, wel- che Sicyon guͤtig und nach ihren Geſetzen regiereten 1), vertilget, und die Soͤhne des Piſiſtratus verjagt und ermordet waren, welches in der ſieben und ſechzigſten Olympias, und alſo ohngefaͤhr um eben die Zeit geſchah, da Brutus ſein Vaterland befreyete, erhoben die Griechen ihr Haupt mehr, als jemals, und es kam ein neuer Geiſt in dieſe Nation. Die nachher ſo beruͤhmten Republiken, waren bisher unbetraͤchtliche kleine Staaten gewe- ſen, bis auf die Zeit, da die Perſer die Griechen in Jonien beunruhigten, Miletus zerſtoͤreten, und die Einwohner wegfuͤhreten. Die Griechen, ſon- derlich die Athenienſer, wurden hieruͤber auf das empfindlichſte geruͤhret; ja noch einige Jahre nachher, da Phrynichus die Eroberung von Miletus in einem Trauerſpiele vorſtellete, zerfloß das ganze Volk in Thraͤnen. Die Athenienſer ſammleten alle ihre Kraͤfte, und in Geſellſchaft der Eretrier kamen ſie ihren Bruͤdern in dem Joniſchen Aſien zu Huͤlfe: ſie faſſeten ſo gar den außerordentlichen Entſchluß, den Koͤnig in Perſien in ſeinen Staa- ten ſelbſt anzugreifen. Sie drungen hinein bis nach Sardes, und erober- ten und verbrannten dieſe Stadt, in welcher die Haͤuſer theils von Rohr waren 2), oder doch Daͤcher von Rohr hatten, in der neun und ſechzigſten Olympias, und erfochten in der zwey und ſiebenzigſten Olympias, das iſt, zwanzig Jahre nachher, da Hipparchus, der Tyrann von Athen, ermor- det, und ſein Bruder Hippias verjaget worden, den erſtaunenden Sieg bey Marathon, welcher wunderbar in allen Geſchichten bleibet. a. Befreyung der Athenien- ſer von ihren Tyrannen. b. Siege der Athenienſer uͤber die Per- ſer. Die Athenienſer erhoben ſich durch dieſen Sieg uͤber alle andere Staͤd- te, und ſo wie ſie unter den Griechen zuerſt geſitteter wurden 3), und die Waffen ablegten, ohne welche in den aͤlteſten Zeiten kein Grieche auch im Frieden oͤffentlich erſchien, ſo machte das Anſehen und die zunehmende Macht 1) Ariſtot. Polit. L. 5. c. 12. p. 164. Strab. L. 8. p. 587. l. 15. ed. rec. 2) Herod. L. 5. p. 206. l. 16. 3) Thucyd. L. 1. p. 12. l. 38.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/12>, abgerufen am 28.03.2024.