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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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der Zeit unter den Griechen betrachtet.
Macht diese Stadt zu dem vornehmsten Sitze der Künste und Wissenschaften
in Griechenland. Daher sagte jemand, daß die Griechen das mehreste mit
einander gemein hätten, aber den Weg zur Unsterblichkeit wüßten nur
allein die Athenienser 1). Zu Croton und zu Cyrene blühete die Arzney-
wissenschaft 2), und zu Argos die Music, aber in Athen waren alle Kün-
ste und Wissenschaften vereiniget. Themistocles und Pausanias demüthig-
ten zehen Jahre nachher bey Salamis und Plateäa die Perser dergestalt,
daß sie Schrecken und Verzweiflung bis in das Herz ihres Reichs verfolge-
te, und damit sich die Griechen allezeit der Perser erinnerten, blieben die
von diesen verstörten Tempel, als Denkmale der Gefahr, worinnen sich
ihre Freyheit befunden, ohne Ausbesserung in ihren Trümmern 3). Hier
fangen die merkwürdigsten funfzig Jahre von Griechenland an 4).

Von dieser Zeit an schienen alle Kräfte von Griechenland in Bewe-d.
Der hierdurch
veranlassete
Flor der Kün-
ste und Wis-
senschaften.

gung zu kommen, und die großen Gaben dieser Nation fiengen sich an
mehr, als jemals, zu zeigen. Die außerordentlichen Menschen und großen
Geister, welche sich von Anfang der großen Bewegung in Griechenland
gebildet hatten, kamen itzo alle mit einmal hervor. Herodotus kam in der
sieben und siebenzigsten Olympias aus Carien nach Elis, und las seine Ge-
schichte allen Griechen vor, welche daselbst versammlet waren; nicht lange
vorher hatte Pherecydes zuerst in Prosa geschrieben 5). Aeschylus trat mit
den ersten regelmäßigen Tragödien im erhabenen Stile ans Licht, nachdem
dieselben seit ihrer Erfindung von der ein und sechzigsten Olympias an, nur
Tänze singender Personen gewesen waren, und erhielt zum erstenmale den
Preis in der drey und siebenzigsten Olympias. Auch um diese Zeit fieng
man an, die Gedichte des Homerus abzusingen, und Cynäthus war zu

Syracus
1) Athen. Deipn. L. 6. p. 250. F.
2) Herodot. L. 3. p. 133. l. 11.
3) Pausan. L. 1. p. 5. l. 8. L. 10. p. 887. ad fin. pag.
4) Didor. Sic. cirea init. L. 12.
5) Dodwel. App. ad Thucyd. p. 4. ed. Duckeri.
S s 3

der Zeit unter den Griechen betrachtet.
Macht dieſe Stadt zu dem vornehmſten Sitze der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften
in Griechenland. Daher ſagte jemand, daß die Griechen das mehreſte mit
einander gemein haͤtten, aber den Weg zur Unſterblichkeit wuͤßten nur
allein die Athenienſer 1). Zu Croton und zu Cyrene bluͤhete die Arzney-
wiſſenſchaft 2), und zu Argos die Muſic, aber in Athen waren alle Kuͤn-
ſte und Wiſſenſchaften vereiniget. Themiſtocles und Pauſanias demuͤthig-
ten zehen Jahre nachher bey Salamis und Plateaͤa die Perſer dergeſtalt,
daß ſie Schrecken und Verzweiflung bis in das Herz ihres Reichs verfolge-
te, und damit ſich die Griechen allezeit der Perſer erinnerten, blieben die
von dieſen verſtoͤrten Tempel, als Denkmale der Gefahr, worinnen ſich
ihre Freyheit befunden, ohne Ausbeſſerung in ihren Truͤmmern 3). Hier
fangen die merkwuͤrdigſten funfzig Jahre von Griechenland an 4).

