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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
vom Parallelogramm der Kräfte. Die nach a b und a c wir-
kenden Kräfte nennt man die Seitenkräfte oder Componenten,
die nach der Richtung a d zur Aeusserung kommende Kraftwirkung
nennt man die Resultante. Da die Kräfte nur nach ihren Wirkun-
gen gemessen werden können, so stellen die Linien a b und a c die
Componenten nach ihren Grössen und Richtungen dar, und ebenso giebt
die Linie a d die Grösse und Richtung der Resultirenden an. Für den
Effect ist es somit ganz gleichgültig, ob eine Kraft von der Grösse
und Richtung a d, oder ob zwei Kräfte, deren Grösse und Richtung
durch a b und a c bezeichnet wird, auf einen Körper einwirken, und
man kann daher ebensowohl die Resultante durch ihre beiden Com-
ponenten, wie die Componenten durch ihre Resultante ersetzt denken,
eine Folgerung, die für die practische Anwendung von Wichtigkeit ist.

Obgleich der Satz vom Parallelogramm der Kräfte hier zunächst
nur für zwei Kräfte entwickelt wurde, so ist er doch leicht auf be-
liebig viele Kräfte, die auf einen Punkt wirken, anzuwenden. Man
braucht für diesen Zweck nur zuerst die Resultante für zwei der gege-
benen Kräfte durch Construction ihres Parallelogramms aufzufinden, dann
für diese Resultante und die dritte Kraft ein neues Parallelogramm
zu construiren, so hat man offenbar in der Diagonale des letzteren die
Resultante der drei Kräfte vor sich; man kann hierauf zu einer vierten
Kraft übergehen, u. s. w. Nach demselben Princip lässt sich aber
ebenso eine einzige Kraft statt in zwei in beliebig viele Componenten
zerlegen, indem man die zwei ersten Componenten wieder als Resul-
tanten aus je zwei Componenten betrachtet, u. s. w. Ein einziger Fall
ist noch besonders hervorzuheben, der Fall nämlich, wo drei Kräfte
nach verschiedenen Richtungen des Raumes wirken. Hier kann man
aus den drei Kräften ein Parallelepiped, ähnlich wie aus den zwei
Kräften ein Parallelogramm, construiren, und die Diagonale des Paral-
lelepipeds gibt dann direct die Grösse und Richtung der Resultiren-
den an.


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Hebel.

Wenn Kräfte nicht auf einen Punkt oder auf einen Körper wir-
ken, der annähernd als Punkt betrachtet werden kann, so reicht man
mit dem Satz vom Parallelogramm der Kräfte nicht mehr aus. Neh-
men wir an, es wirkten mehrere Kräfte auf eine starre Linie oder
einen stabförmigen Körper ein, so wird hier ein Fall sich ereignen
können, der bei der Wirkung auf einen Punkt gänzlich unmöglich ist;
die Kräfte können nämlich die Linie zu drehen streben. Betrachten
wir als einfachsten Fall denjenigen, wo zwei Kräfte a b und c d (Fig. 4)
einander parallel an den entgegengesetzten Enden der Linie einen
Zug ausüben. Es wird dann die ganze Linie in der Richtung der bei-
den Kräfte vorwärts bewegt, und sie wird zugleich im Sinne der grös-
seren Kraft c d gedreht werden. Unterstützen wir nun die Linie etwa

Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
vom Parallelogramm der Kräfte. Die nach a b und a c wir-
kenden Kräfte nennt man die Seitenkräfte oder Componenten,
die nach der Richtung a d zur Aeusserung kommende Kraftwirkung
nennt man die Resultante. Da die Kräfte nur nach ihren Wirkun-
gen gemessen werden können, so stellen die Linien a b und a c die
Componenten nach ihren Grössen und Richtungen dar, und ebenso giebt
die Linie a d die Grösse und Richtung der Resultirenden an. Für den
Effect ist es somit ganz gleichgültig, ob eine Kraft von der Grösse
und Richtung a d, oder ob zwei Kräfte, deren Grösse und Richtung
durch a b und a c bezeichnet wird, auf einen Körper einwirken, und
man kann daher ebensowohl die Resultante durch ihre beiden Com-
ponenten, wie die Componenten durch ihre Resultante ersetzt denken,
eine Folgerung, die für die practische Anwendung von Wichtigkeit ist.

