Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
der Zeit unter den Griechen betrachtet.

Der Torso des Hercules scheint eines der letzten vollkommenen Werke
zu seyn, welche die Kunst in Griechenland vor dem Verluste der Freyheit
hervorgebracht hat. Denn nachdem Griechenland zu einer Römischen Pro-
vinz gemachet war, findet sich bis auf die Zeit der Römischen Triumvirate
keine Meldung eines berühmten Künstlers dieser Nation. Die Griechen
aber verlohren die Freyheit einige vierzig Jahre darauf, nachdem sie vom
Quintus Flaminius für freye Leute erkläret waren, und die Unruhen,
welche die Häupter des Achäischen Bundes erregten, noch mehr aber die
Eifersucht der Römer über diesen Bund, waren die Ursachen davon. Die
Römer waren, nach dem Siege über den König Perseus in Macedonien,
Herren von diesem Reiche geworden, und hatten sich vor besagtem Bünd-
nisse der Griechen, so wie diese vor der Macht der ihnen gefährlichen Nach-
barn, beständig zu fürchten. Da nun die Römer durch den Metellus ver-
gebens gesuchet hatten, in ein gutes Vernehmen mit den Griechen zu tre-
ten, wie uns die Römischen Geschichtschreiber berichten, so kam endlich
Lucius Mummius, schlug die Griechen bey Corinth, und nahm diese Stadt,
als das Haupt des Achäischen Bundes, ein, und zerstörete dieselbe. Die-
ses geschah in der hundert und sechs und funfzigsten Olympias 1), in eben
dem Jahre, da Carthago erobert wurde. Durch die Plünderung von
Corinth kamen die ersten Werke der Kunst aus Griechenland selbst, nach
Rom, und Mummius machete durch dieselben seinen Einzug prächtig und
merkwürdig: Plinius glaubt 2), der berühmte Bacchus des Aristides
sey das erste Gemälde, welches damals aus Griechenland nach Rom ge-
bracht worden. Die ältesten und hölzernen Statuen blieben in der verstö-
reten Stadt; unter diesen war ein vergoldeter Bacchus, dessen Gesicht
roth angestrichen war 3); ein Bellerophon von Holz, mit den äußersten

Theilen
1) Plin. L. 33. c. 3.
2) L. 35. c. 8.
3) Pausan. L. 2. p. 115. l. 24.
A a a 2
der Zeit unter den Griechen betrachtet.

Der Torſo des Hercules ſcheint eines der letzten vollkommenen Werke
zu ſeyn, welche die Kunſt in Griechenland vor dem Verluſte der Freyheit
hervorgebracht hat. Denn nachdem Griechenland zu einer Roͤmiſchen Pro-
vinz gemachet war, findet ſich bis auf die Zeit der Roͤmiſchen Triumvirate
keine Meldung eines beruͤhmten Kuͤnſtlers dieſer Nation. Die Griechen
aber verlohren die Freyheit einige vierzig Jahre darauf, nachdem ſie vom
Quintus Flaminius fuͤr freye Leute erklaͤret waren, und die Unruhen,
welche die Haͤupter des Achaͤiſchen Bundes erregten, noch mehr aber die
Eiferſucht der Roͤmer uͤber dieſen Bund, waren die Urſachen davon. Die
Roͤmer waren, nach dem Siege uͤber den Koͤnig Perſeus in Macedonien,
Herren von dieſem Reiche geworden, und hatten ſich vor beſagtem Buͤnd-
niſſe der Griechen, ſo wie dieſe vor der Macht der ihnen gefaͤhrlichen Nach-
barn, beſtaͤndig zu fuͤrchten. Da nun die Roͤmer durch den Metellus ver-
gebens geſuchet hatten, in ein gutes Vernehmen mit den Griechen zu tre-
ten, wie uns die Roͤmiſchen Geſchichtſchreiber berichten, ſo kam endlich
Lucius Mummius, ſchlug die Griechen bey Corinth, und nahm dieſe Stadt,
als das Haupt des Achaͤiſchen Bundes, ein, und zerſtoͤrete dieſelbe. Die-
ſes geſchah in der hundert und ſechs und funfzigſten Olympias 1), in eben
dem Jahre, da Carthago erobert wurde. Durch die Pluͤnderung von
Corinth kamen die erſten Werke der Kunſt aus Griechenland ſelbſt, nach
Rom, und Mummius machete durch dieſelben ſeinen Einzug praͤchtig und
merkwuͤrdig: Plinius glaubt 2), der beruͤhmte Bacchus des Ariſtides
ſey das erſte Gemaͤlde, welches damals aus Griechenland nach Rom ge-
bracht worden. Die aͤlteſten und hoͤlzernen Statuen blieben in der verſtoͤ-
reten Stadt; unter dieſen war ein vergoldeter Bacchus, deſſen Geſicht
roth angeſtrichen war 3); ein Bellerophon von Holz, mit den aͤußerſten

Theilen
1) Plin. L. 33. c. 3.