Von dieſer Zeit an ſchienen alle Kraͤfte von Griechenland in Bewe-d.
Der hierdurch
veranlaſſete
Flor der Kuͤn-
ſte und Wiſ-
ſenſchaften.

gung zu kommen, und die großen Gaben dieſer Nation fiengen ſich an
mehr, als jemals, zu zeigen. Die außerordentlichen Menſchen und großen
Geiſter, welche ſich von Anfang der großen Bewegung in Griechenland
gebildet hatten, kamen itzo alle mit einmal hervor. Herodotus kam in der
ſieben und ſiebenzigſten Olympias aus Carien nach Elis, und las ſeine Ge-
ſchichte allen Griechen vor, welche daſelbſt verſammlet waren; nicht lange
vorher hatte Pherecydes zuerſt in Proſa geſchrieben 5). Aeſchylus trat mit
den erſten regelmaͤßigen Tragoͤdien im erhabenen Stile ans Licht, nachdem
dieſelben ſeit ihrer Erfindung von der ein und ſechzigſten Olympias an, nur
Taͤnze ſingender Perſonen geweſen waren, und erhielt zum erſtenmale den
Preis in der drey und ſiebenzigſten Olympias. Auch um dieſe Zeit fieng
man an, die Gedichte des Homerus abzuſingen, und Cynaͤthus war zu

Syracus
1) Athen. Deipn. L. 6. p. 250. F.
2) Herodot. L. 3. p. 133. l. 11.
3) Pauſan. L. 1. p. 5. l. 8. L. 10. p. 887. ad fin. pag.
4) Didor. Sic. cirea init. L. 12.
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[325/0013] der Zeit unter den Griechen betrachtet. Macht dieſe Stadt zu dem vornehmſten Sitze der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften in Griechenland. Daher ſagte jemand, daß die Griechen das mehreſte mit einander gemein haͤtten, aber den Weg zur Unſterblichkeit wuͤßten nur allein die Athenienſer 1). Zu Croton und zu Cyrene bluͤhete die Arzney- wiſſenſchaft 2), und zu Argos die Muſic, aber in Athen waren alle Kuͤn- ſte und Wiſſenſchaften vereiniget. Themiſtocles und Pauſanias demuͤthig- ten zehen Jahre nachher bey Salamis und Plateaͤa die Perſer dergeſtalt, daß ſie Schrecken und Verzweiflung bis in das Herz ihres Reichs verfolge- te, und damit ſich die Griechen allezeit der Perſer erinnerten, blieben die von dieſen verſtoͤrten Tempel, als Denkmale der Gefahr, worinnen ſich ihre Freyheit befunden, ohne Ausbeſſerung in ihren Truͤmmern 3). Hier fangen die merkwuͤrdigſten funfzig Jahre von Griechenland an 4). Von dieſer Zeit an ſchienen alle Kraͤfte von Griechenland in Bewe- gung zu kommen, und die großen Gaben dieſer Nation fiengen ſich an mehr, als jemals, zu zeigen. Die außerordentlichen Menſchen und großen Geiſter, welche ſich von Anfang der großen Bewegung in Griechenland gebildet hatten, kamen itzo alle mit einmal hervor. Herodotus kam in der ſieben und ſiebenzigſten Olympias aus Carien nach Elis, und las ſeine Ge- ſchichte allen Griechen vor, welche daſelbſt verſammlet waren; nicht lange vorher hatte Pherecydes zuerſt in Proſa geſchrieben 5). Aeſchylus trat mit den erſten regelmaͤßigen Tragoͤdien im erhabenen Stile ans Licht, nachdem dieſelben ſeit ihrer Erfindung von der ein und ſechzigſten Olympias an, nur Taͤnze ſingender Perſonen geweſen waren, und erhielt zum erſtenmale den Preis in der drey und ſiebenzigſten Olympias. Auch um dieſe Zeit fieng man an, die Gedichte des Homerus abzuſingen, und Cynaͤthus war zu Syracus d. Der hierdurch veranlaſſete Flor der Kuͤn- ſte und Wiſ- ſenſchaften. 1) Athen. Deipn. L. 6. p. 250. F. 2) Herodot. L. 3. p. 133. l. 11. 3) Pauſan. L. 1. p. 5. l. 8. L. 10. p. 887. ad fin. pag. 4) Didor. Sic. cirea init. L. 12. 5) Dodwel. App. ad Thucyd. p. 4. ed. Duckeri. S s 3

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/13>, abgerufen am 25.04.2024.