Obgleich der Satz vom Parallelogramm der Kräfte hier zunächst
nur für zwei Kräfte entwickelt wurde, so ist er doch leicht auf be-
liebig viele Kräfte, die auf einen Punkt wirken, anzuwenden. Man
braucht für diesen Zweck nur zuerst die Resultante für zwei der gege-
benen Kräfte durch Construction ihres Parallelogramms aufzufinden, dann
für diese Resultante und die dritte Kraft ein neues Parallelogramm
zu construiren, so hat man offenbar in der Diagonale des letzteren die
Resultante der drei Kräfte vor sich; man kann hierauf zu einer vierten
Kraft übergehen, u. s. w. Nach demselben Princip lässt sich aber
ebenso eine einzige Kraft statt in zwei in beliebig viele Componenten
zerlegen, indem man die zwei ersten Componenten wieder als Resul-
tanten aus je zwei Componenten betrachtet, u. s. w. Ein einziger Fall
ist noch besonders hervorzuheben, der Fall nämlich, wo drei Kräfte
nach verschiedenen Richtungen des Raumes wirken. Hier kann man
aus den drei Kräften ein Parallelepiped, ähnlich wie aus den zwei
Kräften ein Parallelogramm, construiren, und die Diagonale des Paral-
lelepipeds gibt dann direct die Grösse und Richtung der Resultiren-
den an.


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Hebel.

Wenn Kräfte nicht auf einen Punkt oder auf einen Körper wir-
ken, der annähernd als Punkt betrachtet werden kann, so reicht man
mit dem Satz vom Parallelogramm der Kräfte nicht mehr aus. Neh-
men wir an, es wirkten mehrere Kräfte auf eine starre Linie oder
einen stabförmigen Körper ein, so wird hier ein Fall sich ereignen
können, der bei der Wirkung auf einen Punkt gänzlich unmöglich ist;
die Kräfte können nämlich die Linie zu drehen streben. Betrachten
wir als einfachsten Fall denjenigen, wo zwei Kräfte a b und c d (Fig. 4)
einander parallel an den entgegengesetzten Enden der Linie einen
Zug ausüben. Es wird dann die ganze Linie in der Richtung der bei-
den Kräfte vorwärts bewegt, und sie wird zugleich im Sinne der grös-
seren Kraft c d gedreht werden. Unterstützen wir nun die Linie etwa

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[20/0042] Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. vom Parallelogramm der Kräfte. Die nach a b und a c wir- kenden Kräfte nennt man die Seitenkräfte oder Componenten, die nach der Richtung a d zur Aeusserung kommende Kraftwirkung nennt man die Resultante. Da die Kräfte nur nach ihren Wirkun- gen gemessen werden können, so stellen die Linien a b und a c die Componenten nach ihren Grössen und Richtungen dar, und ebenso giebt die Linie a d die Grösse und Richtung der Resultirenden an. Für den Effect ist es somit ganz gleichgültig, ob eine Kraft von der Grösse und Richtung a d, oder ob zwei Kräfte, deren Grösse und Richtung durch a b und a c bezeichnet wird, auf einen Körper einwirken, und man kann daher ebensowohl die Resultante durch ihre beiden Com- ponenten, wie die Componenten durch ihre Resultante ersetzt denken, eine Folgerung, die für die practische Anwendung von Wichtigkeit ist. Obgleich der Satz vom Parallelogramm der Kräfte hier zunächst nur für zwei Kräfte entwickelt wurde, so ist er doch leicht auf be- liebig viele Kräfte, die auf einen Punkt wirken, anzuwenden. Man braucht für diesen Zweck nur zuerst die Resultante für zwei der gege- benen Kräfte durch Construction ihres Parallelogramms aufzufinden, dann für diese Resultante und die dritte Kraft ein neues Parallelogramm zu construiren, so hat man offenbar in der Diagonale des letzteren die Resultante der drei Kräfte vor sich; man kann hierauf zu einer vierten Kraft übergehen, u. s. w. Nach demselben Princip lässt sich aber ebenso eine einzige Kraft statt in zwei in beliebig viele Componenten zerlegen, indem man die zwei ersten Componenten wieder als Resul- tanten aus je zwei Componenten betrachtet, u. s. w. Ein einziger Fall ist noch besonders hervorzuheben, der Fall nämlich, wo drei Kräfte nach verschiedenen Richtungen des Raumes wirken. Hier kann man aus den drei Kräften ein Parallelepiped, ähnlich wie aus den zwei Kräften ein Parallelogramm, construiren, und die Diagonale des Paral- lelepipeds gibt dann direct die Grösse und Richtung der Resultiren- den an. Wenn Kräfte nicht auf einen Punkt oder auf einen Körper wir- ken, der annähernd als Punkt betrachtet werden kann, so reicht man mit dem Satz vom Parallelogramm der Kräfte nicht mehr aus. Neh- men wir an, es wirkten mehrere Kräfte auf eine starre Linie oder einen stabförmigen Körper ein, so wird hier ein Fall sich ereignen können, der bei der Wirkung auf einen Punkt gänzlich unmöglich ist; die Kräfte können nämlich die Linie zu drehen streben. Betrachten wir als einfachsten Fall denjenigen, wo zwei Kräfte a b und c d (Fig. 4) einander parallel an den entgegengesetzten Enden der Linie einen Zug ausüben. Es wird dann die ganze Linie in der Richtung der bei- den Kräfte vorwärts bewegt, und sie wird zugleich im Sinne der grös- seren Kraft c d gedreht werden. Unterstützen wir nun die Linie etwa

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/42>, abgerufen am 23.04.2024.