2) L. 35. c. 8.
3) Pauſan. L. 2. p. 115. l. 24.
A a a 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0059" n="371"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der Zeit unter den Griechen betrachtet.</hi> </fw><lb/>
          <p>Der Tor&#x017F;o des Hercules &#x017F;cheint eines der letzten vollkommenen Werke<lb/>
zu &#x017F;eyn, welche die Kun&#x017F;t in Griechenland vor dem Verlu&#x017F;te der Freyheit<lb/>
hervorgebracht hat. Denn nachdem Griechenland zu einer Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Pro-<lb/>
vinz gemachet war, findet &#x017F;ich bis auf die Zeit der Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Triumvirate<lb/>
keine Meldung eines beru&#x0364;hmten Ku&#x0364;n&#x017F;tlers die&#x017F;er Nation. Die Griechen<lb/>
aber verlohren die Freyheit einige vierzig Jahre darauf, nachdem &#x017F;ie vom<lb/>
Quintus Flaminius fu&#x0364;r freye Leute erkla&#x0364;ret waren, und die Unruhen,<lb/>
welche die Ha&#x0364;upter des Acha&#x0364;i&#x017F;chen Bundes erregten, noch mehr aber die<lb/>
Eifer&#x017F;ucht der Ro&#x0364;mer u&#x0364;ber die&#x017F;en Bund, waren die Ur&#x017F;achen davon. Die<lb/>
Ro&#x0364;mer waren, nach dem Siege u&#x0364;ber den Ko&#x0364;nig Per&#x017F;eus in Macedonien,<lb/>
Herren von die&#x017F;em Reiche geworden, und hatten &#x017F;ich vor be&#x017F;agtem Bu&#x0364;nd-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e der Griechen, &#x017F;o wie die&#x017F;e vor der Macht der ihnen gefa&#x0364;hrlichen Nach-<lb/>
barn, be&#x017F;ta&#x0364;ndig zu fu&#x0364;rchten. Da nun die Ro&#x0364;mer durch den Metellus ver-<lb/>
gebens ge&#x017F;uchet hatten, in ein gutes Vernehmen mit den Griechen zu tre-<lb/>
ten, wie uns die Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber berichten, &#x017F;o kam endlich<lb/>
Lucius Mummius, &#x017F;chlug die Griechen bey Corinth, und nahm die&#x017F;e Stadt,<lb/>
als das Haupt des Acha&#x0364;i&#x017F;chen Bundes, ein, und zer&#x017F;to&#x0364;rete die&#x017F;elbe. Die-<lb/>
&#x017F;es ge&#x017F;chah in der hundert und &#x017F;echs und funfzig&#x017F;ten Olympias <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Plin. L. 33. c.</hi> 3.</note>, in eben<lb/>
dem Jahre, da Carthago erobert wurde. Durch die Plu&#x0364;nderung von<lb/>
Corinth kamen die er&#x017F;ten Werke der Kun&#x017F;t aus Griechenland &#x017F;elb&#x017F;t, nach<lb/>
Rom, und Mummius machete durch die&#x017F;elben &#x017F;einen Einzug pra&#x0364;chtig und<lb/>
merkwu&#x0364;rdig: Plinius glaubt <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">L. 35. c.</hi> 8.</note>, der beru&#x0364;hmte Bacchus des <hi rendition="#fr">Ari&#x017F;tides</hi><lb/>
&#x017F;ey das er&#x017F;te Gema&#x0364;lde, welches damals aus Griechenland nach Rom ge-<lb/>
