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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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II Theil. Von der Griechischen Kunst
sie sind beyde zu Antium, itzo Nettuno genannt, entdecket, und dieses
war der Ort, wo Nero gebohren war, und auf dessen Auszierung er sehr
viel wendete: man sieht noch itzo daselbst weitläuftige Trümmer längst dem
Meere hin. Es war unter andern ein Porticus, welchen ein Maler, der
ein Freygelassener des Kaisers war, mit Figuren von Fechtern in allen
möglichen Stellungen bemalet hatte 1).

aa.
Apollo im
Belvedere.
Beschreibung
desselben.

Die Statue des Apollo ist das höchste Jdeal der Kunst unter allen
Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind.
Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Jdeal gebauet,
und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nöthig
war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo
übertrift alle andere Bilder desselben so weit, als der Apollo des Homerus
den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menschheit erhaben
ist sein Gewächs, und sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Größe.
Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysien, bekleidet die reizen-
de Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend, und spielet
mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder. Gehe
mit deinem Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten, und versuche
ein Schöpfer einer Himmlischen Natur zu werden, um den Geist mit Schön-
heiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist nichts
Sterbliches, noch was die Menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern
noch Sehnen erhitzen und regen diesen Körper, sondern ein Himmlischer
Geist, der sich wie ein sanfter Strohm ergossen, hat gleichsam die ganze
Umschreibung dieser Figur erfüllet. Er hat den Python, wider welchen er
zuerst seinen Bogen gebraucht, verfolget, und sein mächtiger Schritt hat
ihn erreichet und erleget. Von der Höhe seiner Genugsamkeit geht sein er-
habener Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus: Ver-

achtung
1) Vulpii Tabula Antian. illustr. p. 17.

II Theil. Von der Griechiſchen Kunſt
ſie ſind beyde zu Antium, itzo Nettuno genannt, entdecket, und dieſes
war der Ort, wo Nero gebohren war, und auf deſſen Auszierung er ſehr
viel wendete: man ſieht noch itzo daſelbſt weitlaͤuftige Truͤmmer laͤngſt dem
Meere hin. Es war unter andern ein Porticus, welchen ein Maler, der
ein Freygelaſſener des Kaiſers war, mit Figuren von Fechtern in allen
moͤglichen Stellungen bemalet hatte 1).

aa.
Apollo im
Belvedere.
Beſchreibung
deſſelben.

Die Statue des Apollo iſt das hoͤchſte Jdeal der Kunſt unter allen
Werken des Alterthums, welche der Zerſtoͤrung derſelben entgangen ſind.
Der Kuͤnſtler derſelben hat dieſes Werk gaͤnzlich auf das Jdeal gebauet,
und er hat nur eben ſo viel von der Materie dazu genommen, als noͤthig
war, ſeine Abſicht auszufuͤhren und ſichtbar zu machen. Dieſer Apollo
uͤbertrift alle andere Bilder deſſelben ſo weit, als der Apollo des Homerus
den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menſchheit erhaben
iſt ſein Gewaͤchs, und ſein Stand zeuget von der ihn erfuͤllenden Groͤße.
Ein ewiger Fruͤhling, wie in dem gluͤcklichen Elyſien, bekleidet die reizen-
de Maͤnnlichkeit vollkommener Jahre mit gefaͤlliger Jugend, und ſpielet
mit ſanften Zaͤrtlichkeiten auf dem ſtolzen Gebaͤude ſeiner Glieder. Gehe
mit deinem Geiſte in das Reich unkoͤrperlicher Schoͤnheiten, und verſuche
ein Schoͤpfer einer Himmliſchen Natur zu werden, um den Geiſt mit Schoͤn-
heiten, die ſich uͤber die Natur erheben, zu erfuͤllen: denn hier iſt nichts
Sterbliches, noch was die Menſchliche Duͤrftigkeit erfordert. Keine Adern
noch Sehnen erhitzen und regen dieſen Koͤrper, ſondern ein Himmliſcher
Geiſt, der ſich wie ein ſanfter Strohm ergoſſen, hat gleichſam die ganze
Umſchreibung dieſer Figur erfuͤllet. Er hat den Python, wider welchen er
zuerſt ſeinen Bogen gebraucht, verfolget, und ſein maͤchtiger Schritt hat
ihn erreichet und erleget. Von der Hoͤhe ſeiner Genugſamkeit geht ſein er-
habener Blick, wie ins Unendliche, weit uͤber ſeinen Sieg hinaus: Ver-

achtung
1) Vulpii Tabula Antian. illuſtr. p. 17.
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[392/0080] II Theil. Von der Griechiſchen Kunſt ſie ſind beyde zu Antium, itzo Nettuno genannt, entdecket, und dieſes war der Ort, wo Nero gebohren war, und auf deſſen Auszierung er ſehr viel wendete: man ſieht noch itzo daſelbſt weitlaͤuftige Truͤmmer laͤngſt dem Meere hin. Es war unter andern ein Porticus, welchen ein Maler, der ein Freygelaſſener des Kaiſers war, mit Figuren von Fechtern in allen moͤglichen Stellungen bemalet hatte 1). Die Statue des Apollo iſt das hoͤchſte Jdeal der Kunſt unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerſtoͤrung derſelben entgangen ſind. Der Kuͤnſtler derſelben hat dieſes Werk gaͤnzlich auf das Jdeal gebauet, und er hat nur eben ſo viel von der Materie dazu genommen, als noͤthig war, ſeine Abſicht auszufuͤhren und ſichtbar zu machen. Dieſer Apollo uͤbertrift alle andere Bilder deſſelben ſo weit, als der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menſchheit erhaben iſt ſein Gewaͤchs, und ſein Stand zeuget von der ihn erfuͤllenden Groͤße. Ein ewiger Fruͤhling, wie in dem gluͤcklichen Elyſien, bekleidet die reizen- de Maͤnnlichkeit vollkommener Jahre mit gefaͤlliger Jugend, und ſpielet mit ſanften Zaͤrtlichkeiten auf dem ſtolzen Gebaͤude ſeiner Glieder. Gehe mit deinem Geiſte in das Reich unkoͤrperlicher Schoͤnheiten, und verſuche ein Schoͤpfer einer Himmliſchen Natur zu werden, um den Geiſt mit Schoͤn- heiten, die ſich uͤber die Natur erheben, zu erfuͤllen: denn hier iſt nichts Sterbliches, noch was die Menſchliche Duͤrftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen und regen dieſen Koͤrper, ſondern ein Himmliſcher Geiſt, der ſich wie ein ſanfter Strohm ergoſſen, hat gleichſam die ganze Umſchreibung dieſer Figur erfuͤllet. Er hat den Python, wider welchen er zuerſt ſeinen Bogen gebraucht, verfolget, und ſein maͤchtiger Schritt hat ihn erreichet und erleget. Von der Hoͤhe ſeiner Genugſamkeit geht ſein er- habener Blick, wie ins Unendliche, weit uͤber ſeinen Sieg hinaus: Ver- achtung 1) Vulpii Tabula Antian. illuſtr. p. 17.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/80>, abgerufen am 19.04.2024.