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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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und dem allgem. Recht der Menschen.
§. 85.

Gleichwie aber die Tugend überhauptVon der
Gerech-
tigkeit
und Un-
gerech-
tigkeit.

die Fertigkeit ist, seine Handlungen nach dem
Gesetz der Natur einzurichten, und das La-
ster,
welches ihr entgegen gesetzet wird, die
Fertigkeit, seine Handlungen auf die entgegen
gesetzte Weise einzurichten, als sie im Gesetz
der Natur vorgeschrieben ist; also wird be-
sonders die Gerechtigkeit (justitia), diejenige
Tugend genannt, durch welche man einem
jeden sein vollkommenes Recht gewehret, oder
ungekräncket läßt, daß man nämlich nichts thut,
was demselben zuwieder ist, sondern dasjenige
thut, was nach demselben geschehen muß (§.
83.); und im Gegentheil ist die Ungerech-
tigkeit
(injustitia) das Laster, da man dem
andern sein Recht nicht gewehret, da man
nämlich das thut, was demselben zuwieder
ist, und das unterläßt, was nach demselben
geschehen muß. Wenn man die Gerechtig-
keit
auf alles Recht, so wohl auf das voll-
kommene, als auf das unvollkommene erstreckt,
und in jeder Handlung in Erwegung ziehet,
in so fern sie sich auf andere beziehet, oder be-
ziehen kann, ob sie gleich hauptsächlich uns
selbst angehet, so wird sie die allgemeine
Gerechtigkeit
(justitia universalis) genannt;
und wenn sie alsdenn in eingeschränckterer
Bedeutung genommen wird, so nennt man
sie die besondere Gerechtigkeit (justitiam
particularem)
. Jm übrigen ist die natür-
liche Gerechtigkeit von weiterem Um-

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und dem allgem. Recht der Menſchen.
§. 85.

Gleichwie aber die Tugend uͤberhauptVon der
Gerech-
tigkeit
und Un-
gerech-
tigkeit.

die Fertigkeit iſt, ſeine Handlungen nach dem
Geſetz der Natur einzurichten, und das La-
ſter,
welches ihr entgegen geſetzet wird, die
Fertigkeit, ſeine Handlungen auf die entgegen
geſetzte Weiſe einzurichten, als ſie im Geſetz
der Natur vorgeſchrieben iſt; alſo wird be-
ſonders die Gerechtigkeit (juſtitia), diejenige
Tugend genannt, durch welche man einem
jeden ſein vollkommenes Recht gewehret, oder
ungekraͤncket laͤßt, daß man naͤmlich nichts thut,
was demſelben zuwieder iſt, ſondern dasjenige
thut, was nach demſelben geſchehen muß (§.
83.); und im Gegentheil iſt die Ungerech-
tigkeit
(injuſtitia) das Laſter, da man dem
andern ſein Recht nicht gewehret, da man
naͤmlich das thut, was demſelben zuwieder
iſt, und das unterlaͤßt, was nach demſelben
geſchehen muß. Wenn man die Gerechtig-
keit
auf alles Recht, ſo wohl auf das voll-
kommene, als auf das unvollkommene erſtreckt,
und in jeder Handlung in Erwegung ziehet,
in ſo fern ſie ſich auf andere beziehet, oder be-
ziehen kann, ob ſie gleich hauptſaͤchlich uns
ſelbſt angehet, ſo wird ſie die allgemeine
Gerechtigkeit
(juſtitia univerſalis) genannt;
und wenn ſie alsdenn in eingeſchraͤnckterer
Bedeutung genommen wird, ſo nennt man
ſie die beſondere Gerechtigkeit (juſtitiam
particularem)
. Jm uͤbrigen iſt die natuͤr-
liche Gerechtigkeit von weiterem Um-

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[53/0089] und dem allgem. Recht der Menſchen. §. 85. Gleichwie aber die Tugend uͤberhaupt die Fertigkeit iſt, ſeine Handlungen nach dem Geſetz der Natur einzurichten, und das La- ſter, welches ihr entgegen geſetzet wird, die Fertigkeit, ſeine Handlungen auf die entgegen geſetzte Weiſe einzurichten, als ſie im Geſetz der Natur vorgeſchrieben iſt; alſo wird be- ſonders die Gerechtigkeit (juſtitia), diejenige Tugend genannt, durch welche man einem jeden ſein vollkommenes Recht gewehret, oder ungekraͤncket laͤßt, daß man naͤmlich nichts thut, was demſelben zuwieder iſt, ſondern dasjenige thut, was nach demſelben geſchehen muß (§. 83.); und im Gegentheil iſt die Ungerech- tigkeit (injuſtitia) das Laſter, da man dem andern ſein Recht nicht gewehret, da man naͤmlich das thut, was demſelben zuwieder iſt, und das unterlaͤßt, was nach demſelben geſchehen muß. Wenn man die Gerechtig- keit auf alles Recht, ſo wohl auf das voll- kommene, als auf das unvollkommene erſtreckt, und in jeder Handlung in Erwegung ziehet, in ſo fern ſie ſich auf andere beziehet, oder be- ziehen kann, ob ſie gleich hauptſaͤchlich uns ſelbſt angehet, ſo wird ſie die allgemeine Gerechtigkeit (juſtitia univerſalis) genannt; und wenn ſie alsdenn in eingeſchraͤnckterer Bedeutung genommen wird, ſo nennt man ſie die beſondere Gerechtigkeit (juſtitiam particularem). Jm uͤbrigen iſt die natuͤr- liche Gerechtigkeit von weiterem Um- fange Von der Gerech- tigkeit und Un- gerech- tigkeit. D 3

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/89>, abgerufen am 18.04.2024.