bracht worden. Die a&#x0364;lte&#x017F;ten und ho&#x0364;lzernen Statuen blieben in der ver&#x017F;to&#x0364;-<lb/>
reten Stadt; unter die&#x017F;en war ein vergoldeter Bacchus, de&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;icht<lb/>
roth ange&#x017F;trichen war <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Pau&#x017F;an. L. 2. p. 115. l.</hi> 24.</note>; ein Bellerophon von Holz, mit den a&#x0364;ußer&#x017F;ten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a a 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Theilen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[371/0059] der Zeit unter den Griechen betrachtet. Der Torſo des Hercules ſcheint eines der letzten vollkommenen Werke zu ſeyn, welche die Kunſt in Griechenland vor dem Verluſte der Freyheit hervorgebracht hat. Denn nachdem Griechenland zu einer Roͤmiſchen Pro- vinz gemachet war, findet ſich bis auf die Zeit der Roͤmiſchen Triumvirate keine Meldung eines beruͤhmten Kuͤnſtlers dieſer Nation. Die Griechen aber verlohren die Freyheit einige vierzig Jahre darauf, nachdem ſie vom Quintus Flaminius fuͤr freye Leute erklaͤret waren, und die Unruhen, welche die Haͤupter des Achaͤiſchen Bundes erregten, noch mehr aber die Eiferſucht der Roͤmer uͤber dieſen Bund, waren die Urſachen davon. Die Roͤmer waren, nach dem Siege uͤber den Koͤnig Perſeus in Macedonien, Herren von dieſem Reiche geworden, und hatten ſich vor beſagtem Buͤnd- niſſe der Griechen, ſo wie dieſe vor der Macht der ihnen gefaͤhrlichen Nach- barn, beſtaͤndig zu fuͤrchten. Da nun die Roͤmer durch den Metellus ver- gebens geſuchet hatten, in ein gutes Vernehmen mit den Griechen zu tre- ten, wie uns die Roͤmiſchen Geſchichtſchreiber berichten, ſo kam endlich Lucius Mummius, ſchlug die Griechen bey Corinth, und nahm dieſe Stadt, als das Haupt des Achaͤiſchen Bundes, ein, und zerſtoͤrete dieſelbe. Die- ſes geſchah in der hundert und ſechs und funfzigſten Olympias 1), in eben dem Jahre, da Carthago erobert wurde. Durch die Pluͤnderung von Corinth kamen die erſten Werke der Kunſt aus Griechenland ſelbſt, nach Rom, und Mummius machete durch dieſelben ſeinen Einzug praͤchtig und merkwuͤrdig: Plinius glaubt 2), der beruͤhmte Bacchus des Ariſtides ſey das erſte Gemaͤlde, welches damals aus Griechenland nach Rom ge- bracht worden. Die aͤlteſten und hoͤlzernen Statuen blieben in der verſtoͤ- reten Stadt; unter dieſen war ein vergoldeter Bacchus, deſſen Geſicht roth angeſtrichen war 3); ein Bellerophon von Holz, mit den aͤußerſten Theilen 1) Plin. L. 33. c. 3. 2) L. 35. c. 8. 3) Pauſan. L. 2. p. 115. l. 24. A a a 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/59
Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/59>, abgerufen am 23.04.2024.