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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Einleitung.
die überdies nicht immer nothwendig in derselben Weise zusammenwirken. Denn
es ist ja klar, dass nicht die Tageszeiten an und für sich, sondern die mit den Tages-
zeiten sich verändernden Bedingungen, wie die äussere Wärme, Nahrungszufuhr, Schlaf
oder Wachen u. s. w., ein Steigen oder Sinken der Körpertemperatur verursachen.
Jene Abhängigkeit von den Tageszeiten wird also in mehrere einfachere Abhängigkeits-
verhältnisse aufgelöst werden müssen. Durch Gleichungen drücken wir in der Regel
nur einfache Naturgesetze aus, und wo man sich für complicirtere Zusammenhänge der
Darstellung durch Curven bedient, da hat dies nicht den Zweck eine Gleichung geome-
trisch zu veranschaulichen, sondern eine tabellarische Zusammenstellung durch die
übersichtlichere graphische Darstellung zu ersetzen.


4
Die Physik als
die Wissen-
schaft von den
Bewegungen.

Alle Erscheinungen, mit denen sich die Physik beschäftigt, und
die sie theils auf ihre Ursachen zurückzuführen theils aus ihren bekann-
ten Ursachen abzuleiten hat, lassen sich in zwei grosse Abtheilungen
sondern: in eine Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als
solche unverändert bleiben, aber ihre gegenseitige Lage im Raum wech-
seln, sich bewegen, und in eine andere Reihe von Erscheinungen, bei
denen die Körper als ganze in Ruhe bleiben können, aber ihre entwe-
der unmittelbar sinnlich wahrzunehmenden oder durch Versuche nach-
zuweisenden Eigenschaften verändern. Das Fallen eines Körpers ist
ein Beispiel der ersten Reihe, das Gefrieren des Wassers, das Magne-
tischwerden des Eisens, wenn ein elektrischer Strom durch einen es
umgebenden Draht geht, sind Beispiele der zweiten Reihe. Häufig
sind die Erscheinungen aus Bewegungen und aus Veränderungen der
Eigenschaften der Körper zusammengesetzt, wie z. B. bei der Verdam-
pfung des Wassers. Wir können demnach in Kürze alle Erscheinungen,
mit denen es die Physik zu thun hat, bezeichnen als Veränderungen
der Lage oder der Eigenschaften der Körper oder als aus Lage-
und Eigenschaftsveränderungen zusammengesetzt. Unter diesen drei
Arten von Veränderungen sind offenbar die Lageveränderungen die
einfachsten. Denn die Bewegungen aller Körper lassen sich nur un-
terscheiden nach der Grösse ihrer Geschwindigkeit und darnach, ob
die Geschwindigkeit gleichförmig ist, oder in verschiedenem Maasse
zu- oder abnimmt. Dagegen sind die Eigenschaftsveränderungen der
Körper unendlich mannigfaltig und lassen sich nicht in ähnlicher Weise
unmittelbar unter einem einzigen Gesichtspunkte betrachten. Aber es
ist möglich geworden, auch die letzteren in einer Weise zu erklären,
die vielfach schon jetzt es möglich macht, sie aus den Bewegungs-
gesetzen abzuleiten. Die Physik führt nämlich alle jene qualitativen
Veränderungen auf Bewegungen, und zwar auf Bewegungen der klein-
sten Theilchen der Körper zurück. Wir können nach dem so gewon-
nenen Gesichtspunkte die Physik die Wissenschaft von den Be-
wegungen in der Körperwelt
nennen. In diesem weitesten
Sinne genommen würde sie auch die chemischen und die physiologi-
schen Erscheinungen in sich begreifen. Nach der üblichen Begren-

Einleitung.
die überdies nicht immer nothwendig in derselben Weise zusammenwirken. Denn
es ist ja klar, dass nicht die Tageszeiten an und für sich, sondern die mit den Tages-
zeiten sich verändernden Bedingungen, wie die äussere Wärme, Nahrungszufuhr, Schlaf
oder Wachen u. s. w., ein Steigen oder Sinken der Körpertemperatur verursachen.
Jene Abhängigkeit von den Tageszeiten wird also in mehrere einfachere Abhängigkeits-
verhältnisse aufgelöst werden müssen. Durch Gleichungen drücken wir in der Regel
nur einfache Naturgesetze aus, und wo man sich für complicirtere Zusammenhänge der
Darstellung durch Curven bedient, da hat dies nicht den Zweck eine Gleichung geome-
trisch zu veranschaulichen, sondern eine tabellarische Zusammenstellung durch die
übersichtlichere graphische Darstellung zu ersetzen.


4
Die Physik als
die Wissen-
schaft von den
Bewegungen.

Alle Erscheinungen, mit denen sich die Physik beschäftigt, und
die sie theils auf ihre Ursachen zurückzuführen theils aus ihren bekann-
ten Ursachen abzuleiten hat, lassen sich in zwei grosse Abtheilungen
sondern: in eine Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als
solche unverändert bleiben, aber ihre gegenseitige Lage im Raum wech-
seln, sich bewegen, und in eine andere Reihe von Erscheinungen, bei
denen die Körper als ganze in Ruhe bleiben können, aber ihre entwe-
der unmittelbar sinnlich wahrzunehmenden oder durch Versuche nach-
zuweisenden Eigenschaften verändern. Das Fallen eines Körpers ist
ein Beispiel der ersten Reihe, das Gefrieren des Wassers, das Magne-
tischwerden des Eisens, wenn ein elektrischer Strom durch einen es
umgebenden Draht geht, sind Beispiele der zweiten Reihe. Häufig
sind die Erscheinungen aus Bewegungen und aus Veränderungen der
Eigenschaften der Körper zusammengesetzt, wie z. B. bei der Verdam-
pfung des Wassers. Wir können demnach in Kürze alle Erscheinungen,
mit denen es die Physik zu thun hat, bezeichnen als Veränderungen
der Lage oder der Eigenschaften der Körper oder als aus Lage-
und Eigenschaftsveränderungen zusammengesetzt. Unter diesen drei
Arten von Veränderungen sind offenbar die Lageveränderungen die
einfachsten. Denn die Bewegungen aller Körper lassen sich nur un-
terscheiden nach der Grösse ihrer Geschwindigkeit und darnach, ob
die Geschwindigkeit gleichförmig ist, oder in verschiedenem Maasse
zu- oder abnimmt. Dagegen sind die Eigenschaftsveränderungen der
Körper unendlich mannigfaltig und lassen sich nicht in ähnlicher Weise
unmittelbar unter einem einzigen Gesichtspunkte betrachten. Aber es
ist möglich geworden, auch die letzteren in einer Weise zu erklären,
die vielfach schon jetzt es möglich macht, sie aus den Bewegungs-
gesetzen abzuleiten. Die Physik führt nämlich alle jene qualitativen
Veränderungen auf Bewegungen, und zwar auf Bewegungen der klein-
sten Theilchen der Körper zurück. Wir können nach dem so gewon-
nenen Gesichtspunkte die Physik die Wissenschaft von den Be-
wegungen in der Körperwelt
nennen. In diesem weitesten
Sinne genommen würde sie auch die chemischen und die physiologi-
schen Erscheinungen in sich begreifen. Nach der üblichen Begren-

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[4/0026] Einleitung. die überdies nicht immer nothwendig in derselben Weise zusammenwirken. Denn es ist ja klar, dass nicht die Tageszeiten an und für sich, sondern die mit den Tages- zeiten sich verändernden Bedingungen, wie die äussere Wärme, Nahrungszufuhr, Schlaf oder Wachen u. s. w., ein Steigen oder Sinken der Körpertemperatur verursachen. Jene Abhängigkeit von den Tageszeiten wird also in mehrere einfachere Abhängigkeits- verhältnisse aufgelöst werden müssen. Durch Gleichungen drücken wir in der Regel nur einfache Naturgesetze aus, und wo man sich für complicirtere Zusammenhänge der Darstellung durch Curven bedient, da hat dies nicht den Zweck eine Gleichung geome- trisch zu veranschaulichen, sondern eine tabellarische Zusammenstellung durch die übersichtlichere graphische Darstellung zu ersetzen. Alle Erscheinungen, mit denen sich die Physik beschäftigt, und die sie theils auf ihre Ursachen zurückzuführen theils aus ihren bekann- ten Ursachen abzuleiten hat, lassen sich in zwei grosse Abtheilungen sondern: in eine Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als solche unverändert bleiben, aber ihre gegenseitige Lage im Raum wech- seln, sich bewegen, und in eine andere Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als ganze in Ruhe bleiben können, aber ihre entwe- der unmittelbar sinnlich wahrzunehmenden oder durch Versuche nach- zuweisenden Eigenschaften verändern. Das Fallen eines Körpers ist ein Beispiel der ersten Reihe, das Gefrieren des Wassers, das Magne- tischwerden des Eisens, wenn ein elektrischer Strom durch einen es umgebenden Draht geht, sind Beispiele der zweiten Reihe. Häufig sind die Erscheinungen aus Bewegungen und aus Veränderungen der Eigenschaften der Körper zusammengesetzt, wie z. B. bei der Verdam- pfung des Wassers. Wir können demnach in Kürze alle Erscheinungen, mit denen es die Physik zu thun hat, bezeichnen als Veränderungen der Lage oder der Eigenschaften der Körper oder als aus Lage- und Eigenschaftsveränderungen zusammengesetzt. Unter diesen drei Arten von Veränderungen sind offenbar die Lageveränderungen die einfachsten. Denn die Bewegungen aller Körper lassen sich nur un- terscheiden nach der Grösse ihrer Geschwindigkeit und darnach, ob die Geschwindigkeit gleichförmig ist, oder in verschiedenem Maasse zu- oder abnimmt. Dagegen sind die Eigenschaftsveränderungen der Körper unendlich mannigfaltig und lassen sich nicht in ähnlicher Weise unmittelbar unter einem einzigen Gesichtspunkte betrachten. Aber es ist möglich geworden, auch die letzteren in einer Weise zu erklären, die vielfach schon jetzt es möglich macht, sie aus den Bewegungs- gesetzen abzuleiten. Die Physik führt nämlich alle jene qualitativen Veränderungen auf Bewegungen, und zwar auf Bewegungen der klein- sten Theilchen der Körper zurück. Wir können nach dem so gewon- nenen Gesichtspunkte die Physik die Wissenschaft von den Be- wegungen in der Körperwelt nennen. In diesem weitesten Sinne genommen würde sie auch die chemischen und die physiologi- schen Erscheinungen in sich begreifen. Nach der üblichen Begren-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/26>, abgerufen am 19.04.2024.